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CHAPTER 1 - Wiedersehen

Langsam schlenderte er durch das Kaufhaus, die Hände in seinen Hosentaschen. Der Blick seiner Augen wanderte über die Auslagen in den Schaufenstern. Im Glas spiegelte sich sein Gesicht. Ein blauer Vogel, mit einem gelben und einem roten Augen starrte ihn an. Die Narbe über seinem linken Auge war immer noch gut zu sehen. Doch ihn interessierte sein Spiegelbild nicht, sondern das, was hinter dem Glas lag. Das Cover des neuen “Messenger Effect" zog seinen Blick magisch an. Innerhalb weniger Augenblicke hatte er entschieden, dass sein Monatskonto das abkönnen musste und er betrat den Laden. Regalreihen voller Musik und Filmen erstreckten sich vor ihm. In den Gängen dazwischen herrschte ein reges Treiben. Ein kleiner Katzenjunge, vielleicht 9 oder 10 Jahre alt bettelte seine Mutter an, die Fassungslos auf die Preisschilder starrte. Ein paar Meter weiter konnte man die nächste Eskalationsstufe betrachten, wo ein Wolfsjunge begonnen hatte, Dinge aus den Regalen zu werfen, während seine Mutter hilflos daneben stand. Schnellen Schrittes näherte sich ein Angestellter des Ladens, doch Avis zweifelte, dass dieser die Situation deeskalieren könnte. Ein lauter Knall hinter seinem Rücken schien ihm Recht zu geben und ließ zusätzlich darauf schließen, dass der Junge irgendetwas größeres Umgeworfen hatte. Den Schreien der Mutter nach zu urteilen, etwas großes und teures. Avis lächelte. Ein ganz normaler Samstag Vormittag. Er hatte die Spielabteilung erreicht. Direkt vor ihm stand eine große Pyramide eingeschweißter “Messenger Effect" Packungen, “Play best on Game Station 4!" erklärte ein Banner darüber. “Schön wär's" dachte er, während er in den Regalen dahinter nach der Last Gen Version suchte. Mit seiner neuen Errungenschaft machte er sich auf den Weg zur Kasse. Auf dem Rückweg kam er noch einmal an der Stelle vorbei, an dem der Wolfsjunge seinem Unmut lauf gelassen hatte. Eine Ausstellungsvitrine war umgestürzt. Glasscherben sprenkelten den Boden. Der Angestellte, ein älterer Wolf, mit hellgrauem Fell, war dabei das Glas zusammen zu fegen. “Kannst du bitte den anderen Gang nehmen, hier gab es gerade… einen Unfall." Er schaute Avis mit einem gezwungen Lächeln an, wobei er seine Reißzähne entblößte. Doch sah er dadurch nicht bedrohlich, sonder ehr noch Hilfloser aus. Avis folgte der Bitte und hatte endlich die Kasse erreicht. Die Wolfsmutter mit ihrem Kind standen vor ihm in der Schlange. Der Junge lächelte glücklich, in der Hand die Verpackung einer Action Figur. Die Mutter schleifte ihn sichtlich genervt hinter sich her. Piep. “Das macht 36.22." Avis war an der Reihe. Er legte “Messenger Effect" auf das Band. Eine mit schwarzen Schuppen bedeckte Hand, griff nach der Hülle, suchte den Barcode und zog ihn über den Scanner. “Kann ich bitte ihren Personalausweis sehen?" fragte eine raue Stimme. Hinter der Kasse saß ein schwarz geschuppter Drache. Er hatte ein langes krokodilartiges Maul, gespickt mit spitzen Zähnen. Zwei hellblaue Augen mit schwarzen Schlitzpupillen starrten ihn an. Avis zog das kleine Plastikkärtchen aus seinem Geldbeutel und reichte es dem Verkäufer. “Avis? Avis Jay?" Ja, das ist mein Name… der steht da auf dem Ausweis, dachte Avis. Was wollte der Verkäufer von ihm. “Ja…" stotterte er irritiert. “Hab ich mich so sehr verändert?" fragte der Drache. Sollte Avis ihn kenne? “Ich bins. Frederic Blake" Es dauerte ein paar Sekunden, bis sein Verstand den Namen zuordnen konnte. Was erstaunlich war, immerhin sah er in jedem Spiegel das Ergebnis eines ihrer frühen Zusammentreffens. Sein Gesicht verzog sich zu dem Vogel äquivalent eines Lächelns. “Was zur Hölle machst du an einer Kasse?" “Arbeiten, oder wonach sieht es aus? Eine Wohnung kostet Geld, Essen auch, eigentlich fast alles außer Atmen kostet irgendwie Geld." erwiderte Frederic. “War da nicht das Ding mit den reichen Eltern, den fast die halbe Stadt gehört?" Inzwischen hatte sich eine Schlange hinter Avis gebildet. “Lief nicht so gut. Sollen wir uns später treffen? Dann können wir drüber reden." das Thema schien für ihn sensibel zu sein. Auf jeden Fall zu sensibel für die Öffentlichkeit. “Klar..." erwiderte der Blue Jay. “Gut. 16:30, am Nordausgang." fügte der Drache noch schnell an, bevor er sich dem nächsten Kunden zu wandte, der ungeduldig wartet. 16:20. Avis stand vor dem Nordausgang des Selling Point. Der kalte Wind wehte durch die Straße. Seine Federn stellten sich auf. Trotz seiner Jacke, fror er. Doch für Frederic hielt er es gerne aus, jedenfalls wenn der Drache bald auftauchte. Eine Tür klapperte hinter ihm und eine schwarze Hand legte sich auf seine Schulter. Er fuhr herum. Zwei große blaue Augen fixierten ihn. Dann schloss sein alter Freund ihn in die Arme. “Verdammt lange nicht gesehen. Seit wann bist du wieder da?" Vor vier Jahren war Frederic nach New Berlin gezogen. Seine Eltern hatten ihn auf eine Eliteuniversität geschickt. Natürlich waren sie sich damals sicher gewesen, sie würden trotz der Distanz in Kontakt bleiben. Wofür gab es Green Book, InstApp und alle anderen sogenannten “Sozialen" Medien, aber über die Jahre… “Zwei Jahre" Er ließ den Drachen los. “Zwei Jahre? Du bist schon zwei Jahre zurück?" Frederic nickte, sein Blick ging an Avis vorbei, irgendwo auf den Boden, er konnte seinem Freund nicht in die Augen schaun. “Studium lief nicht gut. Bin rausgeflogen. Anderthalb Jahre, dann war ich weg." Er machte eine kurze Pause. “Lief einfach scheiße danach. Aber was ist mit dir? Immer noch auf dem Weg zum Superstar?" “Maximal in der Unternehmensberatung… BWL-Studium." Fredrics Blick wanderte an seinem Freund hinab. “Anzug, Krawatte und Aktenkoffer würden gut zu dir passen. Definitiv besser wie mir. Weißt du wie teuer Anzüge mit Flügel Schlitzen sind? Die gibts nicht von der Stange, alles Einzelstücke." “Aber jetzt mal ernsthaft, wollen wir hier weiter in der Kälte stehen, oder suchen wir uns einen Ort, wo es wärmer ist?" Avis zog die Schultern hoch. Seine Federn raschelten, als er sich schüttelte. “Gerne. Schuppen sind bei den Temperaturen ziemlich scheiße. Irgendwelche Vorschläge, die Läden in denen ich normalerweise bin, sind glaube ich nicht der Richtige Ort um ein Wiedersehen zu feiern." “Wir doch waren früher oft im Top Wing. Den Laden gibts noch." Gemeinsam machten sie sich auf den Weg. Die Bar war etwas entfernt. Der Weg führte durch die Innenstadt. Die Straßen waren belebt, aber nicht überfüllt. Trotzdem leitete Frederic sie über kleinere Seitenstraßen und Gassen. Viele der kleinen Wege waren Avis nie aufgefallen, doch Frederic schien sich in diesem Labyrinth aus zu kennen. Unterwegs kamen ihnen zum Teil ziemlich schräge, bis beängstigende Gestalten entgegen. Doch Frederic hatte die Hände in die Taschen gesteckt und schien kein bisschen beunruhigt, vielleicht etwas erschöpft, aber trotzdem waren die Winkel seines langen Mauls zu einem Lächeln nach oben gezogen. Ein Neonschild vor ihnen zeigte einen stilisierten Vogel Flügel. Avis nickte dem Kellner zu. Der schlanke, hoher Falke im Jacket kam zu ihnen herüber.

 

Als jeder von ihnen ein Glas vor sich stehen hatte, fragte Avis seinen Freund: “Also? Du bist aus dem Studium geflogen, deine Eltern haben das nicht akzeptiert und dich rausgeschmissen?" Das leichte Lächeln in Frederics Gesicht erstarb. “Fast… Ich habe das Studium geschmissen, mein Vater hat mich zusammen Geschrien und ich hab ihm den Kiefer gebrochen. Dann haben sie mich rausgeschmissen." Avis verschluckte sich. “Scheiße… ich dachte du hättest das inzwischen unter Kontrolle." “Es war einfach zu viel…" seine Stimme wurde leiser und erstarb. Für ein paar Sekunden starrte er nachdenklich ins Leere. Dann schien Frederic sich wieder zu fangen. Er hatte wieder das leichte Lächeln im Gesicht, auch wenn Avis es ihm nicht wirklich abkaufte. “Meine Mutter hat geschrien. Mein Vater hat mich Beschimpft, ich wäre eine Enttäuschung, ich sei ein Fehler gewesen… Dann lag er plötzlich blutend auf dem Boden. Ich hab meine Sachen geschnappt und bin weggerannt." Sie waren so lange Freunde, Avis kannte Frederic. Der Drache war keine schlechte Person. Er hatte Probleme und konnte auch mal ausrasten, aber immer hatte er es hinterher bereut. Nachdem Frederic sein Auge ruiniert hatte, war er Avis fast zwei Jahre lang kaum von der Seite gewichen. Hatte ihn vor den anderen Beschützt und war einfach ein guter Freund geworden. Rückblickend bedauerte es Avis kein bisschen. Die Narbe gehörte zu ihm, mit allem anderen hatte er sich abfinden können und dadurch waren sie später beste Freunde geworden. Irgendwie Ironisch… “Aber genug der schlechten Laune, ich bin weg von meinen Eltern, habe einen Job, ein Dach überm Kopf und jetzt sogar einen meiner besten Freunde wieder getroffen. Läuft also irgendwie. Und bei dir? Erzähl mal aus dem Leben des unverbesserlichen Klassenstrebers." “Naja, BWL Studium… sonst gibts kaum was. Niemand gestorben, niemand ernsthaft verletzt. Die Preise für Federpflegemittel sind gefallen, also bleibt mehr Geld für Spiele und Alkohol. Mein Leben ist langweilig. Ach ja, mein Mitbewohner hat angefangen zu schnarchen. Hast du schonmal einen Tiger schnarchen hören? Klingt nicht schön." Tim war ansonsten ein super Typ um sich mit ihm ein Zimmer zu Teilen, doch in letzter Zeit hatte sein tiefes Brummen Avis regelmäßig um den Schlaf gebracht. “Können gerne Tauschen, dann kann ichs mir auch mal anhören." erwiderte Frederic. “Wo wohnst du jetzt eigentlich? Deine Eltern sind vermutlich nicht sonderlich gut auf dich zu sprechen, oder?" “Nee, ein paar Briefe von Familienanwalt und ein einstweilige Verfügung war das einzige was ich in den letzten Jahren von ihnen bekommen habe. Wohne grad bei Carl Semkin. Kann sein, dass du ihn noch kennst. Fuchs. Etwas kleiner, caramelfarbenes, meist wirres Fell. War ein Jahr unter uns." Carl Semkin... Avis überlegte ein paar Sekunden. Er hatte ihn ein paar mal flüchtig gesehen, ein unauffälliger Typ.

Es war kälter geworden. Frederic hatte sein zweites Export vor sich stehen, Avis noch seinen ersten Caipirinha. Thematisch driftete ihr Gespräch über die Vergangenheit. Ihre gemeinsame Schulzeit, vergangene Abenteuer, doch immer wenn es in die Nähe der letzten Jahre kam, wechselte Frederic schnell das Thema. Avis hätte gerne noch mehr erfahren, wollte seinen Freund auch nicht drängen, da er merkte, dass es für den Drachen ein schwieriges Thema war, egal was er selbst behauptete. Die Zeit verstrich. Der Pegel seines Glases sank langsam dem Boden entgegen. Frederic hingegen war bereits bei seinem vierten Bier angekommen. Drachen waren zwar allgemein für ihre erstaunliche Trinkfestigkeit bekannt, doch anhand seiner glasigen Augen, konnte man erkennen, dass der Alkohol bereits Wirkung zeigte. “Wie kommst du nach Hause und wo wohnen du und Carl eigentlich?" “Northern Coast. Trader District." Die gegend am Hafen hatte nicht den besten Ruf. Im ehemaligen Handelsbezirk waren vor einigen Jahren reihenweise neue Wohnblöcke hochgezogen worden. Was soll man sagen, der Boom blieb aus und die Gegend verkam. Avis warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Es war kurz nach 0 Uhr. “Also, wie kommst du nach hause? Holt Carl dich ab?" Frederic wollte lachen, verschluckte sich jedoch an seinem Export. Als er endlich wieder Luft bekam, erwiderte er nur: “Selbst wenn er es jemals schaffen würde den Führerschein zu machen, steige ich niemals zu ihm ins Auto. Entweder ich finde einen Bus, oder ich laufe." “Anderthalb Kilometer? In dem Zustand? Komm, ich fahr dich. Mein Auto steht noch am Selling Point." Frederic versuchte noch zu widersprechen, doch Avis bestand darauf. Als der Drache aufstand, musste er sich an der Lehen seine Stuhls festhalten. Wackelig lief er ein paar Schritte, wobei sein Körper versuchte, mit dem Schwanz das Schwanken auszugleichen. Doch Avis sah, dass es ohne sein Eingreifen zu Katastrophe kommen würde und griff seinen Freund unter dem Arm und legte diesen über seine Schulter. Das Gewicht des Drachen zog ihn fast zu Boden. “Sorry…" nuschelte Frederic und richtete sich wieder halbwegs auf. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg… langsam. Einen betrunkenen Drachen durch die Innenstadt zu schleifen, war schwieriger, als Avis es sich vorgestellt hatte. Nicht nur das Gewicht seines Freundes machte ihm zu schaffen, auch der lange, kräftige Schwanz machte einige Probleme. Dieser schien ein Eigenleben zu haben und hielt sich gerne an Laternenpfähle, Zäune und ähnlichem fest, wobei er kleinere Dinge, wie Konservendosen, Flaschen oder Steine auch mal einige Meter mit schleifte. Vor ihnen ragte das große Gebäude des Selling Points auf. Der halbrunde Bau, war kaum beleuchtet, die Läden waren geschlossen. “Scheiße!" entfuhr es Avis. Er hatte sein Auto im Parkhaus abgestellt und das war um diese Uhrzeit bereits geschlossen. Er “stellte" Frederic an der Wand ab, der begonnen hatte in den Taschen seiner Jacke zu wühlen, und rüttelte an der Tür. Normalerweise war das Parkhaus länger geöffnet als der Rest des Einkaufszentrums, doch die Tür bewegte sich keinen Millimeter. “Ehm Sorry. Das mit dem nach hause fahren wird schwierig." Doch Frederic beachtete ihn nicht, sondern wühlte noch immer in seinen Taschen. Dann zog er mit einem triumphierenden Gesichtsausdruck eine Plastikkarte aus seiner Tasche und taumelte, sich mit einer Hand abstützend, an der Wand entlang. Avis folgte ihm zögernd.

 

Er brauchte einige Versuche, bis er es schaffte seine Schlüsselkarte durch den Leseapparat zu ziehen. Es gab ein Summen. Als Frederic nicht reagierte drückte Avis schnell die Tür auf, bevor das Schloss sich wieder verriegelte. Im Gang dahinter war es Stockfinster. “Da muss irgendwo ein Licht sssein…" Anscheinend dauerte es bei Frederic eine Weile, bis der Alkohol seine volle Wirkung entfaltete. Avis taste neben der Tür die Wand ab und fand tatsächlich einen Lichtschalter. Die kalten Neonröhren flackerten ein paar mal, bevor sie den Gang in ein konstantes, kaltes Licht tauchten. Die Wände, der Boden und die Decke waren aus unverputztem Beton. Die Tür fiel hinter ihnen zu. Ein weiteres Summe Symbolisierte, dass das Schloss wieder verriegelt war. Frederic hatte sich wieder gegen die Wand gelehnt. Avis schleifte ihn weiter. Die kalten Flure wirkten auf Avis wie das innere einer geheimen Forschungsstation aus einem Spionage Thriller, oder so ähnlich. Wie die Forschungsstation aus Spiral. Hoffentlich kamen ihnen hier unten keine Zombies entgegen. Frederic führte sie durch das Gewirr der Katakomben des Kaufhauses, bis sie am Ende einer langen Treppe vor einer Metalltür standen. Avis drückte die Tür auf. Vor ihnen erstreckte sich ein großer Raum. Im Schein des wenigen Lichts, das durch den Spalt fiel, konnten sie lange Regalreihen erkennen. “Das ist nicht das Parkhaus." “Verdammt, ich dachte…" nuschelte Frederic. Der Kegel einer Taschenlampe strich durch den Raum. Frederic packte Avis, der bereits einen Schritt in den Raum gemacht hatte und zog ihn zurück. Er drückte die Tür wieder zu. “Scheiße der Nachtwächter!" flüsterte Frederic panisch. “Ich dachte du arbeitest hier." “Na und? Will trotzdem nicht erwischt werden…" Also ging es die Treppe wieder hinab und weiter durch das Labyrinth. Avis zweifelte inzwischen stark daran, dass das ganze eine gute Idee gewesen ist… und dass sie in absehbarer Zeit das Parkhaus finden würden. Immer wieder zeigte Frederic aufgeregt auf irgendwelche Türen oder Schilder. Absolut sicher, dass das der Richtige weg war. Nur dass ein Lagerraum, die Küche des Thai Restaurants oder die Abteilung für Herrenbekleidung, keine sonderliche Ähnlichkeit mit dem Parkhaus hatte. Als sie gerade durch die Spielzeugabteilung taumelten, erklang hinter ihren Rücken eine Stimme: “Halt! Stehen bleiben!" Avis drehte sich um. Das helle Licht einer Taschenlampe blendete ihn. Er konnte schemenhaft die Umrisse einer schlanken Gestalt erkennen. “Was machen sie hier?" Scheiße, was sollte er jetzt machen, er hatte definitiv kein Bock auf eine Anzeige wegen Einbruchs. Aber eigentlich waren sie nicht eingebrochen. Es würde nur schwer werden, das dem Nachtwächter zu erklären. Außer… ihm kam eine Idee. Mit einer schnellen Handbewegung fischte er unauffällig Frederics ID Karte aus dessen Tasche. Hoffentlich hatte der Wachmann es nicht gesehen. Er hielt das Stück Plastik hoch. “Ich arbeite hier und habe mein Auto im Parkhaus abgestellt. Ich wollte es eigentlich morgen holen, aber sie sehen, mein Freund hier hat es etwas übertrieben und…" Doch der Wachmann unterbrach ihn mit einer Handgeste. “Schon gut, aber was macht ihr hier oben. Das Parkhaus ist zwei Stockwerke tiefer." “Verdammt. Ich bin noch nicht lange hier und mein Orientierungssinn ist eine Katastrophe. Ich verirre mich selbst tagsüber." Hoffentlich kaufte der Wachmann ihm die Geschichte ab. Dieser schien kurz zu überlegen. Aber anscheinend hatte auch er keine Lust auf den Bürokratischen Aufwand, den eine genauere Untersuchung mit sich ziehen würde. “Zum Parkhaus geht ihr am besten durch den Laden, in der Mitte um das Treppenhaus herum und auf der gegenüberliegenden Seite durch die große Stahltür. Aber macht schnell und vorallem, macht so nen scheiß nicht nochmal." Inzwischen hatten sie Avis Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnt und er konnte den Wachmann erkennen. Der Falke trug eine graue Uniform. Er wirkte müde, trotzdem glitten seine Augen aufmerksam über die Umgebung. Avis bedankte sich bei ihm und Frederic gab ein undefinierbares, aber irgendwie dankbar klingendes Knurren von sich. Sie beeilten sich, so gut wie möglich den Laden schnell zu verlassen und schleppten sich in Richtung des Parkhauses.

“Sss war voll der Geheimagenten Move!" kommentierte Frederic begeistert Avis Aktion. “Ja, wäre aber nicht nötig gewesen, wenn du selbst etwas Initiative gezeigt hättest." “Sorry…" nuschelte Frederic. Sie standen endlich vor der großen Stahltür, die zum Parkhaus führte. Avis drückte die Klinke herunter und drückte sie auf. Ein kalter Wind schlug ihnen entgegen. Im gegensatz zum Rest des Gebäudes, war das Parkhaus nicht beheizt. Die Decks des Gebäudes waren leer. Nur ein einsamer, blau lackierter Kombi stand, etwas schief, in einer Parklücke. Avis bugsierte Frederic auf den Beifahrersitz, was sich dank des langen Schwanzes und den Flügeln, als echte Herausforderung darstellte. Dann setzte er sich selbst auf den Fahrersitz. Avis schob seinen Schlüssel ins Zündschloss und drehte ihn herum. Der Motor stotterte… und erstarb. Er versuchte es erneut. Beim dritten Versuch sprang das Auto an. Avis setzte vorsichtig zurück und fuhr in Richtung des Ausgangs. Mit Frederics Schlüsselkarte ließ sich das Gittertor vor der Ausfahrt öffnen und sie konnten den Sellingpoint verlassen. Normalerweise war kaum noch jemand um diese Uhrzeit unterwegs. Sei es zu Fuß oder mit dem Auto. Doch heute streunten Grüppchen nachtaktiver Wesen durch die Stadt. Fledermäuse, Wölfe und ähnliche Kreaturen. Der fast volle Mond zog sie hinaus auf die Straßen. Avis bog auf die Stadtautobahn ein, die die Stadt durchschnitt. Frederic hatte den Kopf gegen das Fenster gelehnt, den Blick starr nach vorne gerichtet. Er hatte ein leichtes Grinsen auf dem Gesicht. Avis starrte konzentriert auf die Straße. Seine Augen schmerzten. Er hasste es Nachts zu fahren. Normalerweise hätte er den Bus genommen und sein Auto am nächsten Tag geholt. Doch er konnte seinen Freund doch nicht im Stich lassen. Seinen Freund… Sie hatten sich Jahre lang nicht gesehen. Jahre in denen er kaum einen Gedanken an Frederic verschwendet hatte und jetzt fuhr er den Drachen, der dazu noch stark betrunken war, um 1 Uhr nach Hause. Ein Schild über der Straße wies auf die Ausfahrt zum “Trader District" hin. Im Auto war es stickig, weswegen Avis die Fenster herunter ließ. Als die Scheibe auf der Beifahrerseite nach unten glitt, fiel Frederics Kopf, der davor noch am Fenster gelehnt hatte, hinaus in den kühlen Fahrtwind. Die frische Luft strömte ins innere des Fahrzeugs. Avis atmete tief durch. Neben der Straße, durch sie jetzt fuhren, ragten große fünfstöckige Wohnblöcke in die Höhe. Die Fassaden, die früher mal weiß waren, hatten inzwischen einen gelbgrauen Ton, und bröckelten stellenweise ab. “..a voren ist es" durchbrach Frederic die Stille. Er deutete auf einen der Blöcke. Für Avis würde es ein Mysterium bleiben, wie Frederic die Gebäude auseinanderhalten konnte, doch vertraute er seinem Freund und hielt vor dem Wohnblock. “...anke fürs fahren." lallte Frederic, bevor er versuchte aus dem Auto auszusteigen. Avis stellte den Motor ab und zog die Handbremse an. Dann stieg er aus um seinem Freund zu helfen. Gemeinsam schafften sie den Weg bis zur Haustür. Frederic kramte einen Schlüsselbund aus seiner Tasche, doch schaffte er es nicht das Schlüsselloch zu treffen. Avis nahm ihm den Haustürschlüssel ab und öffnete die Tür. Frederic taumelte hinter ihm in das Treppenhaus, lehnte sich gegen die Wand und sank daran hinab, bis er auf dem Boden saß. “Na klasse…" dachte Aivs. Aber er konnte seinen Freund hier nicht einfach sitzen lassen. Er inspizierte die Klingelschilder. Kein Blake… aber Frederic hatte doch gesagt, dass er bei Carl Semkin wohnte. Avis fand das Klingelschild. Hoffentlich war der Fuchs noch wach. Er drückte den Knopf ein paar mal. Für eine Minute passierte nichts. Dann knackte der Lautsprecher der Gegensprechanlage. Eine verschlafen klingende Stimme meldete sich: “Wer ist da?" “Avis Jay. Ich habe Frederic dabei…" doch bevor er noch weiter sprechen konnte, unterbrach die andere Person ihn. “Verstehe, warte ich komme." Der Lautsprecher knackte. Dann war wieder Stille. Hinter sich hörte Avis ein tiefes Brummen.

 

Über ihm gab es ein Klicken. Jemand kam die Treppen herunter. Der Fuchs hatte die Augen zusammen gekniffen. “Danke dass du ihn zurückgebracht hast. Letztes Mal habe ich eine Vermisstenanzeige aufgegeben und er ist erst zwei Tage später wieder aufgetaucht." Avis wusste nicht, ob Carl nur einen Witz machte, doch seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, meinte er es ernst. Jeder Griff sich einen Arm, des inzwischen laut schnarchenden Drachen und gemeinsam schleppten sie ihn die Treppen hinauf. Natürlich mussten die beiden im dritten Stock wohnen. Bereits nach zwei Treppen wusste Avis, dass er die nächsten Tage Rückenschmerzen haben würde. Als sie endlich die letzten Stufen überwunden hatten, legten sie Frederic wieder an der Wand ab. Carl versuchte in die nicht vorhandenen Taschen seiner Jogginghose zu greifen. “Fuck!" entfuhr es ihm. “Kannste mal nachschaun, ob Frederic seine Schlüssel dabei hat." Avis rollte Frederic etwas zur Seite, um an seine Hosentaschen heran zu kommen. Doch außer seinem Handy, seinem Geldbeutel, ein paar Kaugummis und einer zerknüllten Rechnung hatte sein Freund nichts dabei. “Dann können wir nur hoffen, dass Bruce nicht zu tief schläft." Er betätigte die Klingel. Nichts geschah. Er drückte den Knopf noch ein paar mal. Wieder geschah nichts. “Also wenn du willst, kannst du gehen. Ich kann jetzt nur warten, bis Bruce aufwacht und uns reinlässt." Die Müdigkeit war etwas aus dem Gesicht des Fuchs gewichen und wurde nach und nach durch Resignation ersetzt. Vermutlich aus Verzweiflung betätigte er die Klingel ein letztes Mal. Erst passierte nichts, doch nach vielleicht einer halben Minute konnte man hinter der Tür ein poltern hören. Eine tiefe Stimme stieß einen Fluch aus, den Avis nicht verstehen konnte. Dann klackte das Schloss und die Tür öffnete sich. Eine breite Gestalt stand im Türrahmen. Er trug ein Tanktop, das einen gewaltigen, muskulösen Körper betonte. Das Klischee eines Bodybuilders. Einzig, dass er, aufgrund des Horns auf seiner Nase große Schwierigkeiten hatte durch die Tür zu kommen, zerstörte irgendwie das Bild. Der Nashornkäfer starrte irritiert auf die Szene im Treppenhaus. “Kannst du uns helfen?" fragte Carl den Käfer. Bruce reagierte nicht. “Bitte?" ergänzte der Fuchs. Der gewaltige Käfer setzte sich langsam in Bewegung. Er griff Frederic unter den Armen und schleifte ihn in die Wohnung. “Danke nochmal fürs herfahren. Willste noch reinkommen…? Haben glaub ich noch Bier oder Cola da." Avis überlegte kurz, doch er spürte, wie die Müdigkeit ihn langsam übermannte. “Vielleicht ein anderes mal." Bevor er ging, steckte Carl ihm noch einen zusammengefalteten Zettel zu. “Frederic vergisst es eigentlich immer." flüsterte der Fuchs. Dann fiel die Tür zu. Avis zog das Papierstück hervor und faltete es auf. Darauf stand eine Handynummer. Ein Grinsen im Gesicht schob er den Zettel zurück in die Tasche und machte sich auf den Weg zu seinem Auto.

 

Es war schon 2 Uhr, als Avis mit seinem Auto in die Einfahrt des Studentenwohnheims einbog. Er parkte auf einem freien Parkplatz und stellte den Motor ab. Die Scheinwerfer erloschen, als er den Schlüssel abzog. Avis blieb noch ein paar Minuten sitzen. Dann zog er sein Handy heraus und schrieb eine kurze Nachricht an die Nummer, die der Fuchs ihm zugesteckt hatte. Keine Antwort. Wenn es wirklich Frederics Nummer war, würde es auch noch eine Weile dauern, bis er eine erhalten würde. Nachdem er gecheckt hatte, ob die Nachricht wirklich angekommen war, steckte er das Gerät wieder weg und stieg aus. In den beiden großen Gebäuden des Wohnheims brannten nur noch wenige Lichter. Die Flure lagen in Dunkelheit. Kaum hatte er das Gebäude betreten, in dem seine Wohnung lag, überkam ihn das Gefühl der Müdigkeit und er musste sich zusammenreißen, nicht auf dem Flur zusammen zu klappen und augenblicklich einzuschlafen. Er taumelte den langen, von kalten Leuchtstoffröhren beleuchteten, Flur hinunter. Seine Hände zitterten und er brauchte einige Versuche um den Schlüssel des Zimmers 78 zu schieben. Beim ersten Versuch rutschte er ab und zog einen weiteren Kratzer in das ohnehin schon stark ramponierte Schloss. Er hielt einen Moment inne. Es war ungewöhnlich Still. Hinter der Tür konnte er Tim schnarchen hören. Beim zweiten Versuch schaffte er es die Tür aufzuschließen. Das kalte Licht fiel in den Raum. Auf dem Boden lagen Klamotten und Bücher, aber auch ein paar leere Dosen schimmerten im Licht. Tim schlief, sein lautes, tiefes Schnarchen ließ keinen Zweifel zu. Avis schloss die Tür hinter sich. Mit der Taschenlampe seines Smartphones, bahnte er sich einen Weg durch das Chaos auf dem Zimmerboden und fiel erschöpft die Matratze seines Bettes. Sein Handy summte. Er warf einen Blick auf das Display. Das helle Licht blendete ihn kurz, bis seine Augen sich angepasst hatten. Nur Spam. Er wischte die E-mail weg, schaltete das Gerät auf Stumm und legte es auf seinen Nachttisch. Morgen war Samstag… er konnte Ausschlafen! Mit diesem schönen Gedanken im Hinterkopf glitten seine Gedanken langsam davon und er schlief ein.

CHAPTER 2 - Strange Days

Als er am nächsten Tag erwachte, warf er als erstes einen Blick auf sein Smartphone. Es war 11:15. Er hatte noch immer keine Antwort von Frederic erhalten. Avis legte das Gerät wieder hin und schloss die Augen. Eigentlich wollte er noch etwas weiterschlafen, doch ein penetrantes Klicken hinderte ihn daran. Er drehte den Kopf in Richtung von Tims Bett. Der Tiger saß aufrecht an die Wand gelehnt, seinen Laptop auf dem Schoß und tippte wild auf der Tastatur herum. Sein Gesichtsausdruck schwankte zwischen Freude, Enttäuschung, Panik und einer Vielzahl anderer Gefühle, und das fast im Sekundentakt. Entweder er versuchte gerade auf die Prüfung zu lernen oder er war am Zocken. Als ihm ein lautes “FUCK!” entfuhr, war Avis sich sicher, die Matheprüfung war noch zu weit entfernt, als dass Tim bereits darauf lernte und das war das einzige Fach, dass bei ihm derart starke Gefühle auslöste, also musste er gerade am verlieren sein. Tim schlug den Laptop zu. Für ein paar Sekunden starrte der Tiger ins Nichts. Sein Gesicht immer noch Wut verzerrt, seine Reißzähne traten deutlich hervor. Dann sah er, dass Avis wach war. Sein Gesicht entspannte sich. “Auch wieder da? Ging gestern abend länger? Warum hast du mich nicht eingeladen und von der Last des Physik Studiums befreit?” Er schaute ihn Vorwurfsvoll an und fletschte die Zähne leicht. “Um hinterher dafür verantwortlich zu sein, dass du exmatrikuliert wirst und damit meinen Mitbewohner verlieren? Du lernst fleißig weiter!” erwiderte Avis. Tim entwich ein tiefes Knurren. Er konnte wirklich bedrohlich wirken, doch Avis kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass Tim in Wirklichkeit einer der nettesten Typen war, die er je kennen gelernt hatte. Das Kissen kam aus dem nichts und traf den überraschten Vogel ins Gesicht. “Du hast mir gar nichts zu sagen.” Avis warf das Kissen zurück, stand auf und begann auf dem Boden nach noch tragbaren Kleidungsstücken zu suchen. Er warf sich ein T-Shirt über und begann die Suche nach einer Hose. Ein Handtuch über der Schulter, machte er sich auf den Weg zu den Duschen auf ihrem Stockwerk. Das lauwarme Wasser lief über sein Gefieder und drängte allmählich die letzten Reste der Müdigkeit zurück. Er schüttelte die letzten Tropfen aus der Flasche Gefieder Pflegemittel. Verdammt, er hatte vergessen Neues zu kaufen. Die leere Flasche warf er durch den Raum in Richtung des Mülleimers. Sie schlug nach dem halben Weg gegen eines der Waschbecken und fiel klappernd zu Boden.

Nach der Dusche warf er sich seine Klamotten wieder über und machte sich auf den Weg zur Mensa. Das Gebäude befand sich ziemlich zentral auf dem Campus. Es war ein hässlicher Betonblock. Immer wieder hatte die Uni Leitung das Gebäude “renovieren” lassen, doch das hat es nur noch schlimmer Gemacht. An den Tischen vor der großen Glasfront saßen einige andere Studenten. In der Küche, hinter der offenen Essensausgabe, standen Amanda, eine ältere Löwin, Samantha, ein Nilkrokodil und Arnold, ein Labrador, mit fleckigem Fell. Die drei gehörten schon seit Jahren fest zur Hochschule und waren nicht wegzudenken. Avis grüßte sie, bevor er sich am Buffet bediente. Mit seinem Tablett suchte er sich einen Platz im Außenbereich und setzte sich schließlich an einen leeren Tisch am Rand der Terrasse. Gerade als er Platz genommen hatte, vibrierte sein Handy. Frederic hatte geantwortet. “Sorry wegen gestern Abend. Danke fürs Fahren. Bald mal wieder was machen?” “Klar. Lad nächstes mal auch Carl und Bruce ein.” Die überraschende Antwort kam etwas verzögert: “Wer ist Bruce?” Avis wusste nicht, was er Antworten sollte. Ein paar Minuten später löste Frederic die Situation selbst auf. “Ok. Hat sich geklärt.” Und kurz darauf: “Scheint ganz nett zu sein” Avis musste schmunzeln, während er sein Müsli löffelte. Viele konnten sich gar nicht vorstellen, was für Schwierigkeiten das für einen Vogel bedeutete. Ein Schnabel ist nicht wirklich dafür geeignet, weswegen viele Vögel eher festes, gut portioniertes Essen bevorzugten. Doch Avis hatte es sich irgendwann angewöhnt und es war für ihn ein morgendliches Ritual geworden. Als er gerade seine Schüssel geleert hatte setzte sich jemand zu ihm an den Tisch. “Hi Avis. Du hast nicht zufällig das Zeug für Controlling?” Der Salamander, der sich zu ihm an den Tisch gesetzt hatte, hieß Terrence und besuchte den selben Studiengang wie Avis. Er wirkte ziemlich verzweifelt. “Zufällig habe ich den Stoff. Was brauchste? Der Preis ist der übliche.” Terrence Miene entspannte sich etwas. “Kein Problem, gib mir einfach alles was hast um Montag zu überleben, wenn ich da durch komm, bin ich am nächstes Wochenende auf jeden Fall dabei. Trauma Bewältigung!” “Komm nachher zu mir, dann geb ich dir das Zeug.” flüsterte Avis Terrence zu. Doch anscheinend war er nicht leise genug, denn ihm legte sich eine große, mit orangenem Fell überzoge Hand auf die Schulter. “Geheime Absprachen und illegaler Handel mit Informationen.” Marcus, ein mittelgroßer Rotfuch setzte sich zu ihnen an den Tisch. “Ich würde sagen, der Verdacht reicht für einen Durchsuchungsbefehl aus. Mal sehen, was dann zutage kommt”

Sie quatschten noch eine Weile, wobei Marcus sich weitere Kommentare zu Avis vermeintlichen Dealer Aktivitäten nicht verkneifen konnte. Der Fuchs hatte einen Faible für Gesetz und Recht. Der Jahrgangsbeste in Wirtschaftsrecht, jedoch gleichzeitig ohne jegliches Schuldgefühl. Eine böse Mischung. Gegen halb Eins entschied Avis, noch Sinnvolleres mit dem verbliebenen freien Tag, anzustellen. Er verabschiedete und verließ die Terrasse der Mensa, zurück in Richtung des Wohnheims. Als er zurück zu seinem Zimmer kam, stand die Tür offen. Im inneren herrschte immer noch das gleiche Chaos wie üblich, nur Tim fehlte. Doch seine Jacke lag noch zwei Meter von seinen Bett entfernt auf dem Boden. Also konnte der Tiger nicht fern sein. Er begann das Zeug für Terrence zusammen zu suchen. Aus den Papierbergen, die sich auf seinem Schreibtisch stapelten, zog er ein paar zerknitterte Seiten. Dabei achtete er genau darauf, keinen der Stapel zu weit zu bewegen, da dies unweigerlich zu einer Kettenreaktion führte, die die Instabile Ordnung, die auf dem Tisch herrschte, ins Chaos stürzen würde. Er überflog kurz die Aufschriebe. Was zum Thema passte, warf er auf sein Bett, die anderen schob er an ihren Platz zurück. Die Tür des Zimmers wurde aufgerissen und Tim stürmte in den Raum... Nackt! Das orangerote Fell klatschnass. Vor Schreck warf Avis das Blatt in seiner Hand zurück auf den Tisch und das Unheil nahm seinen Lauf. Der erste Stapel neigte sich in Richtung Tischkante. Der entstehende Luftzug riss weitere Türme um, bis diese Stadt des BWL Wissens sich in eine Ruine verwandelt hatte. "Tim! Was zur Hölle!!!" schrie er seinen Mitbewohner an. "Tschuldigung, irgendjemand hat mein Handtuch geklaut..." verteidigte dieser sich, doch es spielte keine große Rolle, denn wie um die Situation noch auf ein neues Level zu heben, riss jemand die Zimmertür auf. Terrence stand auf dem Gang, auf dem Gesicht eine Mischung aus Überraschung, Schreck, Panik, aber auch einer Spur Bewunderung und Neid, angesichts des muskulösen Rückens des nackten Tigers vor ihm. Um Tim herum hatte sich inzwischen eine kleine Pfütze gebildet und noch immer fielen große Tropfen aus seinem Fell zu Boden. Avis hatte sich endlich aus seiner Schockstarre gelöst. "Tim! Verdammt!" Er warf seinen Mitbewohner ein Handtuch zu. Dieser Reagierte zu spät und bekam es ins Gesicht. Warum zielten eigentlich immer alle auf den Kopf? Der Tiger entwirrte die das Tuch, das sich um seinen Körper gewickelt hatten und band es sich um. Terrence starrte immer noch perplex auf die Schultern des Tigers. Avis hatte sich inzwischen aus der Papierflut frei gekämpft und sammelte die Zettel auf seinem Bett zusammen. Er reichte den Stapel dem noch immer bewegungslosen Salamander hinter Tim. "Hier, damit solltest du Professor Klein besänftigen können." 

Der Wiederaufbau hatte begonnen. Die Trümmer wurden geborgen, sortiert neu gestapelt. Die gefallenen Türme wiedererrichtet, die Ordnung wiederhergestellt. Tim versuchte ihm zu helfen… so gut er konnte. Gegen 15 Uhr stand die großartige Stadt “BWL 1. bis 3. Semester” wieder. Damit waren drei weitere Stunden des freien Tages erfolgreich verschwendet. Er nahm einige Papiere vom höchsten Gebäude der Stadt, setzte sich mit diesen auf sein Bett und begann zu lernen. Die Prüfungen lagen zwar gefühlt noch in weiter Ferne, doch half es die Themen von Zeit zu Zeit nochmal anzuschauen. Die Fundamente der BWL Türme wurden erschüttert. Sein Smartphone vibrierte auf dem Tisch. Er zog das Gerät unter einigen Zentimetern Tabellen hervor. Eine neue Nachricht. “Hi. Haste Zeit? Bräuchte deine Hilfe.” Sie kam von Frederic. Mit einem letzten Blick auf seine Papierstadt entschied er, dass hier Verdrängung eine effektive Taktik wäre. “Was gibts?” schrieb er zurück. “Kannste mich abholen? Kann Carl irgendwie nicht erreichen.” An die Nachricht hängte er seinen Standort an. Am Rand der Stadt im Westpark. Er warf einen letzten Blick auf die Unterlagen auf seinem Bett. Sie starrten Unheilvoll zurück. Er warf sich eine Jacke über, die am Bettende lag und verließ den Raum. Die Sonne brannte auf die Hochschule herab. Als Avis die Tür seines Autos aufriss, kam es ihm vor, als hätte er einen laufenden Backofen geöffnet. Die schwarzen Kunststoffoberflächen des Kleinwagens hatten sie bis zu dem Punkt aufgeheizt, an dem es kaum möglich war, das Lenkrad, oder die Gangschaltung anzufassen. Trotzdem nahm er dies auf sich, ob um Frederic zu helfen, oder um möglichst viel Abstand zwischen sich und die Papiermassen in seinen Zimmer zu bekommen, wusste er selbst nicht so genau... vermutlich beides. Im Gegensatz zum Vortag, war die Stadt mit Autos überfüllt. Er brauchte für den knappen Kilometer durch die Innenstadt fast 30 Minuten. Schon an der ersten roten Ampel drehte er das Radio auf. Es lief Featherweight von den Avian Aviators. Seine Krallenhände tippten im Rhythmus auf das Lenkrad, während der Verkehr sich langsam (sehr langsam) wieder in Bewegung setzte. Als er endlich die Innenstadt hinter sich gelassen hatte, lichtete sich der Verkehr. Die Position, die Frederic ihm geschickt hatte, lag mitten in einem Industriegebiet. Avis war noch nie in diesem Teil der Stadt gewesen. Viele der Gebäude schienen verlassen. Scheiben waren eingeschlagen, oder vernagelt. An den Wände prangten großen Graffitis. Die Straßen waren leer. Nur selten rannte jemand eine der Straßen entlang. Bis auf eine Hyäne, die hektisch über die Straße sprintete, sich panisch um schaute und dabei Avis fast vors Auto lief, konnte er auch nicht erkennen was die Gestalten waren. Er hatte ein ziemlich ungutes Gefühl bei der Sache. Was machte Frederic in dieser Gegend. Vor einer verlassen wirkenden Lagerhalle hielt er an. Dies war die Stelle, die er ihm geschickt hatte. Er ließ den Motor laufen. Wie lange sollte er auf den Drachen warten. Nervös wanderte sein Blick die Straße entlang. Doch er konnte seinen Freund nirgends entdecken. Genauer gesagt konnte er niemanden entdecken. Die Straße war verlassen.

Jemand klopfte ans Fenster. Avis zuckte zusammen. Neben dem Auto stand eine Hyäne mit verfilztem Fell. War es dieselbe, die er fast überfahren hatte? Er ließ das Fenster herunter, aber nur einen Spalt weit. “Sorry wegen vorhin. Hab sie nicht gesehen…” Die Hyäne schaute irritiert zurück. “Keine Ahnung was du meinst. Stehst du schon länger hier?” “Ein paar Minuten, warum?” Was wollte die Hyäne von ihm. Sie wirkte nicht sonderlich Vertrauenserweckend. Ihr Gesicht zuckte und entblößte dabei einige scharfe Reißzähne. “Hast du einen Drachen gesehen? Groß, schwarz geschuppt, langes Maul.” Das klang sehr deutlich nach Frederic. Was wollte die Hyäne von ihm? Ihrem Gesichtsausdruck nach nichts gutes. Steckte er in Schwierigkeiten? “Nein. Hab hier niemanden gesehen.” Die Hyäne fuhr mit einer Kralle über die Scheibe des Autos. Das Quietschen ließ Avis einen Schauer den Rücken herunter laufen. Mit einem rascheln begannen seine Federn sich aufzustellen. “Bist du dir absolut sicher.” “JA!” antwortete Avis energisch. “Du wirkst aber so, als wüsstest du, von wem ich spreche, habe ich recht?” Ihre schleimig, süße Stimme verstärkte das Unbehagen weiter. Es gab ein klacken, als sie versuchte die Beifahrertür zu öffnen. Doch sie war verriegelt. “Naja, man kann es ja mal versuchen”, kommentierte sie den Versuch in das Auto einzudringen. Sollte er wegfahren und Frederic warnen. Er zog sein Handy hervor. Die Hyäne schlug gegen das Fenster. Mit einem Knacken bildete ein langer Riss im Glas. Sein Handy wählte Frederics Nummer. Es klingelte ein, zwei, drei mal. Er ging nicht ran. Die Hyäne war inzwischen um das Auto herum gelaufen und stand jetzt auf der Fahrerseite. “Mach das Fenster auf.” Sie schlug wieder gegen das Fenster. “Hör auf damit!” Eine kräftige Klaue packte den Randalierer an der Schulter und warf ihn auf den Boden. Er schrie schmerzerfüllt auf, doch Frederic setzte zusätzlich einen Fuß auf seine Brust. Die Hyäne gab eine keuchendes Lachen von sich. “Hey. Da bist du ja. Hab mich nur ein bisschen mit deinem Freund unterhalten. Netter Typ.” Frederic verstärkte den Druck auf ihren Brustkorb. “So war das gar nicht gemeint. Wir können über alles Reden.” “Haub ab!” zischte Frederic sie an. Er hob den Fuß und sie kroch von ihm weg, rappelte sich hoch und rannte weg. Avis entriegelte die Türen des Autos wieder und Frederic stieg zu ihm ein. “Was war das denn?” “Ein Freund... oder so ähnlich.” Frederic schaute die Straße hinunter, an deren Ende die Hyäne gerade um die Straßenecke humpelte.

“Was zur Hölle hast du für Freunde? Der hat mir fast die Scheibe eingeschlagen.” Wie um seine Aussage zu unterstützen, gab es ein Knirschen und der Riss kroch einige Zentimeter weiter durch das Glas. “Kollins ist… schwierig. Aber er kann Dinge, die nur wenige können.” Das klang irgendwie zwielichtig… oder sexuell. Hoffentlich ersteres. “Wo soll ich dich hinbringen?” “Nur möglichst weit weg von hier.” Avis bog auf die Stadtautobahn ein. Die breite vierspurige Straße brachte sie schnell ins Stadtzentrum. “Da vorne kannst du mich rauslassen.” Sie waren in einen Seitenstraße, in der Nähe des Selling Points. Avis hielt am Straßenrand. “Ach hier, fürs Fahren und für die Scheibe.” Bevor er ausstieg drückte er Avis einen Hunderter in die Hand. Auf Avis erstaunten Blick erwiderte er noch schnell “Das Geld hol ich mir von Kollins zurück.” Dabei grinste er Avis an, bevor er die Tür zuschlug. Der Riss wurde länger. Auch wenn Frederic so tat, als wäre alles normal, Avis spürte, dass irgendetwas ganz und gar nicht stimmte. Er schaute dem Drachen hinterher, der in der nächsten, schmalen, uneinsehbaren Gasse verschwand. Wieder lief ihm ein Schauer den Rücken hinunter und sein Gefieder raschelte unheilvoll. Warum ließ ihn das Gefühl nicht los, dass Frederic irgendetwas dummes vorhatte. Gut, wenn er sich in letzten Jahren nicht grundlegend geändert hatte, hatte er definitiv etwas dummes vor. Avis fasste einen Entschluss, den er später hoffentlich nicht bereuen würde. Er stellte den Wagen ab und folgte Frederic in die Gasse. Der Weg wurde schnell von einer Gasse zu nicht mehr als ein Spalt zwischen zwei Hauswänden. Wie der Drache es überhaupt hierdurch geschafft hatte würde wohl ein Rätsel bleiben, doch Avis schlanker Vogelkörper war hier endlich mal von Vorteil. Der Weg endete in einer Sackgasse. Keine Spur von Frederic. Als er zu seinem Auto zurückkam, war es gekommen, wie es kommen musste. Jemand hatte die Seitenscheibe vollends eingeschlagen. Die Splitter lagen auf dem Boden im und um das Auto verteilt. Der Inhalt des Handschuhfachs war auf dem Beifahrersitz und im Fußraum verteilt worden. Immerhin gab es nichts, was er klauen konnte, dachte Avis verbittert, während er das Glas möglichst gut zusammen kehrte und auf den Gehweg warf. Er knirschte mit dem Schnabel. Das würde einen großen Teil seines Monatsbudgets auffressen.

Frustriert fuhr er zurück zur FH. Als er auf den Parkplatz des Wohnheims rollte, war es bereits früher Abend. Die Sonne verschwand hinter dem Gebäude der Chemischen Fakultät, dessen Schatten schnell über das Gelände auf die Wohnblöcke zu kroch. Avis stellte den Motor ab und atmete tief durch. Was für ein verrückter Tag… Auf jedem Stockwerk des Wohngebäudes gab es eine kleine Gemeinschaftsküche. Die Schränke waren leer, die Spülmaschine und das Waschbecken voll mit dreckigem Geschirr. Er suchte in den Schubladen. Leer. In der Küche, einen Stock höher wurde er fündig. Mit einer Mülltüte und Klebeband versiegelte er die kaputte Seitenscheibe provisorisch. Der Plastiksack flatterte etwas im Wind, hielt aber irgendwie. Als er anschließend in sein Zimmer zurückkehrte, saß Tim wieder, oder immernoch? auf dem Bett mit seinem Laptop. Neben ihm mehrere Tüten von verschiedenen Lieferdiensten. Es roch nach einer skurrilen Mischung aus Asiatischen Essen, Burgern, Chips und Energy Drinks. Avis ließ sich auf sein eigenes Bett fallen. Dieses ächzte unter ihm. Erst jetzt bemerkte Tim ihn. “Wieder da?” “Immer noch hier?” konterte Avis. “Wo sollte ich sonst sein? Essen, Strom und W-Lan. Das Paradies.” antwortete Tim und hängte noch an “Wusstest du, dass die Lieferdienste bis aufs Zimmer kommen? Das heißt, man könnte Wochen lang überleben, ohne die Außenwelt zu betreten.” Avis murmelte etwas unverständliches, den Kopf im Kissen vergraben. Seine Gedanken kreisten bereits um andere Themen. Morgen würde er etwas tun müssen, das er eigentlich vermeiden wollte. Er hob seinen Kopf etwas, gerade weit genug, dass er einen Blick auf die Uhr auf seinem Nachttisch werfen konnte. Ja, definitiv erst Morgen. Morgen Mittag würde er seine Eltern anrufen. Er vergrub das Gesicht wieder in dem weichen Stoff. Warum war er so Müde? Er hatte heute nicht viel gemacht und trotzdem übermannte ihn der Schlaf in wenigen Sekunden.

CHAPTER 3 - Gespräche

Sonntag Morgen. 9:00. Die Zimmertür wurde eingetreten und eine Spezialeinheit stürmte das Zimmer im 1.Stock des Wohnheims. So fühlte es sich auf jeden fall an, als die Tür aufgerissen wurde und Marcus in den Raum stürzte, ein breites Grinsen auf dem Gesicht. “Was ist mit deinem Auto passiert?!” Avis schreckte hoch. Verwirrt starrte er den Rotfuchs an, der vor ihm Stand. “Marcus? Was machst du in unserem Zimmer?” murmelte Avis. Tim hatte sich von all dem nicht stören lassen und schnarchte weiter vor sich hin. “Wie hast du überhaupt die Tür aufbekommen?” Doch Marcus ließ sich nicht vom Thema abbringen. “Hast du die Personalien der Person? Seine Versicherung?” Immer noch von diesem Überfall mit Verhör geschockt stammelte Avis “Nnnein…” vor sich hin. “Warum vergessen die Leute immer die einfachsten Sachen. Also Anzeige gegen unbekannt. Kannst du den Täter wenigstens beschreiben?” Langsam wurde Avis wach. Er hatte anscheinend gestern vergessen die Tür zu verschließen. Es war bekannt, dass die Zimmertüren mit den richtigen Tricks leicht auf zu bekommen sind, wenn sie nicht richtig abgeschlossen waren. Trotzdem war es höchst seltsam, dass jemand eine Tür knackte, um den dahinter friedlich schlafenden Rechtlich zu beraten. Auf der anderen Seite war es Marcus, in der Richtung war ihm vermutlich fast alles zu zutrauen. Ein weiterer Grund, warum Avis sich sicher war, dass der Fuchs es später im Berufsleben entweder weit bringen, oder sehr schnell im Knast landen würde. Vielleicht auch beides. Doch jetzt war es Zeit seinen Enthusiasmus zu bremsen. “Erstens begehst du gerade Hausfriedensbruch und zweitens, ist die Sache bereits geklärt.” Das Grinsen auf Marcus gesicht verschwand. “Oh… schade. Tschuldigung wegen der Störung. Ihr solltet die Tür wirklich abschließen. Bei dem Ramen bekomm ich die sogar mit einer Kralle auf.” Dabei spielte er mit der langen Kralle seines Zeigefingers. “Danke für den Tipp” murmelte Avis, bevor sich zurück in das Kissen des Bettes falle ließ. Marcus stand noch ein paar Sekunden etwas planlos im Raum. Er hatte sich auf ein bedeutend längeres und ausführlicheres Gespräch vorbereitet. Schließlich entschied er, dass er hier wohl nicht gebraucht wurde und verließ das Zimmer. Die Tür fiel mit einem Klacken ins Schloss. Augenblicklich wurde es Still in dem kleinen Zimmer. Naja, so Still wie es in einem Raum mit einem schnarchenden Tiger werden konnte. Doch Avis merkte, wie er sich langsam daran gewöhnt hatte und es ihn kaum noch störte. Im Gegenteil, irgendwie hatte das tiefe, gleichmäßige Brummen etwas beruhigendes.

Er schlief nicht wirklich. Die Augen geöffnet starrte er gegen die weiße, etwas fleckige, Decke des Zimmers. Doch das Unweigerliche aufzuschieben auch keine Lösung war. Er tastete auf seinem Nachttisch nach seinem Handy. Unter einigen Seiten VWL Aufschrieben fand er das flache Gerät. Der helle Bildschirm blendete seine Augen, die sich an das Zwielicht des Zimmers gewöhnt hatten. Erst nach einigen Sekunden, konnte er auf dem Bildschirm etwas erkennen. “1 Verpasster Anruf von Frederic Blake” “1 Neue Nachricht von Frederic Blake” Wer schrieb noch SMS? “Hey, Sorry wegen gestern. Danke fürs Fahren und nochmal Sorry wegen Kollins. Der hat starke Aggressionsprobleme, ist aber sonst ganz OK. Heute Abend Zeit? 20:00 im Top Wing.” Avis schickte ein kurzes “OK” zurück. Dann öffnete er das Adressbuch. Seine Kralle schwebte einige Sekunden über dem Eintrag “Zuhause”. Er berührte das Glas des Bildschirms. Das Gerät begann zu wählen. Jetzt gab es keinen Weg mehr zurück. Nachdem es drei mal geklingelt hatte, nahm jemand auf der anderen Seite den Hörer ab. “Hallo?” eine piepsige Stimme meldete sich. “Hallo kleiner Bruder” antwortete Avis seinem Bruder Semnis. Auch wenn er ihn nicht sehen konnte, sprach das freudige Zwitschern Bände. Semnis hatte schon immer zu seinem großen Bruder auf gesehen. “Ist einer von den Eltern da?” “Hi Avis!” er machte eine kurze Pause. “Papa und Mama sind grad nicht da, müssten aber gleich zurückkommen.” “Dann warte ich kurz. Was macht eigentlich die Schule?” Es gab ein peinliches Schweigen, bevor Semnis mit schüchterner Stimme antwortete. “Ganz ok…” Avis konnte deutlich heraus hören, dass seinen Bruder etwas bedrückte. “Darf ich dir was sagen kleiner Bruder, du bist ein verdammt schlechter Lügner. Also wenn du reden möchtest, ich verpetzt dich nicht an die Eltern. Versprochen.” Semnis schien kurz zu überlegen. Um ihn aufzumuntern ergänzte Avis noch: “Ich hab das auch alles durchgemacht.” Zögerlich beichtete Semnis seinem großen Bruder: “Ich hab einen Eintrag bekommen.” Avis musste lächeln, was Semnis natürlich nicht sehen konnte. Er konnte sich nur zu gut an seinen ersten Eintrag erinnern. Er hatte Frederic ins Gesicht geschlagen. Der Drache hatte dabei einen Zahn verloren. Er hatte ein knappes Jahr eine Zahnlücke gehabt, bis der Zahn nachgewachsen war. Avis hatte sich Wochenlang nicht getraut es seinen Eltern zu erzählen. Er hatte den Brief der Schule verschwinden lassen. Schlussendlich hatte die Klassenlehrerin bei ihnen angerufen. Doch entgegen all seiner Befürchtungen, hatten seine Eltern ihm keine Strafe aufgebrummt, sie waren nur enttäuscht gewesen. Was damals für ihn viel schlimmer war. “Was hast du angestellt?” “Andrea hat mich geärgert. Ich hab sie geschubst, sie ist hingefallen und hat sich die Flughaut eingerissen. Ich wollte das nicht. Ich krig jetzt richtig Ärger oder?” seine Stimme zitterte. “Wie schon gesagt. Ich verpetze dich nicht” versuchte Avis seinen Bruder etwas zu beruhigen. “Doch früher oder später kommt es raus. Es kommt immer raus.”

“Aber darf ich mit den Eltern reden, bevor du es ihnen Beichtest? Ist für uns beide Besser.” Hoffentlich hatte er recht. “Aber mach sie nicht wütend.” “Ich geb mir Mühe.” In diesem Moment konnte man im Hintergrund die Haustür hören. “Sie sind wieder da.” Avis hörte die Angst in der Stimme seines kleinen Bruders. Dann zwitscherte die Stimme seiner Mutter durch das Haus. “Wir sind wieder Zuhause!” Semnis gab ein erschrecktes Piepsen von sich. “Kannst du mir bitte die Eltern geben?” bittete Avis seinen Bruder. Jetzt war es zu spät aufzulegen. Es dauerte einige Sekunden, bis Semnis sich aus seiner Schockstarre löste. “ok” piepste er leise. Avis konnte ihn durch das Haus trippeln hören. “Hi Mom. Hi Dad.” grüßte er die Eltern. “Hallo Kleiner.” begrüßte ihr Vater Semnis. “Avis ist am Telefon.” piepste Semnis. Jemand nahm ihm das Telefon ab. “Hallo großer Rabe. Wie gehts dir? Was verschafft uns die Ehre, dass du dich mal wieder meldest.” es war seine Mutter. “Hi Mom…” Es gab einige Sekunden der peinlichen Stille. “...ich habe ein Problem.” “Und schon ist die gute Laune hinüber. Wie können wir dir helfen?” “Ich brauche einen kleinen Vorschuss auf mein Geld für nächsten Monat.” Jetzt war es raus. Eine gewisse Last fiel von ihm ab. “Hast du irgendwelche Probleme?” fragte seine Mutter besorgt nach. Bestimmt glaubte sie, dass jemand ihn erpresste oder so. “Es hat nur ein Idiot meine Autoscheibe eingeschlagen.” Ok… das klang jetzt nicht sonderlich beruhigend. “Die Sache hat sich aber geklärt.” hängte er noch an, klang dabei aber anscheinend nicht sonderlich überzeugend. “Du weißt, dass du immer mit uns reden kannst. Wir finden eine Lösung.” “Es ist nichts. Ich brauche nur einen kleinen Vorschuss, für eine neue Scheibe. 120 Pado und die Sache ist erledigt. Das Geld könnt ihr mir nächsten Monat abziehen.” Um seine Mutter zu beruhigen hängte er noch “Es ist wirklich nichts” an. Sie schien noch immer nicht voll überzeugt, doch verstand, dass sie nicht weiter nachfragen sollte. “Ich muss mit deinem Vater reden, wie es diesen Monat mit dem Geld aussieht. Ich kann das nicht allein Entscheiden.” “Danke! Wie schon gesagt, das Geld könnt ihr mir nächsten Monat abziehen.” Irgendwie würde er es schon schaffen ohne die 120 Pado zu überleben. Um seine Mutter zu beruhigen und das Gespräch von dem Unangenehmen Thema abzulenken, erzählte er ihr, von Frederic. “Toll dass ihr euch wieder getroffen habt. In der Schule wart ihr unzertrennbar. Wie geht es ihm?” “Anscheinend gut. Er ist von Zuhause ausgezogen und arbeitet jetzt.” “Sind seine Eltern nicht Wohlhabend? Aber toll, wenn er sein Leben jetzt selber führt.” Sie redeten noch eine Weile, doch die Sorge verschwand nicht vollständig aus ihrer Stimme.

Nach dem Gespräch fiel eine Last von Avis Schultern. Er konnte regelrecht spüren, wie das bedrückende Gefühl der letzten Stunden von ihm abfiel. Die Tür wurde aufgerissen. Tim betrat den Raum. Mal wieder klatschnass, doch diesmal hatte wenigstens er ein Handtuch um. “Auch schon wach?” “Länger als du. Heute Morgen ist Marcus bei uns eingebrochen.” Tim ging langsam in Richtung seines Kleiderschranks, den Blick auf dem Boden gerichtet, bedacht auf nichts zu treten, was auf dem Teppich herum lag. “Deshalb schließe ich die Tür immer ab. Solltest du dir auch angewöhnen. Die Schlösser hier sind richtig scheiße.” Während er mit Avis redete suchte er in seinem Schrank und der näheren Umgebung nach Klamotten, die er anziehen konnte. Die übliche Kombination aus Jeans und Band T-Shirt würde schon passen. Das Logo der Rock Metal Legenden “Left at the Park” prangte auf der Brust. Avis versuchte nicht einmal die chaotische Muster zu interpretieren und stempelte es einfach als Kunst ab, ganz im Gegenteil zur “Musik” der Gruppierung. Wer dachte, es wäre eine gute Idee gewesen, einen Falken als Frontsänger zu nehmen, muss ein wahnsinniges Genie gewesen sein. Niemand bei klarem Verstand konnte glauben, dass die aggressiven, hohen Schreie auch nur annähernd etwas mit Musik und Gesang zu tun hatten. Doch es gab anscheinend genug Leute die ihm da widersprechen würden, Tim eingeschlossen. Vielleicht lag es auch daran, dass Säugetiere im allgemeinen hohe Töne besser hören konnten wie Vögel. Avis rappelte sich aus dem Bett hoch. Sein Magen knurrte. Nachdem er sich die Kleidung vom Vortag, die noch auf einem Haufen neben seinem Bett lag, übergeworfen hatte, machten er und Tim sich auf den Weg zur Mensa. Dabei kamen sie am Parkplatz des Wohnheims vorbei. Die Plastiktüte vor dem kaputten Fenster flatterte im leichten Wind, der über das Gelände der Hochschule blies. Einige braune Blätter, der hohen alten Bäume tanzten in der Luft, getrieben vom Laubbläser des Hausmeisters. Der alte Dachs trug das schwere Gerät auf dem sichtbar krummen Rücken und blies das Laub zu einem größeren Haufen zusammen. Sie hatten den Betonbunker erreicht. Nur wenige Studenten saßen an den Tischen im Außenbereich. Die meisten hatten sich aufgrund der Temperaturen einen Platz im Inneren gesucht. Als sie das Gebäude betraten, schweifte Avis Blick über die anwesenden Studenten. Einer Gruppe aus seinem Wirtschaftskurs winkte er kurz zu, bevor Avis Zielstrebig auf einen Tisch zu steuerte, an dem Marcus und Terrence saßen. Der Salamander und der Fuchs hatten Tabletts mit Essen vor sich stehen, dass beide noch nicht angerührt hatten und waren in ein intensives Gespräch vertieft.

Tim legte seine Jacke auf den Platz neben Terrence, dabei schnappte er einige Fetzen ihres Gesprächs auf. “...du willst das wirklich durchziehen?” “Klar, dass wird ein witziges Ding.” antwortete Marcus leise. “Das ausgerechnet du auf so eine Idee kommst.” “Ich bin der einzige, der auf eine so geniale Idee kommen kann...” Er hatte Tim und Avis bemerkt. Nach dem ersten Schreck, breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus. “Was auch immer ihr gehört habt, sagt es niemandem weiter. Ihr werdet es früh genug sehen, zusammen mit all den anderen.” Avis schaute Terrence fragen an, doch dieser erwiderte nur “Ich sage nichts. Das musste ich Marcus vertraglich zusichern.” Marcus machte mal wieder keine halben Sachen. Avis Magen knurrte und er entschied, dass weiter da zu Sitzen und zu versuchen etwas aus Marcus heraus zu bekommen (was nahezu unmöglich war), oder Terrence zum Vertragsbruch zu bewegen (was vermutlich nicht ganz so schwierig war, er dem Salamander jedoch nicht antun wollte). Er stand auf, wobei er seine Jacke auf dem Platz zurück ließ und machte sich auf den Weg in Richtung des Buffets. Tim war vor ihm in der Schlange und bediente sich bereits großzügig an Rührei, Bacon und Frühstücksfleisch. Avis entschied sich für sein übliches Müsli. Als sie zum Tisch zurück kehrten, beendeten Marcus und Terrence ihr Gespräch, noch bevor sie mehr von dem verschwörerischen Plan mitbekommen konnten. Nachdem sie sich gesetzt hatten, sprach Avis Terrence an. “Also Terrence, du schuldest mir noch etwas. Heute Abend wäre eine gute Möglichkeit diese Schuld zu begleichen.” Marcus ermunterte den Salamander zusätzlich. “Als dein Rechtlicher Beistand empfehle ich dir, dieses Angebot anzunehmen, jedoch deinen Rechtlichen Beistand ebenfalls mitzunehmen, für den Fall, dass dieser finstere Geselle dich weiter erpressen möchte.” Terrence wirkte von der Idee nicht abgeneigt. “Klar, warum nicht. Wann und wo?” “20:00 im Topwing” “Den Laden gibts noch?” folgte prompt die Gegenfrage. Gab es einen Grund, dass niemand glauben konnte, dass die Bar so lange überlebt hatte? Ja gut, es hatte da mal diesen Zwischenfall gegeben, aber seitdem hatten die Besitzer viel getan, um die Reputation des Ladens wiederherzustellen. “Ja und er hat sich stark verbessert. Neuer Besitzer, neues Personal, NEUER KOCH. Ist jetzt fast n Geheimtipp” antwortete Avis. “Naja, sollte einer von uns sterben, haben wir unseren möchtegern Anwalt, der daraus bestimmt gut Profit schlagen kann.” Terrence zwinkerte Marcus zu, der als Antwort nur ein breites Grinsen zog. “Kommst du eigentlich auch mit?” die Frage ging an Tim, der das Gespräch bisher schweigend verfolgt hatte, während er sich über die gewaltige Portion Rührei hermachte. Es dauerte ein paar Sekunden, bis er gekaut und runtergeschluckt hatte. Trotzdem hingen noch einige Fetzten zwischen seinen langen Zähnen. “Mal schaun” murmelte er vor sich hin. “Hey komm! Du hast schon die letzten Male gefehlt. Wir geben dir auch einen aus.” Terrence schien protestieren zu wollen, doch Marcus stieß ihm seinen Ellenbogen in die Rippen. “Als dein Rechtlicher Beistand muss ich dir in dieser Situation davon abraten, zu widersprechen.” Er grinste die anderen beiden an.

Um 19:30 saßen sie zu viert in Avis Auto. Die Plastiktüte flatterte noch immer im Wind. Irgendwann in der nächsten Woche, würde er das Fenster reparieren lassen, doch jetzt musste das Provisorium noch halten. Marcus und Terrence saßen auf der Rückbank, Tim auf dem Beifahrersitz. Der Tiger hatte den Kopf zur Seite gelegt, um in dem kleinen Auto Platz zu finden. Trotzdem kratze sein Ohr an der Stoff bespannten Decke. Aus dem Radio dröhnte das neuste Album von Avis Lieblingsband. Nach einer kurzen, wenig ergiebigen Diskussion, hatte er als Fahrer entschieden und die anderen haben das, zum Teil etwas widerwillig akzeptiert. Er setzte den Wagen langsam zurück und sie verließen das Gelände der Hochschule in Richtung Innenstadt. Marcus stichelte weiter gegen den armen Terrence, der, so weit wie möglich, auf dem Sitzt zusammengesunken war und sichtlich genervt nach vorne starrte. Schon aus der Ferne, sah Avis die lange Autoschlange die im Schneckentempo durch die Stadt kroch. Er reihte sich am Ende der Reihe, die in Richtung Stadtzentrum führte. Marcus hatte inzwischen angefangen, Andeutungen zu dem großen Ding zu machen, dass er und Terrence planten. Terrence schwieg. Der Salamander hatte seinen Kopf gegen die Scheibe gelehnt und starrte hinaus auf die Stadt. Es hatte begonnen zu regnen. Dicke Tropfen liefen das Glas hinunter. Die Schlieren, die sie hinterließen, verzerrten die Außenwelt. Lichter, wie Ampeln, Autoscheinwerfer und Reklamen vermischten sich zu einem Farbenmeer. Marcus brauchte einige Sekunden, um zu bemerken, dass er ihm nicht mehr zuhörte. Er versuchte mit ein paar ominösen Andeutungen seine Aufmerksamkeit zurück zu erlangen, doch als Terrence auch darauf nicht reagierte, verstummte Marcus. Augenblicklich wurde es still in dem kleinen Auto. Die leisen Geräusche der Außenwelt wurde größtenteils durch das Trommeln der Regentropfen auf der Karosserie übertönt. Avis warf einen Blick auf die Ziffern der Uhr im Armaturenbrett. 19:53. Sie würden auf jeden Fall zu spät kommen. An der nächsten roten Ampel kramte er sein Handy aus der Tasche hervor. Schnell tippte er eine Nachricht an Frederic. Gerade als er auf Absenden drückte, ließ ihn die Hupe, des Autos hinter ihnen, zusammen fahren. Sein Handy flog einen kleinen Bogen und landete zu Tims Füßen. “Kein Handy am Steuer!” kam das Kommentar von der Rückbank. Avis legte den Gang ein und fuhr, unter wiederholtem, aggressivem Hupen des Hintermanns, an. Während sie sich einen Weg durch den Verkehr bahnten, versuchte Tim das Handy aus dem Fußraum zu fischen. Doch Aufgrund seiner Statur, erwies es sich als kein leichtes Unterfangen, weswegen er es nach einigen Versuchen aufgab. Zehn Minuten später rollten sie in die Tiefgarage unter dem Gebäude, in dem sich auch das Topwing befand. Avis quetschte sein Auto in eine kleine Lücke, am hinteren Ende und stellte den Motor ab. Nachdem Tim ausgestiegen war, was in der Enge der Tiefgarage eine weitere Herausforderung dargestellt hatte, konnte Avis sein Handy endlich aus dem Fußraum fischen. Um 20:12 stiegen sie die Treppen zur Straße hinauf. Während sie die letzten Meter zur Bar zurück legten, hielt Avis nach Frederic Ausschau. Doch bevor er den Drachen erblickte, fiel ihm eine andere massige Gestalt ins Auge, die an einem Tische vor dem Laden saß. Der Betreiber hatten Schirme gegen den Regen aufgespannt, dennoch saßen die meisten Gäste im Innenraum der Bar. Als die vier sich dem Käfer näherten, bemerkte Avis eine kleinere Gestalt, die neben ihm saß. Der schlanke Körper verschwand fast komplett unter dem muskulösen Arm, den Bruce um ihn gelegt hatte.

Avis winkte Bruce und Carl zu. Der Fuchs schob den Arm auf seiner Schulter etwas zur Seite und winkte zurück. Avis, Tim und Marcus setzten sich auf die drei verblieben leeren Stühle am Tisch. Terrence stand einige Sekunden orientierungslos neben den andere, während sein Blick über den Tisch und die darum sitzenden wanderte. Marcus griff nach einem Stuhl von einem Nebentisch und zog ihn heran. Das kratzen des Metallbeine auf dem Boden, ließ Avis einen Schauer den Rücken hinunter laufen. Unter gut hörbarem Feder Rascheln schüttelte er sich. “Sorry…” kam es leise von Terrence. Noch bevor jemand etwas sagen konnte, tauchte eine dunkle Gestalt hinter Terrence Rücken auf. Der Rabe starrte die Gruppe aus tiefschwarzen Augen an. Er breitete bedrohlich die Flügel aus. Zwischen dem schwarzen Gefieder wurde ein helles Jacket sichtbar. “Guten Abend. Kann ich ihnen etwas bringen?” fragte der Kellner mit einem freundlichem Tonfall. Der Laden hatte sich definitiv gebessert, doch am auftreten ihres Personals, gab es noch Verbesserungsbedarf. Avis Handy vibrierte. “2 ungelesene Nachrichten von Frederic Blake” “Hey sorry. Komm etwas später. Ist was dazwischen gekommen.” “Fangt schon mal ohne mich an. Vorstellungsrunde und so” Avis informierte die anderen. “Wir sollen schon mal ohne ihn loslegen. Er kommt später. Also wer fängt mit dem Vorstellen an?” “Ich bin Bruce und der Kleine hier ist Carl.” brummte der Käfer. Carl schob Bruce Arm etwas zur Seite und grinste die anderen an. “Der Große hier ist ein ganz lieber.” Ergänzte Carl und verrenkte sich, um Bruce auf die Schulter zu klopfe, der ihn noch immer mit seinem Arm fest umklammerte. Dieser brummte zustimmend. “Ich bin Marcus und das hier ist mein Mandant und Freund Terrence.” Der Salamander nickte den anderen zu. Das Gesicht zu einem gezwungen Lächeln verzerrt. Die übliche Vorstellrunde ging weiter und während die kleine Gruppe einander kennen lernte, verstrich die Zeit. Avis schaute immer wieder auf sein Handy. Wo blieb Frederic? Das Gespräch am Tisch driftete über die üblichen Themen, Studium/Arbeit, Freizeit, Sport (was zu einem Streit zwischen Bruce und Tim führte. Die alte Norths, Guardians Feindschaft). Für Avis war das Thema einfach nur stinklangweilig, weshalb er stattdessen auf seinem Handy herum tippte und dem Gespräch kaum Beachtung schenkte. Immer wieder öffnete er den Chat mit Frederic, doch dieser meldete sich nicht. Hin und wieder schnappte er fetzten der Unterhaltung auf und wartete, dass sie sich in eine interessantere Richtung entwickelte. Marcus hatte sich jetzt auch in die Diskussion eingemischt und gab seine Meinung und vorallem Tipps und Schlupflöcher zum Thema Sportwetten dazu. “Ist das nicht irgendwie Illegal?”, wurde er von einer Stimme unterbrochen und Sekunden später schälte sich die Gestalt von Frederic aus den Schatten hinter einer Säule. Der Drach trug einen grauen Kapuzen Hoodie, die Hände in der Tasche. Hinter ihm tauchte eine weitere Person auf. Es war Kollins. Die Hyäne hatte den Kopf eingezogen, als hätte sie Angst und schaute schüchtern die um den Tisch sitzenden an.

Avis zuckte beim Anblick von Frederics Begleiter zusammen. Die Erinnerung an gestern Abend waren noch allzu lebendig, wozu auch das flattern der Plastiktüte während der Herfahrt beigetragen hatte. Als sich ihre Blicke trafen, zuckte Kollins zusammen und starrte schnell wieder auf den Boden. Er wirkte kein bisschen mehr Bedrohlich, eher im Gegenteil. Avis wusste nicht warum, doch die Hyäne tat ihm irgendwie leid. Kollins setzte sich neben Frederic, der ihn mehr als einen Kopf überragte und ihn dadurch noch kleiner und schmächtiger erscheinen ließ. “Abend. Sorry fürs zu spät kommen. Musste ihn noch abholen und dachte, ich könnte ihn gleich mitbringen.” “Hi…” Die Hyäne setzte an, doch brach ab und starrte kurz verunsichert zu Boden. “Ich bin Kollins.” murmelte er, dabei vermied er weiter jeglichen Augenkontakt. Avis war sich nicht sicher, ob das wirklich dieselbe Person war, die ihn am Vortag noch bedroht hatte. Frederic stieß ihn an. “Wolltest du nicht…?” Kollins schreckte auf. “Sorry wegen Gestern…” murmelte er, weiter auf den Boden starrend. Frederic stieß ihm seinen Ellenbogen in die Seite. Die Hyäne zuckte zusammen und heulte auf. Das Geräusch fuhr Avis bis in die Knochen. Es war ein heiseres, trockenes Fauchen. Kollins versuchte Frederics Arm weg zu drücken, doch hatte er gegen den großen Drachen keine Chance. Langsam hob er den Blick und schaute Avis an. “Sorry wegen der Scheibe. War gestern schlecht drauf...” Sein Blick glitt in die Fern und schaute an Avis vorbei, irgendwo ins Nichts. “Es tut ihm Leid und er wird dir das Fenster zahlen.” fasste Frederic zusammen, wobei er Avis an grinste. “Dann wäre das jetzt geklärt.” Der Drache winkte den Kellner zu ihrem Tisch und bestellte zwei Bier. Das Gespräch driftete langsam wieder in die üblichen Bahnen und während Frederic sich begeistert, mit zum Teil etwas seltsamen, aber auch unterhaltsamen Argumenten, daran beteiligte, gab Kollins nur selten etwas von sich, meist wenn Frederic ihn direkt ansprach. Obwohl er sich schüchtern gab, konnte Avis es ihm nicht wirklich abkaufen. Irgendetwas stimmte mit der Hyäne nicht, da war er sich sicher. Die Zeit verstrich, der Alkoholpegel stieg. Nach dem vierten Bier starrte Terrence mit glasigen Augen auf das leere Glas vor ihm. Frederic, Marcus und Tim diskutieren noch immer. Kollins starrte ins Leere. “...und plötzlich zieht dieser Brummer hier bei uns ein.” Frederic stieß Bruce an. Dieser zeigte erst keine Reaktion, doch brummte er nach einigen Sekunden zustimmend. “Fast hätte mein lieber Vermieter mich vor die Tür gesetzt, damit sein Freund einziehen kann.” Frederic schaute Carl vorwurfsvoll an. “Damit du weiter ein Dach über dem Kopf hast, habe ich den Hobbyraum aufgegeben” verteidigte sich der Fuchs und ergänzte noch “Eigentlich bist du doch nur neidisch.” Frederic stieß ein Lachen aus. “Nichts gegen dich Bruce, aber du bist definitiv nicht mein Geschmack.” “Kein Problem, ich mag auch eher kleinere.” konterte der Käfer und tätschelte Carls Kopf. Bruces Hand war fast so groß wie der Kopf des Fuchses, doch war der Muskelprotz erstaunlich sanft, als er seinem Freund übers Fell strich. Die beiden gaben ein seltsames, aber auch süßes Paar ab.

Es war schon nach Mitternacht. Die Nacht war kalt geworden. Bruce hatte seine Jacke ausgezogen und sie dem zitternden Carl über die Schultern gelegt. Er selbst hatte jetzt zwar nur noch einen dünnen Pullover an, störte sich aber anscheinend nicht an den Temperaturen. Das gleiche traf auch auf Frederic zu. Der Drache hatte sich entspannt zurück gelehnt und einen seiner Flügel um die Hyänen neben ihm gelegt. Die dünne, schwarze, Flughaut war gut durchblutet und gab deshalb viel Wärme ab. Kollins hatte sich gegen den Drachen gelehnt. Avis spürte, wie er langsam müde wurde. Er hatte sich in seine Jacke gekuschelt und starrte aus glasigen Augen in die Ferne. “Bleiben wir noch lange?” Damit hatte er anscheinend ausgesprochen, was die anderen auch bereits gedacht hatten. Avis hielt ausschau nach dem Kellner, doch diese war weit und breit nicht zu sehen. Niemand war zu sehen. Sie saßen allein vor der Bar. Also musste jemand aufstehen und den Kellner holen. Nach einem kurzen, stummen Blick Austausch, starrten alle auf Avis. Alle außer Carl, der die Augen geschlossen an Bruce Schulter lehnte und anscheinend bereits schlief. Bruce schüttelte ihn sanft wach, während Avis aufstand um den Kellner zu holen. Als er die Tür zum Top Wing auf drückte, kam ihm ein Wand warmer Luft entgegen. Auch im Innenraum war wenige los. Die meisten Gäster waren anscheinend schon gegangen. Der Barmann, putzte gelangweilt Gläser. Dabei betrachtete er mit seinen kleine Knopfaugen jedes Glas genau. Avis vermutete jedoch, dass er dies tat um überhaupt etwas zu erkennen und nicht um besonders gründlich zu sein. Was genau er konnte Avis nicht identifiziere, doch aufgrund seiner regelmäßigen Flüche, die stark russisch klangen, war er sich sicher dass er irgendwo aus dem Osten kommen musste, vielleicht aus Rus oder Moskovia. Der Desman hatte graues, glattes Fell und eine lange rüsselartige Nase. Er schien stark kurzsichtig zu sein, denn er bemerkte Avis erst, als dieser direkt vor dem Tresen stand. “Wir würden gerne Zahlen.” Der Barkeeper erstarrte, ein Glas nur weniger Millimeter vor seinem Gesicht. “Welcher Tisch?” fragte er mit starkem Russischen Akzent. “Der einzige besetzte draußen.” “Oiski Poiski. Faun kjommt gleich.” antwortete er und rief nach dem Kellner. Nach einigen Sekunden tauchte der Rabe neben dem Tresen auf. “Die draußen mochten Zjahlen. Kjannst du dich drum kummern?” “Klar Faun.” Der Rabe nickte dem Barmann zu und verschwand dann durch eine Tür hinter dem Tresen. “Er kjommt gleich. Oiski Poiski?” Avis nickte. Als der Desman nicht reagierte antwortete Avis “Oiski Poiski!” “Vjersuchst du djch uber miach lustig zu machen?” “Nein. Sorry. War nicht meine Absicht.” ruderte Avis zurück und entfernte sich einige Schritte vom Bartresen. “Hjoffe iach fur dich.” Hastig verließ Avis die Bar.

“Ich übernehm die Caipis. Ohne dich hätte Klein mich in der Luft zerrissen.” “Frederic, kannst du mein Zeug zahlen. Ich zieh das auch von der nächsten Miete ab. Bin grad etwas Blank.” Der Kellner tippte hektisch auf dem kleinen Gerät in seiner Kralle herum. Seine langen Finger klackten auf dem Touchscreen. Eine Kralle kratze über das Glas. Das Geräusch, dass dabei entstand, ließ Tim zusammen zucken. Dem Tiger entwich ein böses Knurren. Der Kellner machte erschrocken einen Schritt zurück und entschuldigte sich, bevor er die Aufteilung der Kosten forsetzte. Am Ende blieb ein Getränk übrig. “Wer hatte das stille Wasser?” Die Freunde schauten einander an. Niemand meldete sich. Der Blick des Kellners wanderte über die kleine Gruppe. “Ein stilles Wasser?“ Der Kellner wirkte Verunsichert. “hier” erklang eine leise, heisere Stimme. Die Blick der Gruppe wanderten in die Richtung, aus der das flüstern gekommen war. Avis Blick blieb an Frederic hängen. Dieser zeigte keine Regung. Kollins neben ihm hatte jedoch begonnen in den Taschen seiner Jacke zu wühlen. Er warf eine Reihe kleiner Gegenstände auf den Tisch. Zerknülltes Papier, Schlüssel, Tabletten und ein Haufen Kleinkram landeten vor ihm, bevor er einige zerknitterte Geldscheine hervor zog. Er drückte dem Raben einen Fünfer in die Hand. Der Kellner wartete kurz, dann zählte er das Wechselgeld ab und legte die Münzen vor der Hyäne auf den Tisch. Während die anderen bereits aufstanden, kehrte er den kleinen Haufen vor sich zusammen und stopfte den Kram wieder in seine Taschen. Zuletzt schob er die Packung Tabletten wieder in seine Jacke. Davor nahm er jedoch eine davon heraus und warf sie sich in den Mund. Mit einem Knirschen zermahlte er sie zwischen seinen spitzen Zähnen. Gedankenverloren starrte er einige Sekunden ins Nichts, bevor Frederic ihn sanft an der Schulter packte und vor sich her schob. Carl und Bruce folgten ihnen. Die anderen machten sich auf dem Weg in Richtung der Tiefgarage. Avis brauchte mehrere Versuche, um das kleine Auto aus der nur wenig größeren Parklücke zu bekommen. Einmal erwischte er mit dem Seitenspiegel den Kombi auf dem Parkplatz neben ihnen. Doch durch die Initiative Terrence, dessen Warnschrei in dem kleinen Innenraum fast Ohrenbetäubend laut war, wurde die Katastrophe noch verhindert. Avis trat das Bremspedal durch. Durch den plötzliche Stopp wurden die Insassen des Autos nach vorne geschleudert. Tim schlug mit dem Kopf gegen die Decke des Autos. Es gab ein dumpfes “Thump” und er stieß ein Jaulen aus. Beim nächsten Versuch klappte das Ausparken und sie machten sich auf den Weg zurück zur Hochschule.

CHAPTER 4 - Absturz

Es war Montag Morgen. 7:30. Der Wecker seines Smartphones riss Avis aus dem Schlaf. Die Augen noch immer geschlossen tastete er auf seinem Nachttisch danach. Das Gerät spielte weiter die ersten Takte von “The Path to the Skies”, von Avian Aviators, während Avis Hand sich auf der Suche danach durch Papierstapel wühlte. Nach der dritten Wiederholung fand Avis das Gerät, zog es aus dem Chaos und stellte den Alarm ab. Sein Kopf fiel zurück ins Kissen. Er schloss die Augen. Tims lauts Schnarchen war das einzige Geräusch im Raum. Ein Teil von Avis wollte einfach liegen bleiben, auch wenn an weiterschlafen war wegen Tim kaum zu denken war. Doch die leise Stimme in seinem Hinterkopf, von dem Avis vermutete, dass es sein Gewissen war, drängte ihn dazu aufzustehen. Sein Bein machte sich langsam auf den Weg in Richtung Bettkante. Langsam richtete Avis sich auf und schüttelte sein Gefieder. Ein kleine Staubwolke breitete sich um ihn herum im Raum aus. Der feine Puder zog in seine Lungen und entlockte Avis ein krampfhaftes Husten. Aus Tims Richtung kam ein leises Knurren. Der Tiger drehte sich mit dem Kopf in Richtung Wand und schlief weiter. Der glückliche. Avis Fuße hatte inzwischen die Kante des Bettes überquert und kippte in Richtung des Fußbodens. Etwas knirschte unter seiner Kralle. Langsam zog das Bein den Rest des Körpers hinterher. Halb schlafwandelnd machte sein Unterkörper sich auf den Weg in Richtung Duschen. Dabei zog er seinen Oberkörper hinterher. Als er an seinem Schrank vorbeikam, zog sein linker Arm ein Handtuch, dass über der halb offenen Tür hing, herunter und schleifte es hinter ihnen her. Auf dem Weg durch den Gang musste er wie ein Zombie wirken. Ein Zombie Vogel. Erst unter der Dusche erwachte nach und nach auch der Rest seines Körpers. Zuletzt das bisschen Verstand, dass er heute morgen benötigen würde. Als er ins Zimmer zurückkehrte saß Tim aufrecht im Bett. Seine Augen waren geschlossen. “Meditierst du?” fragte Avis, während er Klamotten für den Tag zusammen suchte. Irgendwann die nächsten Tage würde er mal wieder Waschen müssen. Er wartete noch eine Minute, doch Tim antwortete ihm nicht. Da inzwischen wenigstens die wichtigsten Grundfunktionen seines Verstandes funktionierten, machte er sich auf den Weg in Richtung Mensa. Trotz der Sonne, die langsam über das Gelände kroch, war es kalt. Auf dem Gras glitzerte Eis des Morgentaus. Er erreichte den grauen Klotz im Zentrum der FH. Heute saß niemand an den Tischen vor dem Gebäude. Der Wind hatte auch die letzten ins Innere getrieben. Auch Marcus. Er saß an einem Tisch mit mehreren anderen Studenten, von denen Avis jedoch keinen einzigen kannte. Terrence war nirgends zu sehen. Seltsam. Nachdem Avis sich sein Frühstück geholt hatte, heute ohne Müsli, für diesen Luxus reichte die Zeit einfach nicht, setzte er sich zu Marcus an den Tisch. “Morgen Avis” er klang besorgt. “Morgen… wo ist Terrence.” Es war ungewöhnlich den Fuchs ohne seinen Salamander Freund zu sehen. “Sitzt bei der Krankenschwester. Hab ihn vorhin hin gebracht.”

Der Salamander hatte heute Morgen anscheinend einen Blackout gehabt. War kurz nach dem Aufstehen einfach umgekippt. Marcus hatte ihn zur Krankenschwester getragen. Terrence war zwar einen Kopf kleiner wie der Rotfuch, trotzdem war das Gewicht der Amphibie nicht zu unterschätzen. “Du hast ihn bis zum Center getragen?” Von den Wohnheimen bis zum Verwaltungsgebäude waren es fast 800 Meter. “Und in den 3. Stock” ergänzte Marcus. “Und? Was hat die Doc gesagt?” “Nichts. Verdammter Datenschutz. Die müssen das auch immer so genau nehmen.” Marcus regte sich darüber auf, dass jemand sich an Gesetze hielt? Das allein war normalerweise schon ein Grund besorgt zu sein. Wäre es nicht um etwas so ernstes gegangen, hätte Avis Marcus vermutlich damit aufgezogen, doch die Situation und die Verzweiflung und Sorge in Marcus Stimme, erstickten jeglichen Keim von Humor in Avis. Ein Weile saßen sie sich schweigend Gegenüber und aßen ihr Frühstück. Wobei eigentlich nur Avis wirklich etwas zu sich nahm. Marcus starrte nur auf den Teller und stocherte etwas darin herum. Dann war es auch schon Zeit für die erste Vorlesung des Tages. Doch während Avis aufstand um sich auf den Weg zu Gebäude 3 zu machen, blieb Marcus sitzen. “Wenn jemand fragt. Ich komm heute nicht.” murmelte er. Avis fühlte mit seinem Freund mit, doch konnte er es sich im Gegensatz zu ihm nicht leisten, diese Vorlesung zu verpassen. “Es ist bestimmt nichts ernstes. Vielleicht hat er den Abend gestern nicht so gut vertragen.” versuchte Avis noch Marcus etwas auf zu muntern, bevor er aus der Mensa stürmte. Er rannte quer über den Rasen auf den großen Kasten zu, in dem die Wirtschaftsfakultät untergebracht war. Das Gras, der Tau und vertrocknete Blätter knirschten unter seinen Schuhen und auch nachdem er die Grün-, oder zur zeit eher Braunfläche, verlassen hatte, hinterließ er noch Nasse Schuhabdrücke und das eine oder andere Blatt auf dem Teer des Weges. Er drückte einen Flügel der schweren Eingangstür auf und schlüpfte ins Innere des Gebäudes. In den breiten Gängen war es nur wenige Grad wärmer wie außerhalb, gerade genug, dass man den Unterschied spüren konnte. Als Avis den Vorlesungssaal betrat saßen die meisten anderen Studenten bereits auf ihren Plätzen. Professor Klein stand bereits am hinteren Ende des Raums. Der alte Retriever lief langsam auf und ab und traf dabei die letzten Vorbereitungen für die Vorlesung. Was in seinem Fall bedeutete, das Wort Script noch einmal durchzugehen und zu überprüfen ob alle Seiten in der richtigen Reihenfolge waren. Es war bei ihm schon des Öfteren vorgekommen, dass das Eine oder Andere durcheinander gekommen war. Meist fiel das während der Vorlesung niemandem auf, da es eh kaum jemanden gab der versuchte und es auch schaffte seinen Vorträgen zu folgen. Doch seit die FH viele der Vorlesungen aufzeichnete und online zur Verfügung stellte, ging eine Gewisse Paranoia unter den Professoren und Lehrkräften um. Avis setzte sich auf seinen üblichen Platz. Zwei Stühle neben ihm blieben frei. Während der Vorlesung versuchte er sich auf den Vortrag von Professor Klein zu konzentrieren, doch erwischte er sich selbst immer wieder dabei, wie er auf die leeren Plätze starrte, an denen für gewöhnlich Marcus und Terrence saßen. Wiederholt drifteten seine Gedanken in Richtung Terrence. Hoffentlich war es nichts ernstes. Die Ungewissheit nagte an ihm und so holte er noch während der Vorlesung sein Handy heraus und begann eine Nachricht zu tippen… aber an wen sollte er sie schicken? Marcus wusste genauso wenig wenig wie er selbst und direkt an Terrence… er hatte sein Handy bestimmt nicht dabei. “hey avis” flüsterte eine Stimme hinter ihm. Er zuckte zusammen. Ein Wolf, eine Reihe weiter oben, hatte sich über seinen Tisch nach vorne Gebeugt. Avis hatte ihn bisher nur flüchtig kennen gelernt, doch kam er ihm nicht wie die vertrauenswürdigste Person vor.

“Hast du eine Ahnung was mit Terrence und Marcus ist?” Avis überlegte kurz. Terrence würde bestimmt nicht wollen, dass man die Sache überall herum zwitschert. “Sorry. Kann dir leider nichts sagen.” “Verstehe schon. Ich mach mir nur Sorgen. Marcus ist mir heute Morgen auf dem Gang entgegen gekommen, Terrence in den Armen. Erst hab ich gedacht… naja, du weißt schon, aber war schon seltsam.” Er stotterte etwas, als wäre es ihm Peinlich, diese Annahme geäußert zu haben. “Verstehe schon. Die beiden sind SEHR gute Freunde, doch das heute Morgen war leider was ernstes.” “Ich hatte da schon eine böse Ahnung. Weißte, was es ist? Ich erzähl es auch nicht weiter.” beteuerte der Wolf. “Ich mach mir nur wirklich Sorgen.” “Sorry. Kann dir wirklich nichts sagen. Ich weiß selber kaum was. Frag am besten Marcus selbst, wenn du ihn das nächste mal siehst.” antwortete Avis dem Wolf. Dieser wirkte, als wäre er mit der Antwort nicht wirklich zufrieden, doch schien sie zu akzeptieren. “Ich schau mal, ob ich ihn irgendwann erwische.” Er lehnte sich wieder zurück und schien wenigstens so zu tun, als würde er sich auf Professor Kleins Vortrag konzentrieren. Avis versuchte es zwar, es ihm gleich zu tun, doch wirklich klappen wollte es nicht. Immer wieder zog er sein Handy hervor, in der Hoffnung, dass sich Irgendwer bei ihm meldete. Dies geschah jedoch nicht. Jedenfalls nicht bis zum späten Nachmittag. Er verließ gerade die vierte Vorlesung des Tages, “Fortgeschrittene Marktanalyse und Marketing”. Auch hier hatte er vermutlich nur die Hälfte mitbekommen, doch das war ihm im Moment ziemlich egal. Den Stoff konnte er auch später nachholen. Er versuchte noch mal Terrence zu erreichen, doch dieser war noch immer nicht erreichbar. Auf dem Weg in Richtung des Wohnheims rief er Marcus an. Es klingelte einmal, zweimal, dreimal. Aufgelegt. Er versuchte es noch einmal. Diesmal wurde die Verbindung schon nach dem ersten Klingeln unterbrochen. Doch Avis fand den deprimierten Rotfuchs am Verbindungsweg zwischen dem Zentrum und den Wohnblöcken. Er saß zusammengesunken auf einer Bänke und starrte auf den Boden. Seine spitzen Ohren waren an den Kopf geklappt, seinen buschigen Schwanz um den eigenen Körper gewickelt. Avis setzte sich neben ihn. Marcus schien ihn nicht zu bemerken. “Was ist los?” fragte Avis. Keine Antwort. Marcus starrte weiter auf den grau weißen Kies. “Er ist im Krankenhaus. Intensivstation. Keine weiteren Informationen.” ratterte er mit einer emotionslosen Stimme die Fakten herunter. Dann schwieg er für ein paar Sekunden, bevor er ein lautes “FUCK!” ausstieß. Avis konnte deutlich die Verzweiflung in seiner Stimme hören und konnte es nur zu gut nachvollziehen. Er setzte sich neben seinen Freund und legte seine Hand auf seine Schulter. “Es ist bestimmt nichts schlimmes. Kaltblüter halten viel aus.” Ob seine Worte etwas gebracht hatten, wusste Avis nicht, doch Marcus hob den Kopf und klopfte seinem gefiederten Freund auf den Rücken. “Es ist Terrence. Der hält alles aus.” murmelte er, vermutlich um es sich selbst einzureden. “Und du hast getan was du konntest. Ihn über das halbe Gelände zu tragen. Ich hätte es nichtmal bis zur Tür geschafft. Würde Tim umkippen… wäre er ziemlich schlecht dran.”

Avis versuchte noch weiter den Fuchs zu beruhigen und tatsächlich schien es ihm wenigstens etwas gelingen. Marcus Ohren klappten wieder auf. Sein Blick hob sich vom Boden. “Danke” flüsterte er Avis zu. “Keine Ursache” Dafür hatte man Freunde. Er wusste nicht, wie lange sie auf der Bank gesessen hatten, doch es war inzwischen Kalt geworden. Die Sonne stand tief und die Gebäude der FH warfen lange Schatten auf das Gelände. Der Wind blies einige Blätter umher, die der Hausmeister übersehen hatte. Avis schüttelte sich. Die Kälte war langsam durch seine Jacke und sein Gefieder gekrochen und hatte seine empfindliche Haut erreicht. “Sollen wir reingehen? Wird langsam kalt.” fragte Avis Marcus. Dieser nickte nur zustimmend. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg zum Wohnheim. Die Wärme des Gebäudes empfing sie und lockerte die Anspannung ein wenig. Keiner der Beiden sagte kein Wort, bis sie vor dem Zimmer standen, dass Marcus und Terrence sich teilten. “Du kommst klar?” Marcus nickte. “Wenn irgendwas ist, ich bin nur ein Gebäude weiter.” Marcus nickte erneut. Dann schloss er die Tür auf. Avis wollte gerade gehen, hielt aber kurz inne, um noch einen Blick in das Zimmer zu erhaschen. Im Gegensatz zu seinem Zimmer, war es erstaunlich aufgeräumt. Der Boden war sauber, die beiden Betten gemacht und auf den Schreibtischen lagen die Bücher, Zettel und Ordner gründlich sortiert auf ordentlichen Stapeln. Marcus trat in den Raum. Er blieb einige Sekunden planlos stehen. Es tat Avis weh ihn so zu sehen. Dann drehte er sich langsam zu dem Vogel um. “Du kannst gehen. Ich komme schon zurecht.” er hielt kurz inne. “Und danke…” Dann zog er die Tür zu. Mit einem lauten Klicken rastete das Schloss ein. Avis stand allein auf dem Gang. Durch eine Glastür am Ende des Gangs gelangte er wieder ins Freie. Er blieb kurz stehen und atmete tief durch. Die kalte Luft brannte kurz in seiner Lunge, doch störte es ihn nicht wirklich, eher im Gegenteil. Er genoss die frische Luft und die letzten Strahlen der Sonne, die sich zwischen dem Technik- und dem Informatikgebäude hindurch krochen. Es war kurz vor 18 Uhr. Sie hatten fast zwei Stunden auf der Bank gesessen. Langsam, sehr langsam, legte er den Weg zu seinem Wohnblock zurück. Der Schotter knirschte unter seinen Füßen und eine leichte Brise strich über seine Arme und seinen Kopf. Sie kroch unter seine Deckfedern und bald auch durch die feinen Daunen, bis zu seiner empfindliche Haut. Avis beschleunigte seine Schritte und weniger als eine Minute später hatter er seinen Wohnblock erreicht. Auf dem Gang zu seinem Zimmer kamen ihm einige andere Studenten entgegen. Er nickte ihnen zu, einige erwiderten die Geste, doch die meisten schienen ihn einfach zu ignorieren. Als er sein Zimmer betrat erwartete er eine Begrüßung von Tim, doch das Zimmer war Leer und Dunkel. Der Laptop des Tigers lag zu geklappt auf seinem Bett. Ein dünnes Ladekabel bahnte sich seinen Weg zwischen Klamotten, der zusammen geknüllten Bettdecke und einigen Chipstüten, über das Bett und hinunter zu einer Verteilersteckdose auf dem Boden. Der rote Einschalter des Verteilers stand auf Aus. Avis ließ seine Jacke zu Boden gleiten. Auf dem Weg zu seinem Schreibtisch schaltete er mit einem Tritt den Strom ein. Nicht dass Tim später verzweifelte, dass sein Laptop leer war. Ohne sich groß Gedanken über seine Kleidung zu machen, warf Avis sich auf sein unordentliches Bett. Die Augen weit geöffnet, starrte er auf die Poster behangene Wand. Vor seinen unfokussierten Augen verschwammen die Bunten Bilder und Logos zu einem Chaotischen Meer aus Farben. Seine Gedanken kreisten. Zu Terrence, Marcus, und irgendwie auch zu Frederic. Früher waren sie fast so unzertrennlich wie der Fuchs und sein Salamander Freund gewesen. Was war in den Jahren passiert, dass sie so auseinander gebracht hatte?

“The stars shines through the windows, of this empty, dusty home...” Der Wecker seines Smartphones weckte ihn. Er taste danach und beendete den Alarm. Ein weiterer Tag im Studium begann. Nachdem er sich aus seinem Bett gequält hatte, spulte er die übliche Morgenroutine herunter. Tim schlief noch. Duschen, Klamotten zusammensuchen, auf zur Mensa. Doch als er das Gebäuder verlassen wollte, kam ihm beim öffnen der Tür ein eiskalter Wind entgegen, dem sein Pullover kaum etwas entgegensetzten konnte. Also zurück zum Zimmer, eine Jacke holen. Tim schlief noch immer. Wenigsten etwas gegen die Temperaturen geschützt joggte Avis über das Gelände hinüber zur Mensa. Sein Verstand selbst war noch in der Aufwachphase und lief dementsprechend auf Sparflamme. Er selbst würde sich später Wundern, wie er es von seinem Bett bis zum Frühstück geschafft hatte, ohne dass dabei eine größere Katastrophe passierte. Doch so stand der müde blau gefiedert Vogel etwas orientierungslos im Eingangsbereich des Gebäudes und schaute sich mit verschlafenem Blick um. Er konnte auf die Schnelle niemanden aus seinem Kurs entdecken. Also setzte er sich mit seinem Tablett, dass er sich am Buffet gefüllt hatte, an den nächstbesten freien Platz. Den Eingang im Blick, verschlang er sein übliches Frühstück. Marcus tauchte nicht auf. Auch in den Vorlesungen blieben die beiden Plätze neben Avis frei. Beim Mittagessen, tauchte Tim auf und setzte sich zu Avis, der allein sein Mittagessen verzehrte. “Hey. Wo sind Marcus und Terrence?” fragte der Tiger, während er sich mit seinem Tablett zu Avis gesellte. “Terrence ist im Krankenhaus und Marcus… keine Ahnung. Kann ihn nicht erreichen. Aber er war gestern Abend richtig Fertig.” “Scheiße. Ist es was Ernstes mit Terrence?” Tim wirkte jetzt auch ernsthaft besorgt. “Ich weiß es nicht. Marcus weiß es nicht. Niemand weiß irgendwas.” Bis jetzt. Avis Handy klingelte. Er zog das Gerät aus seiner Tasche. Es klingelte nochmal. ‘Anwalt’ stand auf dem Bildschirm. “Hi Avis. Haste Zeit?” “Wann?” “Jetzt. Dringend. Parkplatz Wohnheim.” “Warum?” “Musst mich ins Krankenhaus fahren.” Avis musste nicht groß überlegen. Für Marcus und Terrence ließ er gerne Rechnungswesen sausen. “Und? Was neues?” Tim schaute neugierig zu Avis und versuchte auf dem spiegelnden, Bildschirm etwas zu erkennen. “Ich geh nicht zu Karischs Vorlesung.” “Bist du dir sicher? Du weißt wie Karisch es findet, wenn man seinen Vortrag schwänzt.” “Das ist mir gerade ziemlich egal.” Avis schnappte seine Tasche. Tim hielt ihn noch kurz zurück. “Was auch immer es ist. Richte Terrence ‘Gute Besserung’ von mir aus.” “Klar” warf Avis ihm noch zu, bevor er aus der Mensa hastete. Der Rotfuchs wartete bereits an Avis Auto. Er lehnte an der Beifahrertür und schaute in Richtung Mensa, aus der sich Avis jetzt näherte. “Was gibts?” “Das Krankenhaus hat angerufen. Terrence ist ansprechbar.” antwortete Marcus hektisch und zog an der Klinke der Autotür. Sie blieb verschlossen. Avis schloss die Fahrertür auf, stieg ein und entriegelte die Beifahrertür. Der Griff der Tür wurde augenblicklich aus seiner Hand gerissen und Marcus sprang ins Innere des kleinen Autos. Er schlug die Tür zu. Die Plastiktüte über der noch immer nicht ersetzen Scheibe, blähte sich auf und drohte zu reißen, hielt dann gnädigerweise doch. Avis ließ den Motor an und sie verließen das Gelände in Richtung Innenstadt.

Die Klinik lag am Rand der Stadt, hinter dem Hill View District. Die Hauptstraße machte einen großen Bogen um das Luxusviertel, doch Avis kannte die Gegend gut und lenkte sie durch die sauberen, breiten Straßen. Auf den angrenzenden Grundstücken standen große Villen, oder Blöcke mit Luxus Apartments, manche größer wie das gesamte Wohnheim der FH, inklusive Kantine. In den Einfahrten der Grundstücke standen Autos, von denen Avis schätzte, dass vom Gebrauchtwert auch nur eines davon, seine Eltern problemlos ihr Haus abbezahlen könnten. In der Ferne, auf einem Hügel thronte ein großes, altes Herrenhaus, mit ausladendem Garten. Die meisten Leute, selbst die, die hier wohnten, hielten respektvollen Abstand, zur Blake Mansion. Avis war früher immer wieder dort zu Besuch gewesen, als Frederic noch dort wohnte, doch jetzt strahlte es eine bedrohliche Aura aus. Avis verglich es gerne mit dem Versteck eines Super Bösewichts und nach außen passte Federics Vater in die meisten Klischees. Die Straße führte daran vorbei und schlängelte sich den Berg, am Stadtrand hinauf, auf dem die vier großen Gebäude der Klinik standen. Avis stellte das Auto auf einem freien Parkplatz nahe des Eingangs ab. Marcus riss die Tür auf und sprang hinaus. Avis stellte den Motor ab, zog die Handbremse an und nahm seine Wertsachen vom Amaturenbrett. Noch einmal würde ihm das nicht mehr passieren. Dann stieg auch er aus und folgte dem Rotfuchs. Dieser war losgerannt und er holt ihn erst im Foyer des Hauptgebäudes wieder ein. Eine Reihe großer Palmen bildete eine Allee, an deren Ende sich ein breiter Tresen befand. Dahinter saß eine weiße Taube, die hektisch Akten sortierte. Dabei drehte sich ihr Kopf ruckartig hin und her, um mal mit dem einen, mal mit dem anderen die Papiere vor ihr zu betrachten. Sie schreckte auf und spreizte ihre Federn als sie sah, wie Marcus auf sie zu stürmte. Er blieb direkt vor der Theke stehen, Avis schwer atmend hinter ihm. “Terrence Menic…” keuchte der Rotfuch die Taube an, die ihn immer noch geschockt an starrte. “Wo?” presste Marcus noch heraus. “Unser Freund wurde gestern eingeliefert. Können sie uns bitte sagen, wo wir ihn finden können?” formulierte Avis Marcus Äußerungen aus. Zögerlich, ein Auge nicht von Marcus lassend, hantierte sie hinter ihrem Tresen herum. Eine Tastatur klapperte. “Terrence mit einem oder mit zwei r?...” “ZWEI R” antwortete Marcus laut. Sie zuckte zusammen. “Gebäude 3. Ebene 4. Zimmer 201. Aber…” doch Marcus stürmte bereits los. “Danke” warf Avis ihr noch zu, bevor er Marcus hinterher rannte. Der Fuchs hinterließ auf seinem Weg eine Schneise im Gedränge des Personals und Besucher, durch die Avis ihm folgte. Er war nicht aufzuhalten. Wer ihm im Weg stand und nicht rechtzeitig auswich, wurde zur Seite geschoben. Avis hätte sich gerne bei den Leuten für Marcus entschuldigt, doch hatte er selbst genug Schwierigkeiten an ihm dran zu bleiben. Erst am Fahrstuhl blieb er stehen. Avis war sich sicher, dass würde er sich jetzt umdrehen, könnte er einen Pfad des Chaos bis zur Eingangshalle zurück verfolgen, doch entschied er schnell, dass er es lieber nicht sehen wollte.

Kaum waren die beiden Seiten der Tür weit genug offen, zwängte Marcus sich hindurch in die Kabine. Avis, der bedeutend schmaler wie sein Freund war, drängte sich direkt hinter ihm in den kleinen Raum. Ein Waran der sich bereits im Fahrstuhl aufhielt, wich zurück gegen die Rückwand. Der Fuchs schlug gegen das Bedienfeld. Langsam schlossen sich die Türen und die Kabine setzte sich in Bewegung. Nach unten. Marcus hämmerte erneut auf den Knopf, doch der Fahrstuhl hielt erst im zweiten Untergeschoss. Die Türe hatte sich erst einen Spalt weit geöffnet, da drängte sich das Reptil an Marcus und Avis vorbei und zwängte sich hinaus. Die beiden Seiten der Tür schlossen sich wieder und die Kabine setzte sich wieder in Bewegung. Dieses Mal in die “richtige” Richtung. Im vierten Stock stürzte Marcus hinaus auf den Gang, wobei er beinahe einen weißen Kater umriss. Dieser stolperte rückwärts gegen die Wand, wobei er einen Stapel Akten fallen ließ. Ängstlich starrte er den Fuchs an, der sich hektisch um schaute und dann los stürmte. Avis verließ hinter ihm den Aufzug. Sein Blick fiel auf den Krankenpfleger, der hektisch seine Akten zusammen sammelte. Gerne hätte Avis ihm geholfen, doch wollte er Marcus nicht verlieren, der bereits zwei Drittel der Strecke zum Ende des Ganges zurückgelegt hatte. Plötzlich blieb der Fuchs stehen und hob die Nase. Dann riss er eine Tür auf und stürzte in das Krankenzimmer dahinter. Keine zwei Sekunden später ertönte ein hohes, aggressives Kreischen. “Was fällt ihnen ein? Was tun sie hier?” Avis betrat zögernd das Zimmer. Eine Waschbär Dame, mit gesträubtem Fell stand zwischen Marcus und einem Bett und fauchte den Fuchs an. Dieser überragte die Krankenschwester um mehr als einen Kopf, dennoch war er, angesichts der gefletschten Zähne, an die Wand zurück gewichen. Hinter dem Rücken des Waschbärs sah er ein weißes Bett, in dem unter der Decke ein schwarz lederner Kopf mit spitzer Schnauze hervor schaute. Etwas bewegte sich unter dem weißen Stoff. Dann wühlte sich Terrence aus dem Bett und richtete sich halb auf. Er schaute sich kurz verwirrt um. Dann entwich ihm ein lautes Stöhnen und er fiel zurück in das weiche Kissen des Krankenbettes. “Terrence?” fragte Marcus, doch wurde er sofort wieder von der Krankenschwester nieder gemacht, bevor diese zu Terrence eilte. Der Rotfuchs blieb mit eingezogenem Kopf nahe der Wand stehen. Terrence hustete ein paar mal krampfhaft. “Marcus?” Er hustete Schleim auf die Bettdecke. “Ja. Ich bin hier.” antwortete Marcus. “Wie gehts dir?” “Richtig scheiße.” hustete der Salamander. Die Waschbärin hatte sich Marcus von hinten genähert und schob, den mehr als einen Kopf größeren Fuchs zur Seite. Dabei brachte sie eine Kraft auf, die sowohl Avis, als auch den verdutzten Marcus erstaunte, der augenscheinlich einige Sekunden brauchte, um seine neue Situation zu verstehen. Terrence wurde von einem weiteren Hustenanfall geschüttelt.

Die Waschbärin nahm ihn genau in Augenschein, bevor sie sich Avis zuwandte. Marcus, der noch immer etwas orientierungslos neben ihr stand, ignorierte sie vollständig. “Kennt ihr euch gut?” fragte sie den Vogel, der bisher etwas teilnahmslos daneben gestanden hatte, dabei hatte sie einen Merkwürdigen Tonfall, als ginge es um etwas Geheimes. “Geht einigermaßen…” worauf wollte sie hinaus? “Aber Marcus wohnt seit 1 1/2 Jahren mit ihm zusammen. Der ist der bessere Ansprechpartner.” Mit sichtbarem Widerwillen wandte sie sich dem Fuchs zu, der mit besorgtem Blick auf Terrence starrte. “Dein 'Freund’ hier nimmt nicht zufällig irgendwelche Drogen?” Marcus Gesichtsausdruck wandelte sich in Sekundenbruchteilen von Sorge zu Wut. “Niemals… niemals würde er!” Auch Avis konnte es sich schwer vorstellen. Terrence war zwar kein Gesundheitsfanatiker, doch würde er nie Drogen nehmen... Jedenfalls nichts hartes. “Bist du dir da sicher? Die Bluttests sagen was anderes. Er hatte eine Allergische Reaktion, es hätte ihn fast umgebracht.” Marcus war fassungslos. Warum würder Terrence so etwas machen. “Wie war das? Ihr wohnt zusammen?” die Miene Krankenschwester hatte sich entspannt. Die Aggressivität, die sie Marcus entgegen gebracht hatte, war verschwunden. Sie hatte verstanden, was da zwischen dem Fuchs und dem Salamander war. Avis stand noch immer etwas Abseits. Im Blick des Blauhäher lag auch etwas Sorge, doch etwas verhinderte, dass er wie Marcus darin versank. Er fühlte sich seltsam distanziert. Er war mehr ein Beobachter, als ein aktiver Teilnehmer. Er ließ Marcus mit seinen Sorgen allein. Doch das durfte er nicht. Langsam, Schritt für Schritt näherte sich seinem Freund. Er legte eine Krallenhand auf die Schulter des Rotfuchs. Dann warf er der Krankenschwester einen vorwurfsvollen Blick entgegen. “Ich vermute, dass es sein erstes Mal war… Seit einer Weile. Deshalb hat er sich auch verschätzt und einr Überdosis genommen. Sein Körper ist nicht mehr daran gewöhnt. Wenn er jetzt die Finger davon lässt, sollte es keine bleibenden Auswirkungen haben und auch nicht Rückfällig werden.” Ein kleines Kästchen an ihrem Gürtel begann zu piepen. Die Waschbärin warf einen Blick darauf. Dann rannte sie hektisch aus dem Zimmer. “Scheiße! Seit einer Weile? Also nicht das erste Mal? Warum machst du so was?” Marcus kniete neben dem Bett und klammerte sich mit beiden Händen an den Rahmen. Das Metall knirschte. Terrence schien wieder zu schlafen, oder tat er nur so? Sie standen noch ein paar Minuten? da. Bis Marcus sich losriss. Die Metallstange, an die er sich geklammert hatte, zeigte deutliche Spuren. Er wandte sich ab und verließ das Zimmer. Während der gesamten Rückfahrt murmelte er vor sich hin: “Warum? Warum hat er das gemacht…? Und warum hat er mir nie davon erzählt dass… Ich bin doch immer da, wenn er Hilfe braucht…” "Wahrscheinlich war es ihm peinlich und irgendetwas war passiert, dass es der einzige Ausweg schien." aber auch Avis kam es seltsam vor. Hatte Terrence wirklich Probleme, von denen sie nichts mitbekommen hatten? Zurück an der Hochschule stellte Marcus sein Zimmer komplett auf den Kopf. Er durchsuchte jede Schublade, schaute in jeden noch so kleinen Spalt hinter den Schränken. Nach und nach nahm er die gesamte Innenausstattung des Zimmer auseinander. Auf dem Boden sammelten sich immer weiter Kleidungsstücke, Taschen, Ordner und sonstiger Kram. Schnell sah das Zimmer schlimmer aus, wie das von Tim und Avis. Doch er fand nichts. Zum schluss sank Marcus erschöpft, weinend in der Mitte des Zimmers zu Boden, umgeben von Bergen Zeug, dass er aus Terrence Schränken geräumt hatte. “Kannst du bitte gehen?” flüsterte er leise. “Bist du dir sicher?” “Ja. Das ist etwas zwischen mir und Terrence.”

Er hätte Marcus gerne weiter geholfen, doch merkte er, dass dieser Zeit für sich brauchte. Zum zweiten Mal an diesem Tag warf er einen Blick auf eine Uhr. 16:30. Erst jetzt wurde ihm bewusst, die Fahrt ins Krankenhaus, der Besuch bei Terrence, die Rückfahrt und die Suche in Marcus und Terrence Zimmer, hatte fast fünf Stunden gedauert. Karischs Vorlesung war lange vorbei, doch war sich Avis sicher, nichts groß relevantes verpasst zu haben, jedenfalls nichts, was er nicht nachholen konnte. Er bemerkte, dass er vor der Tür seines Zimmers stand. Während er in Gedanken versunken war, hatten seine Beine ihn anscheinend dorthin gebracht. Er griff nach der Klinke. Es war nicht abgeschlossen. Beim öffnen der Tür, kratzte etwas über den Boden und verklemmte sich im Spalt darunter. Avis versuchte die Tür weiter aufzudrücken, doch bewegte sie sich keinen Millimeter. Schließlich gab er es auf und zwängte sich durch den Spalt. Hinter der Tür fand er die Ursache. Ein T-Shirt von “Tell me what’s next”. Das Gesicht des Bassisten, eines Tigers starrte Avis mit aufgerissenem Maul an, die großen Reißzähne gut sichtbar. Doch wirkte er irgendwie “zerknittert”. Er griff danach und wollte es herausziehen, doch bevor sich seine Kralle vollständig um den Stoff geschlossen hatte, kam etwas großes, orangenes angeschossen und stieß ihn zur Seite. Vorsichtig, Millimeter für Millimeter befreite er das T-Shirt, bedacht, es auf keinen Fall zu beschädigen, oder auch nur zu weit zu dehnen. “Sorry…” stotterte Avis, der sich nach dem plötzlichen Angriff erst einmal neu orientieren musste. Endlich hatte Tim das T-Shirt befreit und warf es durch das Zimmer zielgenau auf seinen Schreibtischstuhl, wo es zu dem Haufen Kleidungsstücke gesellte, der bereits dort lag. Dann richtete er sich auf und wandte sich Avis zu. “Sorry. Ich hänge an dem Teil. Ist von Fexk unterschrieben.” Der Tiger war ein Idol für Tim und Avis wusste, dass er früher selbst vorhatte Bassist zu werden, aber irgendwie sollte es nicht sein. Seine Gitarre stand noch immer auf einem Ständer am Ende seines Bettes, doch Avis hatte ihn noch nie Spielen hören. “Und? Wie geht es Terrence?” fragte Tim. “Er wird es überleben…” sollte Avis Tim erzählen, was die Krankenschwester ihnen gesagt hatte? “Was ist es denn?” hakte er weiter nach. “Er hat sich abgeschossen. Überdosis.” Tim erstarrte in der Bewegung. “WAS?!?!” brüllte Tim. Avis Gehör sendete einen Schmerzimpuls durch seinen Nerven. Er zuckte zusammen und presste seine Krallenhände auf die Ohren. “Ich bin mir sicher, das gerade hat der gesamte Flur gehört.” “Sorry. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Terrence… also hätte nie gedacht, dass er der Typ für sowas wäre.” “Ich glaube das hat keiner von uns.”

CHAPTER 5 - Freunde

Avis saß bereits in der Mensa und verzehrte sein Frühstück, als Marcus auftauchte. Oder wenigstens etwas, von dem er vermutete, dass es Marcus war. Sein Schwanz schleifte hinter ihm über den Boden. Die Arme hingen schlaff an seiner Seiter herunter. Er ließ die Kopf hängen und starrte vor sich auf den Boden, während er durch die Mensa schlurfte. Wortlos setzte er sich auf den Platz gegenüber von Avis. Dann hob er langsam den Kopf und Avis konnte seine Tränen unterlaufenen Augen sehen. “Verdammt. Du siehst überhaupt nicht gut aus.” Marcus antwortete ihm nicht, sondern starrte auf Avis Teller, als würde er versuchen zu verstehen, was Avis da genau tat. “Ist alles in Ordnung?” noch während er die Frage aussprach, merkte er selbst, wie blöd sie war. “Terrence wird wieder. Und dann kannst du ihn selbst Fragen.” Marcus hob den Kopf ein wenig um seinem Blauhäher Freund in die Augen zu schauen. “Aber was wird er antworten?” Marcus Stimme klang verzweifelt. “Was auch immer es ist, wenn es jemand gibt der es übersteht, dann ihr beide.” Der Fuchs schwieg einige Sekunden. “Glaubst du?” “Wie lange kennt ihr euch jetzt? 6 Jahre? 7?” “Kann hinkommen…” murmelte Marcus. “Und in der Vergangenheit hat Terrence nie sowas gemacht.” “ja” “Also. Das war bestimmt ne einmalige Sache und er wird das definitiv nie mehr machen.” “Hoffentlich.” Avis Smartphone vibrierte. Er musste zur Vorlesung. “Ich bin weg. Mach bloß nichts Dummes ohne mich.” “Ich versuchs.” Hoffentlich… dachte Avis, sprang auf und rannte los, in Richtung des BWL Gebäudes. Marcus blieb zurück. Er schaute dem Vogel noch nach, der sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit seinen Weg durch die anderen Studenten bahnte, wobei sein schmaler Körper ihm bestimmt half. Dann sank Marcus Blick zurück auf die dreckige Oberfläche des Tischs. Ihm gegenüber stand noch immer Avis Tablett. Der Fuchs griff danach, stand auf und schlurfte langsam in Richtung der Essensausgabe. Amanda, das Nilkrokodil hinter der Theke schaute ihn besorgt an, wobei es etwas schwer war, ihre Reptilien Mimik zu deuten. “Terrence wird bestimmt wieder.” Es wunderte Marcus kaum, dass sie davon wusste. Das Kantinenteam waren die Hüter der Mythen und der Gerüchte in und über die Hochschule. Nichts passierte auf dem Gelände und zum Teil sogar darüber hinaus, dass sie nicht mitbekamen. Dabei schwiegen sie jedoch über das meiste und dachten sich ihren eigenen Teil. “Sollte er länger im Krankenhaus bleiben…” “Was wir nicht hoffen wollen!” warf Samantha ein, die gerade aus der Küchentür trat ein. Manda fuhr fort “... kannst du dann, wenn du ihn wieder besuchst, Besserungswünsche von uns ausrichten.” “Klar. Kein Problem.” murmelte Marcus. “Und Kopf hoch, sonst rennst du noch irgendwo dagegen.” Marcus schien den Witz nicht direkt verstanden zu haben und schaute das Krokodil etwas verwirrt an. Dann lächelte er etwas, flüsterte “danke” und verließ das Gebäude. Draußen brauchte er kurz um sich zu orientieren. Erst wollte er zurück zum Wohnheim, doch irgendwie zog etwas in ihm ihn in Richtung des BWL Gebäudes. Sollte er wirklich zur Vorlesung gehen? Irgendwie kam es ihm Bizarr vor, seinen normalen Tagesrhythmus wieder aufzunehmen, ohne Terrence, doch jetzt einfach nichts zu tun, half auch niemandem. Also machte er sich auf den Weg zur “Außenhandel” Vorlesung. Professor Sharp hatte bereits begonnen. Der Pfau stolzierte wild gestikulierend auf und ab, während er versuchte, unter zuhilfenahme eines langen Zeigestocks, eine komplizierte Grafik auf der Leinwand zu erklären. Dabei schleiften seine langen Schwanzfedern typischerweise hinter ihm über den Boden, wes wegen unter den Studenten der Scherz kursierte, dass würde man ihn nur regelmäßig in allen Vorlesungssälen einen Vortrag halten lassen, könnte die FH eine nicht geringe Summe an Putzkosten sparen. Das Berechnen dieser, war zu einer beliebten Aufgabe von einigen Professoren geworden, wenn es um das Thema Personalkostenberechnung ging. Ganz zum Missfallen von Professor Sharp natürlich.

Avis hatte nicht bemerkt, dass Marcus sich neben ihn gesetzt hatte. Er saß zurückgelehnt in seinem, nicht sonderlich bequemen, Stuhl und versuchte Sharps Ausführungen zu folgen. Das klappte jedoch nur so halb. Marcus hatte seinen Laptop aufgebaut und schien zu versuchen sich auf die Vorlesung zu konzentrieren. Doch aus dem Augenwinkel konnte Avis sehen, dass die Seite in seinem Schreibprogramm leer war. Sein Blick starrte ins Leere. Hin und wieder drehte er den Kopf und starrte auf den leeren Platz, wo normalerweise Terrence saß. Auch Avis Aufmerksamkeit schweifte immer wieder ab. Sharps Erklärungen zu Zolltarifen beim Handel mit Wirthem und Moskowia, mischten sich in seinem Kopf mit den Geschehnissen der letzten Tage zu einem seltsamen Mischmasch von Bildern, Gedanken und Gefühlen. Abwesend knabberte er am Ende seines Kugelschreibers, in dem sich bereits tiefe Rillen abzeichneten. Das vibrieren seines Handys riss ihn aus seiner Trance. “1 neue Nachricht von Frederic”: “Hi. Sorry, dass ich mich so lange nicht gemeldet hab. Hatte ne stressige Woche. Heute Abend Zeit?” “Klar!” tippte er ohne groß zu überlegen. Seine Kralle verharrte einige Sekunden über dem Senden Button. Er wusste nicht warum, aber irgendwie fühlte er sich dabei nicht gut. Konnte er Marcus allein lassen? Er schüttelte den Kopf um den Gedanken zu vertreiben. Natürlich konnte er. Marcus konnte es ab. Das redete sich Avis jedenfalls ein. Seine Kralle berührte das Glas des Touchscreens. Keine Zehn Sekunden später war die Antwort da. “Super! Bringste sonst noch jemanden mit? Tim, Marcus, oder seinen Salamander Freund?” “Nee…” er überlegte kurz. Tim war heute Abend im Fitnessstudio. Terrence konnte natürlich auch nicht. Sein Blick wanderte hinüber zu Marcus, der mit glasigem Blick in Richtung der großen Leinwand starrte, auf der Sharps Präsentation lief. Sollte er Marcus nicht doch mitnehmen? Doch etwas in ihm drückte seinen Finger auf den Senden Knopf. “Ok. Dann nur wir zwei. Carl und Bruce machen sich einen netten Abend zu zweit. Und bei uns läuft es wohl anscheinend auf das gleiche raus ;) 20:00. Hab da nen neuen Laden gefunden.” An der Nachricht hing ein Standort an. Eine kleine Seitengasse am Rand der Innenstadt. Online konnte Avis keinen Hinweis finden, dass dort irgendeine Bar oder ähnliches war. Einzig, dass vor zwei Monaten jemand dort in der Nähe ausgeraubt und erstochen wurde. Schien eine “nette” Gegend zu sein. Er packte sein Handy wieder weg und folgte noch dem Rest der Vorlesung, bis diese wenige Minuten später endete. Avis packte seine Sachen zusammen, sie mussten für den nächsten Kurs in ein anderes Gebäude. Als er sich zu Marcus umdrehte, war dieser verschwunden. Sein Platz war leer. Er tauchte auch den restlichen Tag nicht auf. Beim Mittagessen in der Mensa traf Avis Tim. Dieser blätterte mit einer Hand in einem Schnellhefter, während er mit dem anderen sein Mittagessen in sein Maul schaufelte. Zu sehen, wie seine Reißzähne das Fleisch zerfetzten, konnte einem einen Schauer den Rücken hinunter jagen. Doch Avis kannte seinen Mitbewohner und wusste, dass der Tiger nicht nur der netteste, sondern auch der unfähigste Spitzenprädator wäre.

Nach den Vorlesungen am Mittag kehrte Avis ins Wohnheim zurück. Er ließ seine Tasche auf sein Bett fallen, das ein lautes Knarren von sich gab. Der Blauhäher warf sich daneben, worauf das Bett noch lauter knarrte. Für einen Moment schien es, als würde der Rost nachgeben und die dünne Matratze auf den staubigen Boden fallen, doch das Holz zeigte Gnade und hielt, wohl auch, weil der Vogel mit seinem schlanken Körper und den hohlen Knochen nicht sonderlich viel wog. Während sein Gesicht noch in der Decke vergraben war, tastete sein Arm nach dem Tisch. Seine Krallen strichen vorsichtig über die Türme, bis sie das Gericht fanden. Langsam tasteten sie über die unebene Fassade bis zum Dach, von dem aus man den Rest der Stadt überblicken konnte. Er zog die obersten Blätter herunter. Der kleine Stapel Papier fiel auf ihn herab und begrub ihn. Mit einer Klaue schob er die Seiten von seinem Gesicht. Dann schob er sie zusammen und begann sie zu sortieren. Schon wenige Minuten später brummte sein Schädel, als versuche darin ein Jumbo Jet zu starten. Vielleicht war es auch nur sein Gehirn, dass versuchte die Stimme zu übertönen, die ihm einredete weiter zu lernen. Nach zehn Minuten gab er frustriert auf. Er würde professionelle Hilfe benötigen. Sein Handy summte. Frederics Nachricht verdrängte die Paragraphen und Beispielfälle aus seinem Verstand. “Ginge auch schon 19:00? Und kannste mich abholen?” “Klar. Wo?” Ferderic schickte ihm einen Wegpunkt. Wie letztes Mal im Westpark. Was machte Frederic dort? Vielleicht sollte Avis ihn einfach Fragen. Es kam keine weitere Nachricht. Er wartete noch kurz, dann warf er sein Handy zur Seite und vergrub sich wieder im Lernstoff. Doch die Diagramme verschwammen vor seinen Augen. Alles vermischte sich zu einem grauen, undeutlichen Brei. Erneut gab er auf und warf den Papierstapel gegen die Wand. Es schien erst, als würde er an der grau weißen Tapete kleben bleiben, doch dann übertrumpfte die Schwerkraft die Haftung des Schmutz und die Blätter fielen zu Boden. Avis sprang auf, sammelte die Seiten zusammen und machte sich auf den Weg. Auf dem Flur wurde er beinahe von Carol umgerannt. Die Wüstenfüchsin stieß mit ihm zusammen und stürzte zu Boden. “Oh Tschuldigung… Avis? Richtig?” “Ja. Kein Problem” erwiderte der Blauhäher. Er reichte ihr eine Hand und zog sie zurück auf die dünnen Beine. Sein Blick fiel auf ihr Gesicht. Ihre Augen waren gerötet und das weiße Fell darunter von Tränen durchnässt. “Alles in Ordnung?” fragte Avis und merkte, noch während er sprach, wie dumm die Frage war. Doch sie Antwortete hektisch mit einer piepsigen Stimme. “Alles OK.” Sie schaute dabei auf den Boden und vermied Blickkontakt. “Ehrlich” fügte sie noch an, als Avis nicht direkt reagierte und stürmte dann davon. Er schaute ihr noch nach und bemerkte, dass sie in unregelmäßigen Abständen kleine dunkle Flecke auf dem Kunststoffboden hinterließ. Er beugte sich hinunter und nahm die kleinen Kleckse in Augenschein. Es war Blut. Avis wollte ihr noch hinterher schauen, doch sie war bereits in einem der Zimmer verschwunden. Ein ungutes Gefühl im Magen, ging er in Richtung Treppenhaus, von wo auch Carol gekommen war. Hinter der Tür, auf den ersten Stufen sitzend, fand Avis die Ursache.

Marvin drückte sich ein Taschentuch auf die linke Gesichtshälfte. Mit seinem langen dünnen Körper nahm die Schlange fast die Hälfte der Treppe ein. Er schaute Avis betrübt an. Dieser starrte erschrocken zurück. “Frag nicht.” “Carol? Wie hast du das geschafft?” Also stammte das Blut von Marvin. “Ich war wohl einfach ein verdammtes Arschloch.” seufzte die Schlange lispelnd, wobei seine gespaltene Zunge hervor züngelte. Das Tuch war inzwischen gut mit Blut vollgesogen. Er knüllte es zusammen und warf es auf den Boden. Während er ein neues aus seiner Jacke zog, konnte Avis drei tiefe Kratzer auf seiner Wange sehen. Dunkles, fast schwarzes Blut lief über seine grauen Schuppen bis zu seinem Kinn, von wo aus es auf die letzte Treppenstufe tropfte. Schnell drückte er ein weiteres Papiertaschentuch auf die Wunde. Er machte einen erbärmliche Eindruck. Die beiden Reptilienaugen, mit ihren schlitzförmigen Pupillen, starrten ins Leere. Sein Körper lag schlaff auf den Stufen. Avis legte seine Papiere auf die Treppe. Marvin erkannte die Intention des Vogels. Sein Körper bewegte sich und schlängelte etwas die Treppe aufwärts, um Platz für Avis zu machen. Dieser setzte sich neben seinen Studienkollegen. Dieser starrte ihn schweigend an. Sie saßen eine, vielleicht auch fünf Minuten da, bevor Marvin die Stille durchbrach. “Ich hoffe, ich halte dich nicht auf. Wenn du wichtigeres zu tun hast möchte ich dich nicht aufhalten.” Avis warf einen kurzen Blick auf seine Uhr. Dann versuchte er ein Lächeln. “Nee, nix zu tun.” Er schob die Wirtschaftsrecht-Unterlagen hinter seinen Rücken. “Was haste gemacht?” Marvin seufzte. Es dauerte einige Sekunden, bis er dem Vogel antwortete. “Kennst du Kathrine?” Avis musste kurz überlegen. “Du meinst die Haiin aus Medien Wissenschaften?” Auch Avis war sie bereits ins Auge gefallen der schmale ausdefinierte Körper, der lange Schwanz, der in eine spitze Flosse endete, doch schien sie ihm ziemlich kaltblütig, auch im übertragenen Sinn. “Genau die.” “Du hast nicht…?” fragte Avis “Ich habe mich nur einmal mit ihr getroffen… es war nicht ernstes, aber…” Avis beendete seine Antwort: ”... du hast dich mit ihr getroffen und Carol hat es mitbekommen.” An Marvins Blick konnte Avis erkennen, dass er recht hatte. “Es war wirklich nichts ernstes, ich würde Carlo nie hintergehen, doch…” mit einem Seufzen brach er ab. Avis zuckte zusammen, als Marvin gegen das Geländer der Treppe schlug. Das Summen des Metalls hallte durch das Treppenhaus und schmerzte in Avis Ohren. Er zuckte zusammen. “Oh Tschuldigung… hab nicht dran gedacht.” murmelte Marvin und presste seine Hand auf das Metall. Der schrille Ton verebbte. “Danke” “Du musst hier nicht sitzen und mir beim Jammern zuhören, wenn du wichtigeres zu tun hast…” “Nee, immer noch nix zu tun.” erwiderte Avis. Dabei nutzte er gerne die Gelegenheit, um eine Ausrede vor sich selbst zu haben, sich nicht weiter mit Wirtschaftsrecht auseinandersetzen zu müssen.

Sie saßen noch einige weitere Minuten da und Marvin verbrauchte in dieser Zeit ein weiteres Taschentuch. Die Wunde schien doch tiefer, denn die Blutung wollte nicht aufhören. Avis zog Marvin von der Treppe hoch und beide machten sich auf den Weg zum Verwaltungsgebäude. Der Kies knirschte unter Avis Füßen und Marvins Körper, während sie durch den kalten Wind über das Gelände schlurften. Ein Großteil der Schlange kroch hinterher, während der Oberkörper aufrecht neben Avis stand. Das dunkle Blut lief ihm wieder über das Gesicht und tropfte auf die weiß grauen Steine. Ihnen begegneten nur wenige andere Studenten. Vor dem runden Verwaltungsbau, wurden sie aufgehalten. Der Hausmeister stand vor der Eingangstür und hantierte am Schloss herum. Der Dachs bemerkte Marvin und Avis erst, als diese direkt hinter ihm standen. Erschrocken fuhr er zusammen und eine Zange flog in hohen Bogen auf Avis zu. Dieser duckte sich darunter hinweg und das Werkzeug landete klappernd auf Boden. Er stieß eine Fluch, in einer Sprache aus, die Avis nicht verstehen konnte. Dann fiel sein Blick auf Marvin, der ihn bedrückt anschaute, noch immer das blutige Taschentuch aufs Gesicht gepresst. Der Blick des Hausmeisters wanderte Über seinen Kopf, zu seinem Kinn, von dem immer noch unregelmäßig Blut zu Boden tropfte. Er schaute die beiden mit einem vorwurfsvollen Blick an. Dann kramte er in einer Tasche seines Mantels herum und reichte Marvin ein frisches Taschentuch. Dieser nickte ihm dankbar zu, doch Avis vermutete, dass der Dachs sich mehr um den Boden, als um das Reptil sorgte. Dann öffnete der Hausmeister den anderen Flügel der Doppeltür und ließ die beiden in das Gebäude. Das Zimmer der Krankenschwester befand sich im 3. Stock. Innerlich über den Architekten fluchend, kämpfte sich Avis zusammen mit Marvin das Treppenhaus hinauf, denn an der Tür des Aufzugs hing ein handgeschriebener Zettel, der darauf hinwies, dass dieser leider außer betrieb war. Am Ende der letzten Treppe befand sich ein langer, weißer Gang. Plastikschilder an der Decke und das, weiße Kunstlicht der Leuchtstoffröhren, gaben der Umgebung eine kalten, krankenhaus artige Atmosphäre. Ein grün beleuchtetes Schild wies auf das Zimmer der Ärztin hin. Die Tür stand einen Spalt weit offen und sie konnten Stimmen aus dem Raum dahinter hören. Vorsichtig klopfte Avis an. “Einen Moment bitte, außer es ist ein Notfall.” erklang eine Stimme aus dem Inneren. Avis warf Marvin einen kurzen Blick zu. Dieser Schüttelte nur den herabhängenden Kopf. Sie mussten einige Minuten warten, dann wurde die Tür von innen geöffnet. Die Krankenschwester, eine Vogeldame, mit schillernden bunten Federn, geleitete einen Salamander vor die Tür. Diese schaute Avis kurz an, nickte ihm zu und bevor der Vogel reagieren konnte, drehte er sich um und entfernte sich mit schnellen Schritten. “Und was haben wir hier?” erklang die Stimme der Ärztin neben ihnen und lenkte Avis Aufmerksamkeit für einige Sekunden ab. Als er noch einmal den Gang hinunter schaute, war Terrence verschwunden. Die Ärztin packte Marvin am Arm und zog ihn in den Raum. Avis drehte sich noch einmal um, doch der Gang war leer. “Da hat dich jemand aber übel erwischt. Da wird sicher eine Narbe bleiben.” hörte er die Ärztin und ein schmerzerfülltes Zischen von Marvin.

Während die Ärztin Marvins Wunde versorgte und die tiefen Kratzer mit einem Kunststofffaden zu nähte, wobei jeder Stich mit einem Zischen von Marvin kommentiert wurde, stand Avis vor der Tür und starrte weiter den Gang hinunter. Nach und nach verschloss die Ärztin die Kratzer. Schlussendlich klebte sie noch ein großes Pflaster darüber. Als Marvin versorgt war, wandte sich Avis der Ärztin zu, die gerade dabei war, die Behandlung in einem großen Buch zu protokollieren. Avis riss sich von dem Anblick des leeren Gangs los. Terrence war also wieder da. Das Kratzen des Kugelschreibers verstummte. Das Geräusch von reißendem Papier erklang. “So. Das wäre erledigt. In Zukunft hältst du dich am besten, von scharfen Krallen und deren Besitzern fern.” Sie drückte Marvin einen Zettel in die Hand und schob ihn dann sanft auf den Flur hinaus. Gerade wollte sie die Tür schließen, doch wartete dann glücklicherweise, bis Marvin auch mit dem Rest seines Körpers das Zimmer verlassen hatte. Die Tür fiel mit einem Klacken ins Schloss. Mit einem kurzen Flackern erlosch die Beleuchtung des Schilds an der Decke. Marvin sank, den Rücken an die Wand gelehnt, langsam zu Boden, wobei sein Körper sich in mehreren Windungen im Gang verteilte und diesen zur Hälfte versperrte. “Möchtest du wirklich hier auf dem Gang liegen bleiben?” “Ja.” “Bist du dir sicher?” “ja” Avis warf einen kurzen Blick auf sein Smartphone. “Wenn du gehn musst, tu dir keinen Zwang an. Ich komm schon klar.” hörte er Marvin von unten. Er wollte ihn eigentlich nicht einfach liegen lassen, doch das Reptil machte keine Anstalten sich zu bewegen. “Geh schon!” fauchte er Avis an. Sofort gefolgt von einem leisen “tschuldigung”. Ein ungutes Gefühl im Bauch ließ er die Schlange zurück und machte sich auf den Weg in Richtung Parkplatz. Beim verlassen des Gebäudes begegnete er wieder dem Hausmeister, der gerade dabei war, den Boden des Eingangsbereichs zu putzen. Der Dachs schaute ihn vorwurfsvoll an. Aus dem Wassereimer, dem Wischmop und seinem Blick schlussfolgerte Avis, dass sie auf dem Weg zur Ärztin einige Tropfen Blut auf den Steinfliesen hinterlassen hatten. Sein Auto stand wie immer auf dem Parkplatz des Wohnheims. Noch immer flatterte die Plastiktüte über der Seitenscheibe. Seine Eltern hatten ihm das Geld bereits überwiesen, doch irgendwie hatte er bei der Sache ein schlechtes Gewissen. Er ließ den Motor an, startete auf seinem Handy die Navigation und warf es auf das Armaturenbrett. Die freundliche, zwitschernde Frauenstimme wies ihn an, den Parkplatz in Richtung Innenstadt zu verlassen. Die Plastikfolie knisterte, während sie sich durch den Fahrtwind nach innen wölbte. Den Anweisungen des Navis folgend umging Avis die Innenstadt über die große Westtrasse. Die Fahrzeug Ströme flossen gleichmäßig über den Asphalt der Brücke. Sein Blick schweifte immer wieder über die Dächer der Stadt, bis zum Hafen und darüber hinaus in die Bucht, wo große Containerschiffe in Richtung Hafen, oder hinaus aufs Meer steuerten. Zwanzig Minuten später erreichte er den Rand der Stadt. Auf Anweisung der Stimme des Navis, verließ er die Trasse und fand sich auf einer breiten, wenig befahren Ausfallstraße wieder. Der Streifen Grün zwischen der Mittel Absperrung wucherte vor sich hin und schien nur notdürftig gestutzt zu werden. Gleiches galt für den Efeu, der die Schallschutzwände an den Rändern der Straße hinauf kroch. Über die Oberkanten, durch das Geäst kahler Bäume hindurch konnte man die grauen Wohnblöcke sehen, die sich hier dicht an dicht reihten.

Über eine kleine Abfahrt, die man auch schnell übersehen konnte, bog Avis in das Wohngebiet ein. Das kleine Auto rumpelte über eine kleine Welle im Asphalt. Schon von weitem konnte Avis die großen Umrisse des Drachen erkennen. Er war nicht alleine. Eine kleinere Gestalt stand bei ihm. Doch als er näher kam schaute diese sich panisch um und verschwand dann schnell im Schatten eines Hauses. Frederic schien sich daran nicht weiter zu stören. Die Krallenhände in den Taschen seiner Jacke lief er langsam auf Avis zu, der sein Auto am Rand der Straße abgestellt hatte. Der Drache riss die Tür auf, wobei sich das Klebeband am unteren Ende der Folie löste, wodurch die Plastiktüte wild im Wind flatterte. Avis spürte, wie die Federung sich einige Zentimeter abgesenkte, als Frederic sich auf den Beifahrersitz fallen ließ, wobei sein Schwanz sich durch den Spalt zwischen Rückenlehne und Sitzfläche drückte, und im Fußraum der Rückbank verteilte. Die Dornen auf seinem Kopf krazten an der Stoffbezogene Decke des Innenraums. “Danke fürs Abholen.” “Kein Problem.” Während der ersten Minuten der Fahrt wechselten sie kaum ein Wort. Nur hin und wieder wies Frederic Avis auf eine Abkürzung hin, oder Kommentierte seinen “langweiligen” Fahrstil. Bald kamen sie ganz zum stehen. Vor ihnen erstreckte sich eine scheinbar endlose Autoschlange, die langsam in Richtung Innenstadt kroch. Auf dem Gehweg, der Parallel zur Fahrbahn verlief, “rannte” eine Gruppe Faultiere an den Fahrzeugen vorbei. Entnervt griff Frederic zu Avis hinüber und schlug auf das Lenkrad. Ein lauter Hupton erklang und fuhr Avis schmerzhaft in die Ohren. Doch zu einer Auflösung des aktuellen Zustands trug es nicht bei. Mit einer etwas frustrierten Mine sank Frederic in seinen Sitz zurück. Langsam krochen sie weiter. Avis war sich sicher, dass die Faultiere inzwischen die Innenstadt erreicht haben mussten. Auf höhe der äußeren Ringstraße, brach Frederic die Stille, die im inneren des Autos herrschte, sah man von der leisen Musik ab, die aus dem Radio drang. “Mal wieder nur wir beiden. Wie früher…” Ja, früher. Nur Frederic und Avis gegen den Rest der Gesellschaft. So hatte es sich jedenfalls angefühlt.”Ja, genau wie früher…” zwang Avis hervor. Die weitere Fahrt schwieg er jedoch, während Frederic in Erinnerungen an ihre Schulzeit schwelgte. Er wusste nicht warum, doch wollte sein Sprachzentrum kaum Worte, geschweige denn Sätze formen. Sie bogen von der verstopften Straße in das Netz der neben Straßen und Gassen ein. Der Wagen rumpelte über eine Bodenwelle. Es gab ein reißendes Geräusch und die Stacheln auf Frederics Kopf und Nacken steckten in der Stoffverkleidung des Autodaches. Der Drache unterbrach seinen Monolog. Dann zog er Wortlos einen Geldschein aus seiner Tasche und schob ihn in Avis Jacke. Dabei bewegte er unvorsichtig den Kopf und die Löcher im Stoff erweiterten sich zu Rissen. “Einfach nicht mehr bewegen. Ich muss eh demnächst in die Werkstatt.” kommentierte Avis. Für den Rest der Fahrt versuchte der Drache den Kopf still zu halten, was dazu führen sollte, dass er die nächsten Stunden einen Steifen Nacken hatte. Schlussendlich parkte Avis das Auto in der Nähe ihres Ziels, am Straßenrand, unter einer, hin und wieder flackernden, Straßenlaterne. Frederic wand sich aus dem Fahrzeug, dabei darauf bedacht, nicht noch mehr Schaden an zu richten. Er brauchte über zwei Minuten, doch Schlussendlich hatte er sich befreit, ohne den bereits lädierten Dachhimmel weiter zu beschädigen.

Endlich aus der Enge des Autos heraus, breitete Frederic seine ledernen Flügel aus. Von fünf dünnen Speichen gestützten, strecktem sich die schwarze Hautfläche auf eine Spannweite von fast dreieinhalb Metern aus. Die mächtigen Schwingen, mit den scharfen Dornen an den Spitzen, machten einen Imposanten Eindruck. Er flatterte ein paar mal damit, wobei die Hornspitzen Avis gefährlich nah kamen. Frederic schaute sich kurz verwirrt nach seinem Freund um. Dieser war, hinter der, noch immer flackernden, Laterne, in Deckung gegangen. “Sorry. Ich denk nicht immer dran.” entschuldigte der Drache sich und faltete die großen Flügel wieder auf seinen Rücken. Vorsichtig trat Avis aus dem Schutz des Laternenpfostens hervor, den Kopf eingezogen und sichtbar verunsichert. Frederic lächelte ihn, etwas schuldig, an. “Kommst du?” er deutete mit seinem Kopf die Straße hinunter. Der Laden, den Frederic ausgesucht hatte, befand sich im Untergeschoss, eines schmalen Hauses. Die Fenster im Erdgeschoss waren von innen mit Brettern vernagelt. Auf dem Fensterbrett und im schmalen Raum zwischen dem Holz und dem Rahmen lagen Glasscherben. Aus dem verrotteten Resten der Fensterdichtung ragten noch einige scharfe Glasstücke. Eine schmale Treppe an der Seite des Hauses führte in den Keller hinab. Zögerlich folgte Avis seinem Freund, der sich um seine Umgebung nicht sonderlich viel Sorgen machen, zu schien. Die Steinstufen unter seinen Füßen waren durch Regen und die häufige Benutzung glatt getreten und leicht angeschrägt. Er klammerte sich mit seiner Krallenhand am rostigen Geländer fest und stieg langsam die Treppe hinab. Frederic hatte sich nicht sonderlich um den Untergrund gesorgt und sich stattdessen mithilfe seines Schwanze gestütz, wärend er die Stufen eher hinunter gerutsch, statt gestiegen war. Avis Hände schmerzten, als er endlich das untere Ende erreicht hatte. Er nahm einen Tiefen Atemzug und bereute es sofort. Der Zigarettenrauch zog in seine Lungenflügel und es fühlte sich an, als hätte er eine Ladung Asche eingeatmet. Neben ihm ertönte ein trockenes Lachen. “Wen hast hast du mitgebracht?” fragte eine tiefe, ruhige Stimme. Avis Augen tränten und er konnte die Person nur schemenhaft erkennen. “Ein alter Freund. Er ist ok.” Der andere gab erst keine Antwort. Dann folgte ein kurzes. “Willkommen.” Noch bevor Avis etwas erwidern konnte, wurde er am Arm gepackt und Frederic zog ihn aus der Rauchwolke. Im inneren des Ladens war die Luft stickig, aber wenigstens nicht ganz so verraucht. Avis spürte den Blick des Fremden noch immer im Nacken, traute sich jedoch nicht, sich umzudrehen. Die ganze Situation war mehr als unangenehm und wurde noch schlimmer, als er hinter sich Schritte hörte. Frederic hatte sich auf einen der Hocker an der Bar gesetzt und symbolisierte Avis, sich neben ihn zu setzen. Der Vogel schwang sich auf den für ihn zu hohen Barhocker, der aufgrund seines geringen Gewichts kaum nach gab, weshalb Avis etwa einen halben Kopf höher war wie Frederic. Ein Sitz auf seiner anderen Seite, am Rand der Theke knarrte und eine Nikotin Wolke wehte zu ihm hinüber. Die Person hatte kurzes hartes graues Fell, eine lange stumpfe Schnauze. Zwischen seinen Lippen klemmte eine halb abgebrannte Kippe. Der Esel winkte dem Barkeeper zu und der Steinadler verschwand im Hinterzimmer, um kurze Zeit später mit einem Glas unidentifizierbarer, grüner Flüssigkeit wieder zu erscheinen. Frederic schien ihn vollkommen zu ignorieren. “Und? Irgendwas passiert, seit letztem mal?” “Terrence war im Krankenhaus. Überdosis…” “FUCK!”

Aus Frederics Reaktion schloss Avis, dass das Thema ihn persönlich getroffen hatte. “Wie geht es ihm?” seine Stimme war leiser geworden. “Hab ihn heute gesehen. Er ist wieder an der Hochschule.” Frederic atmete erleichtert auf. “Ich hätte ihm das nicht zugetraut. Weißt du mit was es sich abgeschossen hat?” “Keine Ahnung…” antwortete Avis. “Wenn es sein erstes Mal war und er Glück hat, kann es sein dass nichts weiter passiert. Wenn es was härteres war, sollte er sich Hilfe holen.” Die Stimme des Drachen hatte einen Tonfall, als versuche er seinen Freund nicht zu beunruhigen. “Gefährliches Halbwissen, oder persönliche Erfahrung?” hakte Avis nach. Die Antwort war ein trockenes: “letzteres”. Er griff nach einem Glas, dass der Barkeeper ihm hingestellt hatte und leerte es in einem Zug. Erst jetzt bemerkte Avis, dass der Adler wartend, auf der anderen Seite des Tresen stand und ihn anstarrte. “Ehm… ich nehm ein dunkles Weizen…” Ein missbilligender Blick kam zurück, doch mit einer schnellen, flüssigen Bewegung drehte der Raubvogel sich um und hantierte, verdeckt von seinen Flügeln, hinter der Bar herum. Es wirkte beinahe, als versuche er eine verbotene Tätigkeit zu verschleiern. Doch schlussendlich wandte er sich wieder Avis zu, ein schlankes Glas, gefüllt mit einer dunklen Flüssigkeit und einer kleinen Schaumkrone, in der Kralle. Noch immer Wortlos stellte er es vor Avis ab und wandte sich dann dem Esel zu, der noch immer neben Avis saß. Dieser nuschelte dem Adler, an der Zigarette in seinem Mund, vorbei, etwas zu, das Avis jedoch nicht verstehen konnte. Frederic fuhr fort: “Nachdem ich aus New Beril zurück war, bin ich in ein Loch gefallen. Meine Eltern hassten mich und ich hatte niemanden sonst, der mich hätte auffangen können. Es ist echt erstaunlich, wie schnell man bis in die Scheiße am Boden der Gesellschaft sinkt.” “Ich war immer da. Warum hast du dich nie gemeldet?” fragte Avis seinen Freund, wobei der Vorwurfsvolle Tonfall nicht zu überhören war. “Du hättest mich nicht sehen wollen. Nicht so.” er machte eine Pause. Dann lächelte er den Blauhäher an. “Aber jetzt sitze ich hier, mit meinem besten Freund, in einer dreckigen Kneipe in meiner Heimatstadt.” Der Adler schien ihn gehört zu haben, drehte seine Kopf ruckartig und warf ihm vom anderen Ende der Bar einen bösen Blick zu. Auch der Esel, der noch immer auf dem Platz neben Avis saß, stieß ein missbilligendes Räuspern aus, blieb aber sonst Stumm. Dennoch lösten die Reaktionen unbehagen in Avis aus. Seine Federn stellten sich mit einem leisen Rascheln auf. Frederic schien nichts aufzufallen und unterstützt von seinem inzwischen vierten Bier, redete er, mit einem leichten lallen, weiter auf Avis ein. Nach einer viertel, vielleicht auch eine halbe Stunde, und zwei weiteren Bier, endete sein Monolog abrupt. Nicht dass ihn etwas unterbrochen hätte, doch es schien, als wären ihm plötzlich die Worte ausgegangen. Er schaute nur, mit etwas trüben Augen, grob in Richtung Avis, wobei es ihm scheinbar schwer fiel, ihn mit seinen Schlitzpupillen zu fokussieren. Das blaue Reptilienauge starrte knapp an Avis vorbei, irgendwo hinter ihn. Dann, langsam, wie in Zeitlupe, rutschte Frederic vom Barhocker, auf dem er saß. Avis reagierte schnell, sprang auf und fing seinen Freund, bevor er zu Boden stürzen konnte. “Ich glaube du hattest genug.” Das Gewicht des Drachen zerrte an Avis und drohte, ihn zu Boden zu reißen. Mit aller Kraft stemmte sich Avis gegen den massigen Körper und verhinderte, dass Frederic auf den staubigen, dreckigen Boden fiel. Den Arm und einen Flügel über seine Schulter gelegt, schaffte er es, seinen Freund halbwegs zu stabilisieren. Doch jetzt stand er vor dem Problem, den Drachen zur Tür, die Treppe hinauf und zum Auto zu bekommen. Er versuchte sich Schritt für schritt vor zu kämpfen, wobei er den massigen Körper des Drachen hinter sich her schleifte. Und auf einmal, war es, als hätte er die Hälfte seines Freundes verloren. Das Gewicht auf seinen schmalen Schultern reduzierte sich schlagartig und er konnte kurz durchatmen. Verwirrt warf er einen Blick nach links. Der Esel starrte zurück. Die Zigarette fest zwischen die Lippen geklemmt. Frederics anderen Arm über seine eigene Schulter gelegt.

Er half Avis den Drachen bis zum oberen Ende der Treppe zu tragen. “Wenn er wieder nüchtern ist, sag ihm, dass er mir noch 15$ Schuldet.” Von Frederic kam ein unidentifizierbares Grummeln. Avis zog mit seiner freien Kralle seinen Geldbeutel aus seiner Hosentasche und drückte dem Esel zwei Scheine in die Hand. Dieser schaute sie kurz skeptisch an, als vermute er, dass es Falschgeld war, schob sie dann jedoch in die Tasche seine ausgebeulten Hose. Zwei Minuten später erreichten sie Avis Auto. Die Plastiktüte hatte sich fast komplett losgerissen und flatterte, nur noch an einem Zipfel gehalten im Wind. Gemeinsam schaffte sie es, Frederic auf die Rückbank zu buchsieren und Avis schnallte ihn, so gut es ging, an. Er wollte sich noch bei dem Esel bedanken, doch war er, als Avis sich umdrehte bereits einige Meter entfernt. Avis rief ihm zwar noch hinterher, doch reagierte er nicht darauf. Hinter ihm begann Frederic zu schnarchen. Avis ließ sich auf den Fahrersitz fallen. Im Rückspiegel sah er Frederic, dessen Körper das halbe Sichtfeld einnahm. Glücklicherweise hatte sich der Stau, der vor wenigen Stunden noch den Verkehr der Stadt fast zum Stillstand gebracht hatte, inzwischen aufgelöst und die, jetzt bedeutend kleineren, Automassen mit normaler Geschwindigkeit durch die Hafenmetropole flossen und nachdem Avis den äußeren Ring erreicht hatte, waren sie fast allein auf der gut ausgebauten Straße. Sie brauchten keine Viertelstunde, bis vor ihnen die ersten gelb grauen Blöcke des “Trader Districts” auftauchten. Frederics Schnarchen hatte inzwischen eine Tonlage, als versuche jemand das kleine Auto durch zu sägen. Avis brachte den Wagen vor dem Wohnblock zum stehen, in dem Frederic wohnte. Nach einem weiteren Blick auf den schlafenden Drachen auf der Rückbank, der von drei Gurten gehalten wurde, kam in ihm die Frage auf, wie er Frederic zur Wohnung schaffen würde. Nach kurzem Überlegen kam er zu dem Schluss: Gar Nicht. Der Drache verblieb erstmal auf der Rückbank und Avis machte sich auf, in Richtung des Hauses, um nach zu schauen, ob Carl und Bruce zuhause waren. Die Gegend war um diese Uhrzeit wie ausgestorben. Die Fenster des Wohnblocks waren dunkel, nicht ein einzelnes Licht war zu sehen. Er drückte den Knopf der Klingel. Nichts passierte. Noch einmal, wieder nichts. Entweder sie hörten die Klingel nicht, oder waren nicht zuhause. Er trottete zum Auto zurück. Frederics Zustand hatte sich nicht geändert und Avis vermutete, dass es auch noch einige Stunden dauern würde, bis der Drache wieder ansprechbar war. Nach einigen weiteren Minuten überlegen, kam er zu dem Schluss, dass seine einzige Option war, zurück zur Hochschule zu fahren und Frederic einfach auf der Rückbank ausnüchtern zu lassen. Während der weiteren Fahrt riss sich die Plastiktüte dann endgültig los und verschwand in der Dunkelheit der Nacht. Der Wind pfiff ins Innere des Wagens und durch Avis Gefieder. Schnell kroch die Kälte durch sein Gefieder hindurch, zu seiner empfindlichen Haut. Frederics schnarchen nach zu urteilen schien der Wind ihn nicht zu stören und auch die einen, oder anderen Bodenunebenheit, die die, durch sein Gewicht, ohnehin schon stark belastete Federung, nicht mehr ausgleichen konnte, schafften es nicht den Drachen zu wecken. Der helle Schein des Mondes erhellte das Gelände der Hochschule und einzelne, nachtaktive Studenten hetzten über die Kieswege zwischen den Gebäuden hin und her. Avis parkte sein Auto auf dem Parkplatz und stellte den Motor ab. Jetzt war nur noch Frederic zu hören.

Was würde er jetzt mit dem Drachen machen? Das gewaltige Reptil schnarchte noch immer auf der Rückbank vor sich hin, sein Kopf zwischen den Flügeln vergraben, die er um seinen Körper gewickelt hatte. Er hatte keine Chance ihn irgendwie zu bewegen und alle Versuche ihn auf zu wecken, scheiterten. Mangels Alternativen, musste Avis seinen Freund im Auto zurück lassen. Doch schon beim Verlassen des Parkplatzes, überkam ihn ein schlechtes Gefühl. Die Nacht war kalt und der Wind trieb die letzten Blätter der Bäume über den Rasen und die Kieswege. Im Keller des Wohnheims gab es einen Raum, in dem zusätzliche Bettwäsche aufbewahrt wurde. Das flackernde Licht enthüllte Berge, nein Türme von grau, gelb, weißen Bettdecken, Bezügen und Kissen. Er klemmte sich einiges davon unter die Arme und hetzte die Treppe wieder hinauf. Die Scheiben des kleinen Autos vibrierten durch Frederics lautes Schnarchen. Er zog den rauen Stoff über seinen Freund. Dabei versuchte Avis darauf zu achten, dass die Decke sich nicht in den Stacheln des Drachen verfing. Mit einer neuen Mülltüte aus der Küche im Wohnheim, klebte Avis das kaputte Fenster wieder zu. Immer noch, mit einem leichten, unguten Gefühl ließ er Frederic zurück und machte sich auf den Weg zu seinem Zimmer. Er ließ das Licht im Flur ausgeschalten und tastete sich blind voran. In seinen Gedanken zählte Avis seine Schritte. Eins, zwei, … bei 56 blieb er stehen und tastete nach der Tür zu seinen Linken. Er fand die Tür und hielt kurz inne. Hinter dem Holz konnte er Tim schnarchen hören. Er schob seinen Schlüssel in das Schloss und schob die Tür vorsichtig auf. Es gab ein leises metallenes Kratzen, vermutlich lag hinter der Tür eine leere Getränkedose. Er schloss die Tür hinter sich und tastete sich vorsichtig durch das Zimmer. Immer wieder stieß er an verschiedenste Dinge, die auf dem Boden verteilt lagen und ließ sich auf sein Bett fallen. Bevor er sein Handy auf den Nachttisch legte, tippte er noch schnell eine Nachricht an Frederic: “Sorry. Hab dich nicht aus dem Auto bekommen. Hoffe es war nicht zu kalt. Kannst das Zeug einfach da lassen. Und du schuldest mir 15$.” Das kleine Icon in der Ecke der Nachricht zeigte, dass die Nachricht angekommen war.

CHAPTER 6 - Familie

Avis war gerade auf dem Weg zum Frühstück, als Tim ihn einholte. Der Tiger überholte ihn und legte einen rückwärts Jog ein, während er einige Meter vor seinem Mitbewohner her lief. “Bist gestern spät zurück gewesen?” “Irgendwann nach 1 Uhr, konnte auch fast 2 Gewesen sein.” Sein noch immer müdes Vogelhirn kramte die Erinnerungen an den letzten Tag hervor… Verdammt. Lag Frederic noch immer in seinem Auto? “Hey Tim. Geh schonmal vor. Ich muss noch kurz was nachschauen.” “Aber beeil dich. Ich glaube du möchtest vor der Vorlesung noch was Essen.” Tim beschleunigte seinen Schritt, drehte sich mit einer flüssigen Bewegung um und joggte weiter in Richtung der Mensa. Avis machte kehrt und lief zurück zum Wohnheim. Sein Auto stand noch immer auf dem Parkplatz. Frederic war verschwunden. Die Decke und das Kissen lagen unordentlich auf der Rückbank. Daran hing ein kleiner Zettel. “Danke und Sorry. Mach dir keine Sorgen, ich find den Weg allein nach Hause. Hoffentlich.” Etwas erleichtert machte Avis sich auf dem Weg zur Mensa, dabei rannte er, fast, über den Kiesweg, um vor der ersten Vorlesung wenigstens noch irgendetwas zu Essen zu bekommen. Das Bettzeug würde er später wegräumen… falls er es nicht vergaß. Er stürmte in das überfüllte Gebäude, sprintete an der langen Schlange vor der Ausgabe vorbei und drängelte sich nahe der Theke zwischen einen Elefanten und ein Nashorn. Eine schlechte Idee, denn bevor die beiden ihn bemerkten, hatten sie ihn bereits zerquetscht. “Hey pass doch auf!” fuhr der Elefant das Nashorn an und zog Avis mit seinem Rüssel zur Seite. “Der hat sich einfach rein gedrängelt.” verteidigte sich das Nashorn, doch der Elefant war mehr als einen Kopf größer wie er. “Lass den kleinen in Ruhe. Wenn du Ärger willst, leg dich mit jemandem in deiner Größe an.” Dabei hob der Elefant den Rüssel und drohte mit seinen Stoßzähnen, die er zwar hatte absägen lassen, aber immer noch gefährlich wirkten. Der andere Dickheuter wich zurück, wobei er beinahe die in der Schlange hinter ihm Wartenden nieder walzte. Avis nutzte die aufkommende Verwirrung, um an dem Elefanten vorbei und direkt zur Ausgabetheke zu schlüpfen. Mit einem voll beladenen Tablett suchte er sich einen freien Platz. Und fand ihn. Neben Tim, Marcus und tatsächlich auch Terrence. Der Salamander saß zusammengesunken neben seinem Fuchs-Freund und hatte sich gegen dessen Schulter gelehnt. Das Essen auf seinem Tablett hatte er kaum angerührt. Marcus führte eine intensive Diskussion mit Tim, wobei er jedoch immer wieder kurz unterbrach und nach seinem Salamander-Freund schaute. Avis verzehrte sein Essen zügig, wobei er immer wieder einen Blick auf die große Uhr an der Wand der Mensa warf. Als sie zum Unterricht aufbrachen, schüttete Terrence das Essen auf seinem Tablett in den nächsten Mülleimer, bevor er sich mit den anderen auf den Weg machte.

Die Vorlesung kroch langsam voran. Sehr langsam. Avis stellte schnell die Vermutung auf, dass die Gepardin, die die Vorlesung hielt, eine Magierin sein musste, die die Fähigkeit besaß, die Zeit ewig zu strecken. Das zeigte sich jedoch nicht darin, dass die Zeit vor langeweile nicht verging, sondern, dass sie es schaffte in zwei Stunden Stoff durch zu nehmen, für den andere Professoren ein ganzes Semester gebraucht hätten. Immer, wenn Avis glaubte, der Unterricht müsste sich bald dem Ende nähern und er einen kurzen Blick auf die Uhr warf, musste er feststellen, dass nur wenige Minuten vergangen waren, in denen die Raubkatze weitere 5 bis 7 Folien ihrer Präsentation durchgegangen war. Dabei widersetzte sie sich aktiv dem Klischee, Geparden hätten keine Ausdauer und arbeitet sich mit einem konstanten Tempo durch die zum Teil, recht komplexen Sachverhalte. Neben Avis Block, auf dem er sich Notizen machte, stapelten sich die vollgeschriebenen Seiten. Um ihn herum erfüllte das Kratzen von Stiften und das klappern von Tasten den Raum. Auf dem Platz neben Avis saß wie meistens Marcus, der sich zwar auch Notizen machte, dabei jedoch nur einzelne Stichworte notierte, zu Themen, die er später Nachlernen würde. Es war bis jetzt nicht ganz eine halbe Seite. Demonstrativ riss er sein Maul zu einem langgezogenen Gähnen auf, wobei er demonstrativ sein Raubtiergebiss entblößte. Mit einem gut hörbaren Knacken, schnappte sein Kiefer wieder zusammen. Dann wandte er sich Terrence zu, der neben ihm saß und hektisch auf seinem Laptop herum tippte. Seine Augen waren fest auf den Bildschirm seines Laptops fokussiert, doch Avis konnte kaum etwas erkennen, da das Bild für ihn stark flackerte. Es war auch einer der Gründe, warum Avis im gegensatz zu den meisten keinen Laptop besaß. Eine kurze Recherche nach Notebooks mit flimmer armen Bildschirmen hatte schnell zu der Entscheidung geführt, die Notizen wenigstens vorerst weiter auf Papier zu machen. Außerdem, Avis wusste nicht genau warum, mochte er das Gefühl, echtes Papier in den Händen zu haben. Beim Arbeiten mit Digitalen Dokumenten überkam ihn etwas, dass am ehesten mit Platzangst vergleichbar war. Er musste sie schnell umsortieren oder mit bunten Filzstiften und kleinen Zetteln Markierungen und Anmerkungen daran anzubringen, oder Notizen darauf kritzeln können. Die Papierberge in seinem Zimmer mochten für andere wie ein absolutes Chaos wirkten, doch herrschte in wirklichkeite eine feine, fragile Ordnung, ein System, das es Avis erlaubte in erstaunlicher Geschwindigkeit darin Dinge zu finden… Die Vorlesung war zu Ende. Avis schnappte den Papierstapel und stopfte ihn in seine Tasche. Der Saal füllte sich mit Lärm, während die anderen Studenten ebenfalls ihre Notizen und Laptops weg packten. Das Rascheln von Fell, Federn und Schuppen, das kratzen von Krallen und ähnliche Geräusche übertönten die Ansage, die gerade aus den Lautsprechern dröhnte. Außer den Studenten, die sich direkt unter den Lautsprechern aufhielt, verstand niemand etwas, außer vielleicht einzelne, zusammenhanglose Wortfetzen. Avis glaubte Terrence Namen gehört zu haben, doch war er sich sicher, sich verhört zu haben. Die zweite Durchsage hörte er jedoch deutlich: “Avis Jay. Bitte im Sekretariat melden.” Er schaute sich kurz um. Marcus und Terrence waren verschwunden. Tim schaute ihn verwundert an. “Was haste Angestellt?” “Keine Ahnung!” verteidigte sich Avis.

Das Sekretariat lag im Erdgeschoss des Verwaltungsgebäudes. Dort, hinter dem Empfang ging seit jeher Arnold, ein großer Kaiserpinguin im schwarz weißen Jacket, seiner Arbeit nach. Als Avis den Raum betrat schaute er kurz von den Papieren vor sich auf, vertiefte sich dann jedoch schnell wieder in der Arbeit. “Ehm… ich bin Avis Jay. Ich soll mich melden…” stotterte Avis unsicher. Er war noch nie ins Sekretariat gerufen worden, erst recht nicht direkt aus der Vorlesung. Der Pinguin reagierte langsam, zögernd, als wäre Avis etwas unwichtiges, störendes, dass ihn von seiner richtigen Arbeit abhielt. “Ja?” Er hatte ihm anscheinend nicht zugehört. “Ich bin Avis Jay. Ich soll mich melden.” “Ja. Da ist ein Anruf für dich. Es ist anscheinend sehr Wichtig.” Der Sekretär hatte eine langsame, abschätzende Stimme, wie ein Buttler aus einem alten Film. Er deutete mit einem Kopfnicken in Richtung des Nebenzimmers. Vor einer, über und über mit Zetteln behangenen Pinnwand stand ein einsames Telefon im Raum. Eine rotes Lämpchen blinkte und wies darauf hin, dass das ein Anrufer wartete. Avis nahm den Hörer ab. “Hallo? Hier ist Avis Jay.” “Hi Rabe...” Seine Mutter rief ihn in der FH an? Und nicht auf dem Handy? Instinktiv tastete er nach seinem Smartphone. Es war nicht da. Verdammt. Er hatte es wahrscheinlich im Zimmer vergessen. Dennoch musste irgendetwas passiert sein. “Geht es allen gut? Ist irgendwas passiert?” “Dein Vater hatte einen Unfall. Ich bin auf dem Weg. Es ist scheinbar nichts schlimmes, aber könntest du deinen Bruder von der Schule abholen? Also nur wenn es mit deinem Unterricht passt...” seine Mutter versuchte ruhig zu bleiben, doch er konnte aus ihrer Stimme heraus hören, dass sie sich ernste Sorgen machte. “Ist er im Krankenhaus? Soll ich vorbeikommen?” “Nein. Nein. Es ist wirklich nichts schlimmes. Wir langweilen uns nur im Wartezimmer zu Tode. Kannst du ihn einfach um 12:00 abholen und mit ihm vielleicht noch irgendwas essen gehen?” “Klar. Kümmer dich um Dad. Ich schau nach Semnis.” “Du bist ein Schatz.” “Aber ruf mich an, wenn es doch was ernstes ist!” “Natürlich Rabe.” Er wartete noch einige Sekunden, ob seine Mutter noch etwas sagte, doch dann wurde die Verbindung getrennt. Er hielt den Hörer noch einige Sekunden in der Hand. Aus dem Lautsprecher kam weiter ein monotone Tuten, bis Avis ihn auf legte. Es war komisch. Er sollte sich jetzt ernsthafte Sorgen machen, doch irgendwie hatte er das ganze ziemlich Gefasst aufgenommen, auch zu seiner eigenen Verwunderung. Um um 12:00 an der Schule zu sein, fuhr er am besten eine halbe Stunde früher los, also musste er die letzte Vorlesung am Vormittag sausen lassen.

Als er den Hörsaal betrat, hatte die nächste Vorlesung bereits begonnen. Etwas geduckt huschte er durch die Reihen, doch die meisten achteten sowieso nicht auf den Unterricht. Als er seinen Platz erreicht hatte, fiel ihm auf, dass Terrence und Marcus noch immer fehlten. Tim hatte andere Kurse weshalb Avis nun alleine da saß. Der Vorlesung folgte er nur mit einem Ohr und einem Bruchteil seines Gehirns. Seine Gedanken kreisten um seinen Vater. Immer wieder warf er einen Blick auf die Uhr, die an der Nordwand des Raums hing.

Kurz vor halb zwölf packte er seine Sachen zusammen. Professor Braun schritt langsam vor der Leinwand auf und ab, während er mit monotoner Stimme Dinge erklärte, die Avis vielleicht zur Hälfte verstand. Marcus und Terrence waren noch immer nicht aufgetaucht. In den Gängen des Gebäudes war es ruhig und Avis begegneten kaum mehr als ein dutzend andere Studenten. Die meisten rannten gehetzt durch die Gänge, Taschen, Laptops und/oder Blöcke und Zettelstapel unter den Armen. Der Großteil ignorierten ihn, oder nickten ihm nur kurz zu. Die grauen Wolken hingen tief über der Stadt und dem Gelände der Hochschule. Die Plastiktüte zappelte Wild im kalten Wind, der die braunen Blätter über den Asphalt trieb, den der Hausmeister erst diesen Morgen von eben jenen befreit hatte. Augenscheinlich ein netter, doch ziemlich aussichtsloser Versuch. Avis erreichte sein Auto. Die Plastiktüte über dem Fenster flatterte im Wind und irgendjemand hatte es für Lustig empfunden etwas unleserliches mit Filzstift darauf zu kritzeln. Avis sprang in das Auto und ließ den Motor an. Den großen Berg Bettwäsche, der noch immer auf dem Rücksitz lag, blieb dort auch liegen, da Avis keinen Gedanken daran verschwendete. Stattdessen strengte er sich an, den Weg zur Grundschule zu erinnern. Es war immerhin mehr als 11 Jahre her, dass er täglich mit dem Schulbus dort hingefahren war. Und damals hatte er anderes im Kopf gehabt, als der Weg, den dieser nahm. Anhand verschiedener Erinnerung Schnipsel versuchte er die ungefähre Lage der Schule zu rekonstruieren und fuhr schließlich los, im Hinterkopf immerhin eine ungefähre Ahnung, wo er hin musste. Es war 11:35. Über die Umgehungsstraße schaffte er sogar die Hälfte der Strecke, bevor vor ihm die roten Rücklichter der endlosen Autokolonnen auftauchten. Nur wenige hundert Meter vor der Abfahrt. 11:45. Avis fuhr von der Umgehungsstraße ab, hinunter in das Wohngebiet, in dem die Birdhouse Grundschule lag. Avis selbst hatte noch gute, aber auch all zu schlechte Erinnerungen an die Zeit dort. Retrospektiv überwiegte zwar das Positive, doch Avis war sich sicher, dass das die Nostalgie war, die mit der Zeit die Vergangenheit verzerrte und das meiste schlechte, oder unangenehme tilgte. Selbst die Narbe, die sein Gesicht zierte, löste bei ihm nichts negatives aus, ironischerweise eher das Gegenteil… Jemand hinter ihm Hupte. Die Ampel war grün geworden. Avis setzte den Blinker und rollte auf den Parkplatz der Schule. Eine niedrige Hecke trennte die Asphaltfläche vom Schulhof, auf dem gut drei dutzend Kinder spielten und vermutlich auf ihre Eltern warteten. Sein Bruder saß auf einer kleinen Mauer am Rand des Hofs, neben ihm ein Rattenmädchen mit dem er sich lautstark ein Wortgefecht lieferte. Avis konnte einzelne Satzfetzten aufschnappen: “...niemals. Das hat sie sicher nicht.” “Doch. Ich lüge nicht...” Semnis brach im Satz ab, als seine Augen Avis erblickten. Avis lächelte ihm zu. “Hi kleiner Bruder.” Semnis sprang von der Mauer auf und rannte auf seinen großen Brude zu. “Was machst du hier?” “Ich hol dich von der Schule ab und geh mit dir Mittagessen.” Die Augen des jungen Vogels leuchteten. Er drehte sich noch kurz zu seiner Freundin um, die noch immer auf der Mauer saß. “Bis Morgen!” Das Rattenmädchen lächelte zurück, vergrub dann die Hände in der Brusttasche ihres Pullovers, zog die Kapuze über ihren Kopf und lief mit kurzen Schritten in Richtung der Straße.

Aufgeregt trippelte Semnis hinter seinem Bruder her. Dabei machte der junge Vogel immer wieder kleiner Hopser oder balancierte einige Schritte auf den Steinen, die den Weg, von einer kleinen Rasenfläche, abgrenzten. “Und? Was ist aus der Sache mit Andrea geworden?” Semnis blieb stehen und schaute auf den Boden. Avis blieb ebenfalls stehen. “Du hast es den Eltern doch gesagt, oder?” “ja…” flüsterte Semnis. “Und?...” hakte Avis weiter nach. “Sie haben nicht geschimpft.” Die Stimme des jungen Vogels war kaum noch zu verstehen. “Aber Mama war echt enttäuscht.” Avis kannte das gefühl nur zu gut. Ihre Mutter hatte wie viele Mütter die Fähigkeit, ohne zu schimpfen, ohne zu schreien, ohne auch nur irgendwie laut zu werden, dafür zu sorgen, dass man sich richtig schlecht fühlte. Einfach nur dadurch, dass sie einen spüren ließ, wie enttäuscht sie war. Allgemein konnte Avis sich nur an wenige, vielleicht ein halbes dutzend Situationen erinnern, in denen ihre Mutter wirklich wütend gewesen war. Doch das Schweigen und die vorwurfsvollen Blicke, die ruhigen, gefassten Erklärungen, waren für ihn jedes mal, ein vielfaches schlimmer gewesen, als hätte sie ihn einfach angeschrien. Weil ihre Mutter es nicht einfach hinnahm, sondern nur darauf wartete, dass man selbst den ersten Schritt machte und sich seine Fehler ein- und dann auch dafür gerade stand. “Kommst du wieder nach Hause?” Avis schaute seinen Bruder fragend an. Wie kam er auf den Gedanken? “Nein…” “Schade. Du könntest bestimmt wieder einziehen. Dein Zimmer ist immer noch da.” Tatsächlich? Sein Vater wollte aus seinem Raum unter dem Dach doch ein Hobbyzimmer machen. Vermutlich hatte er bisher einfach keine Zeit gehabt. Semnis riss seinen Bruder aus seinen Gedanken. “Wohin gehen wir?” Avis hatte sich noch keine Gedanken gemacht. “Worauf hättest du denn Lust?” Semnis stieß ein fröhliches Zwitschern aus.

Eine viertel Stunde später saßen sie an einem Kunststoff Tisch. Die Oberfläche klebte leicht. Avis bearbeitete den Burger vor ihm mit Messer und Gabel, um ihn in schnablegerechte Stücke zu bekommen. Semnis hatte eine andere Strategie und zerhackte seine Mahlzeit einfach mit dem Schnabel, was jedoch seine Kleidung in Mitleidenschaft zog. “Und sonst?” fragte Avis seinen kleinen Bruder. Er hielt kurz inne und schaute etwas verlegen auf den Tisch. “Ich hack dir kein Auge aus. Und den Eltern gegenüber habe ich doch auch den Schnabel gehalten, oder?” “Andrea…” Avis Gehirn begann zu arbeiten. Semnis hatte ihm doch schonmal etwas über sie erzählt. “... sie hat mich gefragt, ob ich ihr Freund sein möchte…” In Avis Gehirn rasteten die Zahnräder ein. “Hattest du dich nicht mit ihr gestritten?” “Das war nichts so ernstes...” Avis hatte das aus ihrem kurzen Telefongespräch anders in Erinnerung, doch er verkniff sich ein Kommentar. “... und ich habe mich Entschuldigt.” schloss Semnis bestimmt ab. Avis verzog sein Gesicht zu einem breiten Grinsen. Das ganze Erinnerte ihn daran, wie er und Frederic Freunde geworden sind, nur war es da anders herum gewesen. Semnis schnappte sich die übrigen Pommes vom Tablett seines Bruders.

Die kleine Rasenfläche vor dem Haus war gemäht, die niedrigen Büsche, die das Grundstück zu den Nachbarn abgrenzte ordentlich geschnitten. Avis lenkte sein Auto auf die kurze Auffahrt und parkte vor dem Tor der Garage. Kaum stand das Auto still, riss Semnis die Tür auf und sprang hinaus. Avis zog die Handbremse an, zog den Schlüssel ab und atmete kurz tief durch, bevor er ebenfalls ausstieg. Die Haustür wurde geöffnet und seine Mutter stand im Türrahmen. Semnis stürzte auf seine Mutter zu und umarmte sie. Avis sah auf dem Gesicht seiner Mutter sorge, aber auch etwas Vorwurf, den er jedoch nicht zuordnen konnte. Dann öffnete sie jedoch ihre Arme um ihren älteren Sohn zu empfangen. “Und Rabe? Alles in Ordnung?” “Ja. Alles bestens. Wie geht es Dad?” “Komm erstmal rein.” Semnis war bereits in das Haus gestürmt. Avis ließ sich Zeit. Der Spiegel, der früher gegenüber der Eingangstür gehangen hatte, war einen Meter nach rechts gewandert. An seiner statt hing dort ein großes, gerahmtes Foto. Avis eigene, rote und gelbe Augen starrten ihn an. Neben ihm stand Semnis und grinste nervös in die Kamera. Hinter ihnen standen ihre Eltern und zur Rechten seines Vaters saß Avis Großvater. Die Farbe seiner Federn war matt, doch er lächelte ihn mit seinen graublauen Augen an. Der kurze Flur führte direkt ins Wohnzimmer. Eine schmale Treppe zu seiner Rechten führte ins obere Stockwerk, wo sich sein ehemaliges Zimmer befand. Am Ende des Gangs trennte eine matte Glastür den Flur vom Wohn und Esszimmer ab. Avis durchquerte den engen Gang zügig und wollte gerade in das mit Teppichboden ausgelegte Wohn und Esszimmer. “Schuhe ausziehen!” rief sein Vater vom Sofa aus durch den Raum. Avis erstarrte, einen Fuß erhoben und die Sole nur wenige Zentimeter von den Fasern des Bodens entfernt. Semnis drückte sich an ihm vorbei, wobei er seinen Bruder aus dem Gleichgewicht brachte. Die Sole setzte auf dem Stoff des Teppichs auf. Einige Sekunden herrschte Stille. Avis zog den Fuß langsam zurück, doch sein Vater kommentierte nur, “Jetzt ist es eh zu spät.” Vorsichtig zog Avis die Schuhe aus, bevor er einen zweiten Versuch unternahm, diesmal mit Krallenfüßen und Socken, das Wohnzimmer zu betreten. Der Arm seines Vaters war in weißen Gips gekleidet. In regelmäßigen Abständen reichten die langen Flugfedern aus dem Material. Sie ließen sich nicht mehr einfalten und standen vom Arm ab, was augenscheinlich sehr unpraktisch war. “Muss ich mir erst den Arm brechen, dass du mal wieder bei uns vorbeischaust.” scherzte er, dabei war aber auch bei ihm etwas Vorwurf heraus zu hören. Avis spürte das leichte ziehen seines schlechten Gewissens. Er hatte seit Monaten nicht zuhause vorbeigeschaut und jetzt war der Anlass ausgerechnet ein Unfall seines Vaters. “Das war ein Spaß.” kam es vom Sofa. Man hatte Avis seinen Gedankengang scheinbar angesehen. “Komm setzt dich.” Sein Vater rutschte etwas zu Seite. “Wie läuft das Studium? Wie schlägt sich unser Sohn in der harten Welt da draußen?” Er schien den Fakt, dass er sich vor wenigen Stunden den Arm gebrochen hatte, weitestgehend zu ignorieren.

“Schön dass ihr euch wieder getroffen habt und er jetzt sein eigenes Leben führt.” Sie waren beim Thema Frederic angekommen. Auf dem kleinen Wohnzimmertisch standen Tassen mit Tee oder Kaffee und ein kleiner Teller mit Kuchen. “Seine Eltern waren mir immer Komisch vorgekommen, ziemlich abgehoben. Da hat er nie wirklich dazu gepasst. Was macht er jetzt?” “Er ist Verkäufer im Sellingpoint.” “Ah, er ist also auf dem Boden geblieben.” Seine Mutter verschwand kurz in die Küche und kam dann mit einer Schüssel Kekse zurück. Einer sehr großen Schüssel. Sie liebte es zu backen und Avis würde sich später definitiv noch etwas einpacken lassen, um damit später Marcus bestechen zu können. Dieser hatte eine Schwäche für die selbst gebackenen Vollkorn Honig Kekse, was Avis einiges an Arbeit für Wirtschaftsrecht ersparen würde. Es war kurz nach vier, als er das Haus verließ. Sei Auto stand noch immer, sehr schief, in der Einfahrt. Die Plastiktüte flatterte im Wind und auf der Rückbank lag noch immer das Bettzeug aus dem Wohnheim. Wäre es nicht sein eigenes Auto, hätte Avis wahrscheinlich vermutet, dass der Besitzer vor kurzem Obdachlos geworden war. Oder konnte man es Obdachlos nennen, wenn man noch ein Auto besaß, in dem man schlafen konnte? Er verwarf den seltsamen Gedanken, setzte sich hinters steuer, schaltete das Radio an und startete den Motor. Er brauchte einige Versuche, doch dann erwachte das Auto zum leben. Er setzte zurück auf die leere Straße, warf noch einen Blick auf sein Elternhaus, seine Mutter winkte ihm durchs Fenster, was er erwiderte, und fuhr dann zurück zur Hochschule. Die meisten Vorlesungen für den Tag waren bereits vorbei. Dennoch schien das Gelände verweist. Der kalte Herbstwind trieb die Studenten, Professoren und sonstigen Mitarbeiter ins warme Innere der Gebäude. Wenigstens fast alle. Marcus saß auf einer Bank am Weg, der das Wohnheim mit dem Hauptgebäude verband. Er hatte sich in eine dicken Jacke vergraben und starrte auf den weiß grauen Kies. Der Wind zauste durch das Fell, das nicht geschützt war und verwuschelte die braun roten Haare des Fuchses. Avis setzte sich neben seinen Freund, der ihn scheinbar nicht bemerkte. Er öffnete die Keksdose. Marcus schreckte auf. “Wo kommst du her? Wie lange sitzt du schon da?” “Eine knappe Stunde.” scherzte Avis. “Möchtest du einen Keks?” hängte er noch an. Die Gesichtszüge des Fuchses entspannten sich. “Habe ich irgendetwas relevantes verpasst?” “keine ahnung…” nuschelte Marcus. Marcus hatte ein Vorlesung geschwänzt? Damit war es eindeutig, dass etwas überhaupt nicht stimmte. “Was ist passiert?” hakte er nach. “Terrence Eltern waren da.” “Oh…” “Sie haben es mitbekommen?” “Jap!” “Und?” “Er hat sich in unserem Zimmer eingeschlossen und redet mit niemandem mehr…” Markus schnappte sich einen Keks. “Wenn du willst, kannst du in meinem Auto schlafen. Hat Frederic auch schon gemacht…” dabei fiel ihm ein, dass das Bettzeug noch immer auf der Rückbank lag. Er müsste es in näherer Zeit mal in den Waschraum bringen. Inzwischen war die Kälte durch Avis Jacke und Gefieder gekrochen. “Mir ist kalt. Ich geh rein. Kommst du mit, oder bleibst du hier?” Marcus wirkte unschlüssig. “Kannst auch erstmal bei uns unterkommen… irgendwie.” Avis sprang von der Bank und machte einige Schritte in Richtung Wohnheim, stoppte dann jedoch und wartete auf Marcus.

Marcus klopfte vorsichtig an die Tür. Im Raum dahinter schepperte etwas. Mehr geschah jedoch nicht. “Terrence?” Marcus erhielt keine Antwort. Avis Blick fiel auf das ramponierte Schloss des Zimmers. Lange Kratzer zierten den Rahmen und die Tür. Eine Kralle des Fuchses fuhr über die Oberfläche und zog eine weitere Furche in das Holz. Das knirschende, kratzende Geräusch ließ Avis einen Schauer den Rücken hinunter laufen. Die runden Späne lösten sich von der Tür ab und fielen auf den Kunststoffboden des Ganges. Der Fuchs schob sie mit dem Fuß in den Spalt unter der Tür. Er setzte seine Kralle an der Falle des Schlosses an, der Riegel war nicht geschlossen. Der Fuchs hielt jedoch inne und nahm dann die Pfote wieder vom Schloss. Knapp eine Minute stand Marcus planlos auf dem Gang. Er hatte die Ohren wieder eingeklappt und der Schwanz hing schlaff auf den Boden. Einige andere Studenten liefen an ihnen vorbei und machten einen Bogen um den, noch immer starren Fuchs. Ein großer, breiter Braunbär trat jedoch versehentlich auf den wuscheligen rotbraunen Schwanz. Marcus stieß ein schmerzerfülltes Bellen aus. “Tschuldigung.” brummte der Bär, schlurfte aber unbeeindruckt weiter den Gang hinab. Marcus lehnte an der Wand und hielt seinen, etwas zusammengedrückten, Schwanz fest, das Gesicht schmerzverzerrt. Langsam rutschte er hinunter auf den Boden. Eine Träne rann durch das orangene Fell. Es gab ein Klicken. Die Tür schwang einige Zentimeter auf. “Ich glaub wir müssen reden…” flüsterte Terrence kaum hörbar. Avis nickte Marcus aufmunternd zu. Der Fuchs rappelte sich auf, nickte dankbar zurück und schlüpfte dann durch den Spalt in der Tür. Avis machte sich auf den Weg zu seinem eigenen Zimmer. Tim war nicht da und Avis ließ sich einfach auf sein Bett fallen und starrte mit offenen Augen gegen die Decke. Seine Gedanken kreisten. Er zog sein Smartphone hervor. “Heute Zeit?” Es dauerte einige Minuten, bis er eine Antwort erhielt. “Klar! 16:15 Feierabend. Danach ins Topwing? Kommt noch jemand mit?” “Tim vlt. Ich frag ihn mal. Was ist mit Carl und Bruce?” Diesmal kam die Antwort umgehend. “Ich möchte den beiden mal einen Abend zu zweit lassen.” Avis stellte sich kurz vor, wie es wäre in einer WG mit einem Pärchen zu leben… Ok, definitiv etwas, auf das er in seinem Leben verzichten konnte. “Verständlich. Bis nachher.” “Bis nachher.” Avis warf sein Smartphone zielgenau auf seinen Nachttisch, dort rutschte es jedoch über einen Schnellhefter und fiel auf der anderen Seite hinunter, wo ein zusammengeknülltes T-Shirt glücklicherweise den Sturz abfing. Dann schloss er die Augen... 

Das Knallen der Tür riss Avis aus seinem Dämmerzustand. Avis öffnete ein Auge halb und konnte eine unscharfe orangene Gestalt in der Nähe der Tür sehen. Er wollte das Auge gerade wieder schließen, da tauchte hinter seinem Mitbewohner eine zweite, Person auf. Durch sein noch immer nur halb geöffnetes Auge, war sie nur eine grün rote Scheme. Langsam öffnete er das Auge vollständig. “Und das ist mein Mitbewohner Avis…” Die Person war ein Papagei, mit rot grün weißem Gefieder. “Hi! Ich bin Tamara!” stellte sie sich vor. “Bin mal kurz weg.” kommentierte Tim und verließ das Zimmer. Avis rollte sich zur Seite, schob seine Beine über die Bettkante und richtete sich auf. Dabei spürte er, dass die Feder auf seiner linken Gesichtshälfte ziemlich platt gedrückt sein mussten, weshalb er seinen Kopf kräftig schüttelte. “Du kannst auch ruhig liegen bleiben.” kommentiere das Papageien Mädchen.

Avis Verstand klärte sich. Wenigstens ein bisschen. Die Papageiin hatte inzwischen den Raum durchquert und stand beeindruckt vor den Papiertürmen auf Avis Schreibtisch. Die Papiertürme hatte auf die meisten Besucher diesen Effekt, hatte sie doch etwas, Karikatur haftes. “Wie viele Bäume mussten dafür sterben?” “Keine Ahnung, aber laut meinem Freund Marcus bin ich allein für die Entforstung von Neu Korelia verantwortlich.” “Kann ich mir vorstellen.” murmelte sie vor sich hin. “Hast du Ahnung von Exportzöllen?” Die schwarzen Federn über Avis linkem, roten Auge, wanderten erstaunt in die Höhe, eine für Vögel eher ungewöhnliche Geste, die er sich jedoch über die Jahre angewöhnt hatte. “Ehm… hab da bestimmt etwas.” Er schob sich an ihr vorbei und begann in den Zetteln zu wühlen. Aus dem Turm Semester 3 Außenhandel, zog er einzelne Seiter heraus. “Nur wenn es keine Umstände macht…” sie machte einen Schritt zurück und betrachtete die Papierstapel misstrauisch, als würden sie jeden Moment einstürzen, um sie beide zu begraben. “Hier sollten die wichtigsten Sachen drauf stehen.” “Vielen Dank, wollte keine Umstände machen…” Sie wurde unterbrochen. “Warum wollen eigentlich immer alle nur das Wissen meines Zimmerkollegen anzapfen?” Tim hatte das Zimmer betreten. “Um dieses Vogelhirn herum, ist auch noch ein echt netter Typ. Manchmal etwas verpeilt, aber doch liebenswert.” Tamara hatte inzwischen ihr Smartphone hervor gezogen und fotografierte die Seiten, die Avis ihr gegeben hatte, bevor sie sie an die Stellen zurück schob, an denen Avis sie aus dem Chaos gezogen hatte. “Nochmal vielen Dank. Du rettest mir damit meinen schönen gefiederten Arsch. Dafür schulde ich dir was” Sie lächelte Avis an, dann wandte sie sich Tim zu. “Du hattest Recht. Und unsere Vereinbarung steht?” “Ich glaub schon.” antwortete der Tiger. Als sie aus dem Zimmer ging, flüsterte sie Tim noch etwas zu, woraufhin er einen seltsamen Blick in Avis Richtung warf. Doch dieser mochte ihn nicht zu deuten. “Sie ist ein Semester unter uns. Wenn du willst, kann ich dir ihre Nummer geben.” Tim hatte die Tür hinter ihr geschlossen und grinste Avis an. Versuchte sein Zimmerkollege ihn gerade zu verkuppeln? Er würde in nächster Zeit vorsichtig sein müssen. “Heute Abend schon was vor?” “Vielleicht” antwortete Tim nachdenklich. “Worum gehts?” “Wollen heute abend wieder ins Topwing. Frederic bringt noch n paar Leute mit.” Tim schien kurz überlegen zu müssen. “Klar. Passt perfekt. Bin dabei.” dann stürmte er mit einem triumphierenden Gesichtsausdruck aus dem Zimmer und ließ Avis, etwas verwirrt, zurück. Der Abend würde interessant werden und einige Überraschungen bereithalten.

Kurz vor vier stand Avis auf dem Parkplatz und wartete auf Tim, als er hinter sich Schritte hörte. Sie waren zu leicht, federnd, als dass sie zu dem Tiger gehören konnten. Avis drehte sich um. Es war niemand zu sehen. Jemand tippte ihm auf die Schulter. “Buh!” Avis zuckte zusammen und drehte sich ruckartig um. Wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt sah er eine Menge rote Federn. Tamara sprang lachend einen Schritt zurück. Die Papageiin grinste ihn an. “Und? Überrascht mich schon wieder zu sehen?” “Ja…” antwortete Avis zögerlich. “Tim hat gesagt ich könnte mitkommen.” “Hat er?” Er hätte Avis wenigstens bescheid geben können. “So. Kommt noch jemand, oder können wir los?” Tim tauchte hinter Avis Auto auf.

Während sie sich in das kleine Auto quetschten warf Avis Tim noch einen Vorwurfsvollen Blick zu. Dieser erwiderte ihn mit einem breiten, Reißzähne entblößendem, Grinsen. Avis hatte zwar inzwischen die Bettwäsche vom Rücksitz geräumt, dennoch war die Luft im Innenraum noch immer Stickig, weshalb er das Fenster auf der Fahrerseite herunter ließ. “Kannst du das Fenster hinten öffnen?” “Klar!” Tamara kurbelte die Scheibe auf ihrer Seite herunter und der eisige Herbstwind zog durch das kleine Auto. Avis Federn plusterten sich auf. Er versuchte jedoch sich nichts anmerken zu lassen. Die Straßen der Stadt waren mal wieder überfüllt, weshalb Avis einen Umweg über den Trader District wählte. “Wer kommt heute Abend noch so?” Die Frage kam von Tamara. “Frederic, ein guter Freund von mir und ein paar andere, die er noch mitbringt.” Sie ließen den Hochschulbezirk hinter sich und erreichten bald die grau braunen Wohnblöcke. Einige braunen Blätter der knochigen Bäume, die die Straße säumten, fanden ihren Weg in den Innenraum des Autos und flatterten einige Sekunden umher, bevor sie irgendwo hängen blieben. So befand eines, dass Tims Gesicht ein hervorragender Platz war um sich niederzulassen, während ein zweites an der Frontscheibe hängen blieb. Die anderen tanzten wild im Innenraum umher. Hektisch kurbelte Tamara das Fenster wieder hinauf. Die Blätter kamen zur Ruhe und setzten sich langsam auf verschiedene Oberflächen des Fahrzeugs, an denen sie, dank ihrer feuchten Oberfläche hervorragend festklebten. Um 16:05 erreichten sie das Parkhaus in der Nähe des Topwings. Avis zog ein verbliebenes Blatt von der Seitenscheibe, bevor er das Fenster herunter ließ, um das Ticket aus dem Parkautomat zu ziehen. In der hintersten Ecke der obersten Ebene fanden sie glücklicherweise eine halbe Parklücke, in die Avis das kleine Auto hinein Quetschte. Mal wieder dankte er der Natur für seinen schmale Vogelkörper und quetschte sich durch den Spalt zwischen Tür und Rahmen, ohne eine Delle in das Nachbarauto zu machen. Tamara hatte sich bereits vom Fahrersitz befreit und trippelte auf der Stelle. Tim hatte größere Probleme einen Weg von der Rückbank aus dem Fahrzeug heraus zu finden. Schließlich fand er diesen durch den Kofferraum. Was aufgrund des Fakts, dass er sich ursprünglich auf dem Beifahrersitz befunden hatte, einiges an Verwunderung, aber auch Sorge über den Zustand seines Autos, in Avis auslöste. Etwas zu laut schloss der Tiger die Klappe des Kofferraums. Es gab ein Scheppern und der Knall hallte durch das Parkhaus. Die beiden Vögel zuckten zusammen. “tschuldigung…” “Immerhin ist die Heckscheibe noch drin.” kommentierte Tamara. Als sie das Topwing erreichten, war Frederic bereits da. Der Drache saß an einem der Tische vor dem Laden und winkte den Neuankömmlingen zu. Ein kalter Windstoß zog durch die Straße. Als sie näher kamen, erhob sich Frederic langsam von seinem Stuhl und Grinste sie an, wobei seine Mundwinkel einige Spitze Zähne entblößten. “Guten Abend die Herren…” er machte eine kurze dramatische Pause, “und Damen.” Zusätzlich deutete eine Verbeugung in Tamaras Richtung an. “Abend.” erwiderte Avis kurz. “Sollen wir rein gehen? Ist etwas frisch hier draußen.” “Kein Gespür für Timing…” kommentierte Frederic etwas enttäuscht und deutete Tamara mit einer Geste, dass sie vorgehen sollte. Sie setzte ebenfalls ein breites Grinsen auf, streckte demonstrativ den Schnabel in die Höhe und stolzierte mit extra ausladenden Schritten in die Bar.

Hinter der Theke stand wie immer des Desman und putzte die Gläser. “Abend Jurij” rief Frederic ihm zu, worauf hin er aufschreckte und die lange Rüsselnase in die Höhe reckte. “Frijederic? Schijön dass du mal wjider da bjist. Sjucht euch einfach einen Tjisch. Sjollte genug frei sjein.” Er hielt kurz inne. Dann rief er durch die Tür hinter dem Tresen. “Faun! Gjeste!”, bevor er sich wieder den Gläsern widmete. Sie waren fast allein in der Bar. In einer Ecke saß ein Fuchs, der seinen Kopf an die Schulter der Katze neben ihm gelehnt hatte und mit etwas trübem Blick ins Nichts starrte. Die Katze schnurrte leise, wobei sie an einem Dolphin Bay Blue nippte. Frederic ließ sich auf einen Platz an einem länglichen Tisch fallen. Avis setzte sich auf einen der Stühle an der gegenüberliegenden Tischseite. Tamara, die noch kurz ihre Jacke an die Garderobe gehängt hatte, nahm auf dem Stuhl neben ihm Platz, während Tim zu Frederic auf die Bank rutschte. Der Drache faltete dafür seine zuvor ausgebreiteten Flügel auf seinen Rücken. Aus Richtung der Tür war ein zischendes Geräusch zu hören, gefolgt von einem quickendem Gackern. Ein Pinguin in einem Trenchcoat und mit dickem Schal um den Hals, hatte den Laden betreten und schaute sich um, wobei sein Kopf sich ruckartig umher drehte. Er stieß ein pfeifendes Nießen aus. Dann erblickten seine tränenden Augen Frederic, der ihn zu ihnen winkte. “Alfred. Toll dass du es noch geschafft hast.” “Frederi…” ein weiterer Nießer schüttelte ihn durch und unterbrach seinen Satz. Erschöpft ließ er sich auf einen freien Stuhl am Tisch fallen. “Das ist Alfred. Wenn ihr eine Hafenrundfahrt machen wollt, ist das euer Vogel.” Avis war immer wieder fasziniert, wen Frederic alles kannte. “Hey. Ich bin gleich wieder da. Es kommen vielleicht noch ein paar Leute. Wenn noch mehr Personen auftauchen, die etwas Planlos und/oder Seltsam wirken, winkt sie einfach her. Ich schau dann später welche ich davon kenne.” Bevor jemand etwas einwenden konnte, war Frederic schon aufgesprungen und aus dem Laden gestürmt. Im Laufe der nächsten halben Stunde sammelten sich eine interessante Gruppe Personen an dem Tisch. Eine Stabheuschrecke, mit dicker Hornbrille und Strickpullover namens Loren, Florian ein schwarzer, einohriger Kater im Karohemd und Bea eine Krokodildame im schwarzen Kapuzenpullover hatten sich zu ihnen gesellt. Bea kaute auf einer Zigarette herum, die sie jedoch nicht angezündet hatte, das Topwing war eine Nicht Raucher Bar. “Und? Wie kommt es, dass ihr hier seid?” fragte die Krokodildame mit einer Merkwürdig Paradoxen Mischung aus Neugier und völligem Desinteresse. “Frederic und ich kennen uns schon seit der Grundschule…” setzte Avis an, wurde dann jedoch von Florian unterbrochen. “Avis, oder?” er machte eine kurze Pause, als warte er auf eine Antwort, doch gerade als Avis den Schnabel öffnete fuhr er fort. “Frederic hat oft von dir erzählt. Freu mich dich mal kennen zu lernen.” Er reichte ihm eine Pfote und Avis konnte mehrer Tiefe Narben erkennen, über denen kein neues Fell gewachsen war. Ein Finger fehlte. Avis zögerte kurz, bevor er vorsichtig Zugriff. “Brauchst da keine Rücksicht nehmen. Die Nerven sind eh größtenteils Abgestorben.” Einige der Anwesenden starrten, ungewollt auf den Kater, der sich jedoch nichts anmerken ließ. “Keine schöne Kindheit.” Kommentierte er nur kurz. “Aber hey, seit zwei Jahren Clean und auch keine Selbsthilfegruppe mehr.”

“... und dann kam dieser Drache und hat mich aus der Scheiße raus gezogen.” Langsam ergab sich ein Bild. In den letzten Jahren hatte Frederic einen kompletten Absturz gehabt und beim Weg zurück einige Leute mitgezogen. Seit sie sich aus den Augen verloren hatten, hatte er eine erstaunliche Wandlung durchgemacht. “Scheiße!” entfuhr es Bea. Die anderen Verstummten. Bevor jemand ihre Äußerung zu ordnen konnte, war sie bereits aufgesprungen und zur Tür geeilt. Frederic hatte die Bar betreten. Eine Sporttasche über der Schulter und einen langen Kratzer über die linke Gesichtshälfte. Faun, der Rabe, der hier Abends kellnerte, kam hinter dem Tresen hervor gesprungen. “Alles in Ordnung? Ach was sage ich. Soll ich einen Krankenwagen rufen?” Frederic setzte ein schiefes Lächeln auf. “Ein Pflaster und ein Wodka reichen… wenn ihr sowas habt.” Faun warf einen Blick in Richtung des Desman, der bereits unter dem Tresen herum wühlte. “Hjier!” rief er triumphierend während er einen Erste Hilfe Koffer in die Höhe hielt.

Einige Minuten später saß Frederic bei den anderen am Tisch. Ein großes Pflaster auf der Backe, die Tasche zwischen den Füßen und ein großes Glas Wodka in der Hand. Ein sehr großes Glas. Avis war sich sicher, dass diese Menge für ihn selbst eine Alkoholvergiftung bedeuten würde und irgendjemand am Ende des Abends den Drachen nach Hause fahren dürfte. “Was hast du gemacht?” “Kleines Missverständnis, nichts aufregendes.” Er versuchte dabei möglichst Sorglos zu klingen, was ihm jedoch misslang. Florian schien ihm nicht zu glauben. “Ist wirklich alles in Ordnung? Wir sind für dich da wenn du Hilfe brauchst.” Frederic tat es genervt ab, setzte das Glas an und zog es zur Hälfte Leer. Noch immer war es unangenehm Still am Tisch. “Es ist wirklich nichts!” zischte er aggressiv, schien es jedoch direkt zu bereuen, weshalb er einen Schuld vollen Gesichtsausdruck aufsetzte. Der Kater wich angesichts der aggressiven Reaktion etwas zurück und legte das Ohr an. “Also? Wo waren wir stehengeblieben ...?” fragte Alfred in die Runde, doch Loren erkannte die Brisanz der Situation und entschärfte sie sofort. “Ähmm… Alfred, wie läuft das Geschäft? Um die Jahreszeit wollen bestimmt nicht so viele auf dem Meer rum tuckern oder?” Als direkte Antwort folgte ein quietschendes Nießen des Pinguins. Tim und Tamara wirkten derweilen etwas deplaziert und beide hatten seit dem sie angekommen waren kaum etwas gesagt. Avis rutschte etwas in ihre Richtung. “Uns gehts gut, keine Sorge.” Unter den anderen war das Gespräch wieder in Fahrt gekommen und niemand fragte weiter, was Frederic passiert war.

Auch Frederic löste sich einige Minuten später von der Gruppe am Tisch und kam zu den anderen hinüber. Die Sporttasche hing über seiner Schulter, doch er ließ sie, nachdem er sich gesetzt hatte, zwischen seinen Beinen zu Boden gleiten. Es gab ein leises “Thump”, als der Inhalt der Tasche auf dem Boden aufkam. “Und wie läuft das Leben im Elfenbeinturm?” “Langsam”, “Stressig”, “Spannend…” Alle starrten Tamara an. “Was?” erwiderte sie schnippisch. “Ach nichts. Die Realität wird dich schon noch einholen.” murmelte Tim und griff nach seinem Cocktail. Avis wollte etwas einwerfen, um dem sehr negativen Ton entgegen zu wirken, doch Tim würgte ihn ab. “Dein Talent, kombiniert, mit dem Wunsch, auch den letzten Baum des Planeten in einen Aufschrieb zu verwandeln, ist eine unfaire und verdammt Umweltschädliche, Mischung.” “Er verbraucht immer noch stapelweise Blöcke?” Seit Feredric ihn kannte, hat Avis die Angewohnheit gehabt, unglaublich ausführliche, detaillierte Aufschriebe zu machen, wobei die Mischung aus Schriftgröße und Schreibgeschwindigkeit Sphären erreichte, die viele für physikalisch Unmöglich halten würden. “Ja, er entforstet noch immer systematisch den Planeten.” “Hätte ich Geld übrig, würde ich sofort für Wiederaufforstung spenden.” verteidigte sie Avis. “Hättest du!” Avis gab sich geschlagen und winkte Faun heran. Der Rabe tauchte wenige Sekunden später laut los an seiner Seite auf. Wie ein großer, schwarzer, gefiederter Schatten… im Jackett, der seine Bestellung aufnahm, bevor er wieder, ohne ein Geräusch zu machen, verschwand. Lauter Donner hallte durch die Straßen der Stadt.

“Wie geht es eigentlich Terrence und Marcus?” “Hab in letzter Zeit kaum etwas von den beiden gehört.” Die beiden erschienen inzwischen zwar wieder zu den meisten Vorlesungen und Kursen, saßen sie meist Abseits und signalisierten auch deutlich, dass das so bleiben sollte. Um Frederic, der nun Sichtlich beunruhigt wirkte, etwas die Sorge zu nehmen und diesen Teil des Gesprächs auf einer Positiven Note enden zu lassen, fügte Avis noch an, “Aber die stehen das zusammen durch.” Hoffte er jedenfalls. Vor den Fenstern der Bar hatte es zu regnen begonnen. Ströme dicker Tropfen klatschten auf den Asphalt und spritzten wieder in die Höhe. Wenige Momente später floss bereits ein breiter Strom die Straße hinunter. Auf der wilden Oberfläche tanzten braune Herbstblätter und bunter Müll. Ein Einkaufswagen trieb vorbei, verhakte sich an etwas unter Wasser und Bog in eine Seitenstraße ein. Plötzlich sprang Loren panisch auf und stieß einen unverständlichen Fluch aus, bevor er in die Wassermassen hinaus stürmte. Frederic warf einen fragenden Blick zu den anderen hinüber. “Er hat sein Auto an der Straße abgestellt.” kam die Antwort von Bea, die inzwischen ein Glas mit einer tiefschwarzen Flüssigkeit vor sich stehen hatte. “Oder wohl eher hatte…” Sie schauten der Heuschrecke nach, die sich langsam den Strom aufwärts kämpfte, wobei sein dünner Körper dem Wasser glücklicherweise nur wenig Angriffsfläche bot. Avis pries das Schicksal, dass er sein Auto nicht in der Tiefgarage abgestellt hatte, nur damit ihm wenige Momente später einfiel, dass sein Auto auf dem Dach des Parkhauses stand. Und er das Fenster nicht wieder zugeklebt hatte. Das gerade wieder in fahrt gekommene Gespräch erstarb erneut abrupt, als auch Avis aufsprang und aus dem Laden stürmte.

Klatschnass erreichte er, das inzwischen sehr viel leere Parkhaus. Der Regen floss als breiter Fluss die Rampen hinunter und verwandelte das Gebäude in eine vierstöckige Wildwasserbahn. Schritt für Schritt kämpfte Avis sich die Ebenen hinauf, bis er das Dach erreicht hatte. Über ihm hörter er platschende Schritte, jemand hetzte über das Parkdeck. Er war wohl nicht der einzige, der das Unglück hatte, dort oben geparkt zu haben. Ein Schwall eiskalten Wassers durchnässte ihn bis auf die Haut, als ein Auto an ihm vorbei fuhr und aufgrund des Aquaplanings quer über den Asphalt rutschte. Mit einem quietschenden Geräusch fanden die Reifen wieder Haftung und verhinderten, dass das Fahrzeug in die Schutzabsperrung vor der Wand des Parkhauses krachte. Avis erreichte sein treues Auto, das im strömenden Regen stand. Immerhin hatte die Plastiktüte das schlimmste verhindern können. Er schloss die Fahrertür auf und schlüpfte ins Innere. Einige Tropfen hatten ihren Weg auf die Sitze gefunden, deren Stoff sich mit dem Wasser vollgesogen hatte. Das feuchte Polster schmatzte unter ihm als Avis sich darauf fallen ließ.

Nachdem er seine Auto auf einer der unteren Ebenen in Sicherheit gebracht hatte, machte er sich auf den Weg, zurück zum Topwing, doch auf dem halben Weg kamen ihm Frederic, Tim und Tamara entgegen, die gegen die Wassermassen an kämpften. Wobei eigentlich nur der Tiger und die Papageiing zu kämpfen hatten. Für Frederic stellte es kaum ein Problem dar, sich mit seinem stabilen Körper dem Fluss entgegen zu stemmen, wobei ihn sein starker, muskulöser Schwanz unterstützte. Ein Blitz erhellte den Himmel, wenige Momente später dröhnte das Donnern durch die Straßen der Stadt. “Das ist die Apokalypse!” brüllte Frederic gegen das Rauschen des Regens. “Also Morgen keine Kurse? Dann wäre es ein Opfer, das ich bringen würde.” brüllte Tamara. Sie sollte Recht behalten. Die Stadt stand unter Wasser. Ein Delfin zog an ihnen vorbei. Geschickt manövrierte er durch die Fluten, immer wieder die Wasseroberfläche durchbrach und einige Meter nach vorne Sprang, bevor er wieder in das tobende Wasser eintauchte. Doch trotz aller Anstrengung schaffte er es jedoch kaum gegen den Strom anzukommen. Schlussendlich fiel er zurückfallen, lenkte in eine Seitenstraße ein und trieb davon.

Die vier waren erstarrt, wobei Tamara und Tim sich an Frederic klammerten, und hatten erstaunt das Schauspiel beobachtet. “Ehm… ich glaube nicht, dass mein Auto durch diese Flut kommt…?” Um seine Aussage zu unterstützen, ließ das Universum ein kleines, klappriges Auto vorbeitreiben. Ein Ohrenbetäubender Schlag ließ sie zusammen Zucken. Ein weiterer Blitz, der nur wenige Häuserblocks entfernt einschlug, erhellte die Umgebung für einige Sekunden. “Ich habe eine Idee! Folgt mir!” brüllte Frederic und schob sich vorwärts, Fluss aufwärts. Die anderen sammelten sich hinter ihm und nutzten die Strömung und Verwirbelung, die er erzeugte, um nicht davon gespült zu werden. Gemeinsam schob die kleine Gruppe sich durch die Stadt. In der Ferne waren Sirenen zu hören.

CHAPTER 7 - Sturm

Sie fielen Sprichwörtlich mit der Tür ins Haus. Gefolgt von einem Schwall Wasser, der den schmalen Flur für einige Sekunden in einen Wildwasserkanal verwandelte, bevor er über die Treppen im Keller verschwand. Ein lauter, quietschender Schrei erklang, gefolgt von einen Fauchen und hohen Quiken. Eine Rot getigerte Katze kam die Treppe hinauf gestürzt, gefolgt von einer, niedergeschlagen wirkenden Maus. Der Oktopus, der ihnen die Tür geöffnet hatte, lag in der Mitte des Flurs auf dem Boden und versuchte seine Gliedmaßen zu entwirren, während Tim und Frederic sich gemeinsam gegen die Tür stemmten, um sie trotz des wütenden Winds, der ihnen entgegen schlug, zu schließen. Der Sturm im Flur verebbte. Etwas schlug von außen gegen die Tür, irgendwo klirrte ein Fenster. Dann war außer dem toben des Sturms nichts zu hören. Der Oktopus hatte es inzwischen Geschafft seine Tentakel wieder zu ordnen und stand auf vier seiner acht Armen, schien jedoch noch etwas wackelig. “Sorry, dass wir so hereinplatzen…” setzte Frederic an, doch ein Arm des Tintenfischs winkte ab. “Für dich und deine Freunde haben wir immer Platz, vor allem bei so einem Wetter.” Die Katze und die Maus hatten den Flur durchquert und waren durch eine Tür auf der rechten Seite verschwunden, wobei sie eine nasse Spur auf dem Boden hinterlassen hatten. Der Oktopus hieß Norman. Norman Swarz. Er führte sie in eine kleine Küche im hinteren Teil des Hauses. Tamara nach interessiert die Details der Umgebung unter die Lupe. Es war zwar kein Chaos, im Gegenteil, war die Wohnung sogar sehr sauber, doch lagen ein Haufen interessanter Gegenstände herum. Sie schätzte, dass hier mindestens acht, vielleicht auch neun Personen wohnten. An einer schmalen Theke saß Kollins. Die Hyäne starrte sie mit trübem, abwesend wirkenden Blick an. Frederic schien es nicht aufzufallen, oder es störte ihn schlicht nicht, denn er setzte sich zu ihm und griff sich eine Flasche Cola, die auf dem Tisch stand. “Und? Wie kommst du zurecht?” Kollins stieß ein undeutliches, gurgelndes Knurren aus. Frederic klopfte ihm auf die Schulter, woraufhin die Hyäne vorne über kippte, mit dem Gesicht unsanft auf dem Tisch aufschlug und liegen blieb.

Das Haus hatte zwei Stockwerke und einen kleinen Keller. “Was ist das hier?” Im Obergeschoss gab es mehrere Schlafzimmer, an einigen Türen hingen sogar Namensschilder. “Einige nennen es Safehouse, andere Safehaven…” begann Norman eine epische Ansprache, doch Frederic unterbrach ihn. “...offene WG und Anlaufstelle für die Leute, die das Leben auf den Boden geschmettert hat, oder die es einfach richtig verkackt haben… Apropo, ist Kathlyn eigentlich noch da?” Avis beäugte Misstrauisch die Hyäne, die begonnen hatte leise zu schnarchen. Kollins Fell war in der Vergangenheit nicht sonderlich Ordentlich gewesen, doch nun klebte es Regelrecht. “Habe sie schon seit zwei Monaten nicht mehr Gesehen. Glaub sie ist gerade nicht in der Stadt.” “Ok.” Frederic wirkte etwas niedergeschlagen. “Wenn sie mal wieder auftauchen sollte, kannst du ihr ausrichten, dass sie sich melden soll?” “Klar. Kein Problem.” Kollins schlief tief und fest. Am Handgelenk der Hyäne war ein ganzer Büschel ausgerissen worden. Die darunter liegende Haut war vernarbt und wies eine längere Naht auf, doch bevor Avis einen genauer Blick darauf werfen konnte, packte Frederic den schlafenden Kollins und trug ihn aus dem Raum. Norman stapfte durch die Küche, zog mit dem einen Arm einen Wischmopp, mit einem anderen einen Eimer und mit noch einem eine Lumpen und verließ die Küche.

Nachdem Frederic die Hyäne in eines der Schlafzimmer getragen hatte, kehrte er in den kleinen Raum im Erdgeschoss zurück. Der Sturm rüttelte noch immer an den Rolläden vor den Fenstern und immer wieder schlugen kleinere Gegenstände von außen gegen die Plastik Lamellen. Mit einem lauten Knall schlug in der Nähe ein Blitz ein. Das Licht flackerte etwas und erlosch schlussendlich. Dunkelheit legte sich über den Bezirk der Stadt. In der kleinen Küche konnte man nicht mal die Hand, alternativ auch Flügel oder Tentakel vor Augen sehen. Es gab ein leises schleifendes Geräusch. Im oberen Stockwerk gab es einen Schlag und jemand stieß ein Fluchen aus. Etwas klapperte neben Avis und jemand schob sich an ihm vorbei. Harte, raue Schuppen strichen über seinen Arm. Eine Schranktür klapperte und einige Sekunden später flogen rot glühende Funken durch die Luft. Ein kleines Flämmchen leuchtete auf, das schnell größer wurde und flackernd Licht auf die Umgebung warf und auch Frederics breit grinsendes Gesicht erhellte. Er hielt die Kerze nur wenige Zentimeter vor seinem Gesicht und starrte einige Sekunde fasziniert auf die kleine tänzelnde Flamme, bevor er sie auf der Küchentheke abstellte. “Du kannst es endlich?” fragte Norman, der in der Tür aufgetaucht war. “Jap! Ich kann es!” antwortete der Drache freudig. Bald erhellten gut ein dutzend flackernde Kerzen den kleinen Raum. Norman schielte immer wieder Misstrauisch zum Feuermelder, der jedoch stumm blieb. Etwas später saßen nur noch Frederic und Avis in der Küche der WG. Sie schwiegen sich einige Minuten an, bevor der Blauhäher die Stille durchbrach. “Selbsthilfegruppe? Leute die am Boden angekommen sind?” Frederic zögerte etwas, die Sache war ihm sichtlich unangenehm. “Ich hab dir doch erzählt, dass ich eine Streit mit meinen Eltern hatte… und dieser…” er machte eine kurze Pause und suchte die passenden Worte “... etwas eskaliert ist.” “Du hast erzählt du hättest ihm den Kiefer gebrochen.” “...ehm Ja. Und das stimmt auch…” “Und du bist danach weg gerannt.” “Ja!” Es gab einen Knall, als er mit der Faust auf den Tisch schlug. Avis zuckte zusammen. “Sorry! Es ist… ich dachte ich habe mit all dem abgeschlossen, irgendwie, dich wieder zu treffen, hat das alles irgendwie wieder hoch geholt.” Frederics Stimme war jetzt kaum mehr als ein Flüstern. “Tut mir leid…” Von dem sorgenlosen, lockeren Drachen, der gern Witze machte, war nichts übrig geblieben. “Muss es nicht…” “... und morgen könnten wir zum Hafen gehen. Ich kenn da…” Die Maus betrat die Küche, gefolgt von der getigerten Katze, die schüchtern die Schultern angezogen hatte. Ihr Blick fiel auf Avis und den auf die Tischplatte starrenden Frederic und veranlasste sie dazu, auf der Stelle stehen zu bleiben, wodurch die Katze gegen sie stolperte. Die Maus nickte Avis zu und schob die verwirrt wirkende getigerte Katze wieder aus dem Raum.

Die Kerzen waren herunter gebrannt und auch das letzte Licht erlosch mit einem letzten, aufbäumenden Flackern. Der Sturm hatte sich gelegt. Frederic lag mit dem Kopf auf der Tischplatte und schnarchte vor sich hin. Tim und Tamara waren irgendwann aufgebrochen, zurück zur Hochschule. Wie sie den Weg zurück legen wollten, hatten sie nicht erwähnt. Es fuhren noch keine Busse oder Bahnen, zu viele Straßen und Schienen waren durch Umgestürzte Bäume oder ähnliches Blockiert. Avis schreckte hoch. Ein Schlüssel klapperte und jemand öffnete die Eingangstür. Schwere Schritte durchquerten den kurzen Flur und kamen auf die Küche zu.

“Geht es allen gut?” Im Zwielicht konnte man nur die Umrisse der große Gestalt sehen, die in im Rahmen der Tür stand. Zwei große Hörner erlaubten es ihm nur, die Küche quer zu betreten. Das Licht einer Taschenlampe tastete durch den Raum. Als der Kegel Avis traf, zuckte der Vogel zusammen und riss seinen Arm hoch, um seine Augen mit den Federn zu verdecken. “Ich glaube wir kennen uns noch nicht.” Die Person senkte das Licht. Als Avis nicht sofort reagierte, nahm der Yak eine verteidigende Körperhaltung ein. “Du musst mir nicht sagen, wer du bist, ich habe nur gerne einen Namen, mit dem ich dich ansprechen kann. Kannst dir auch gerne einen Ausdenken.” Verwirrt stotterte Avis seinen Namen hervor. “Ok… Avis. Ich bin Otis.” Der Yak näherte sich langsam, die Hände weiter schützend und deeskalierend vor sich. Seine Augen musterten den müden, verwirrten Blauhäher, der ihn mit zusammengekniffenen Augen anstarrte. Das Licht der Lampe glitt langsam über den Tisch, bis es Frederics großen, schwarzen, gehörnten Kopf traf. Otis stieß ein erstauntes Schnauben aus. "Faren ist wieder da?" Dabei nickte er in Richtung des schlafenden Frederic. “Faren?” Das Frederic wohl einen falschen Namen genannt hatte, kam Avis nicht in sein vernebeltes Vogelhirn. Stattdessen korrigierte er den Yak. Diesen schien es jedoch nicht weiter zu stören. Er griff die Schulter des schlafenden Drachen und schüttelte ihn leicht. Einige glühende Funken stoben auf. Frederic gab ein tiefes Grollen von sich, blieb aber liegen. Otis schüttelte ihn ein weiteres mal. Diesmal schien es zu Wirken. Frederics Kopf schnellte in die Höhe. Glas klirrte. Otis versuchte Frederic aus zu weichen, doch war er zu träge und wurde zur Seite gestoßen. Die Flügel des Drachen entfalteten sich auf fast drei Meter Spannweite, bevor sie von der Inneneinrichtung aufgehalten wurden. Otis rappelte sich vom Boden auf. Einige Funken irrten durch den Raum, fanden jedoch glücklicherweise keinen Nährboden und erloschen nach einigen Sekunden wieder. Der starke, Krokodilartige Kiefer schnappte nach unten, rastete mit einem Knacken ein und schloss sich wieder. Dann erfasste Frederics Blick Otis, der einige Schritte Abstand genommen hatte. “Oh. Du bist es…” Sein Kopf fiel wieder in Richtung des Tisches, doch Otis packte seine Schulter und zog ihn zurück, bevor er auf der Holzoberfläche aufschlagen konnte. Ein lautes, sägendes Schnarchen setzte ein. Otis ließ von dem Drachen ab und wandte sich wieder Avis zu. "Und du…" '"Studiere BWL" Der Yak hob erstaunt die buschigen Augenbrauen.

Sie hatten sich in den Flur zurück gezogen und Frederic auf dem Küchentisch liegen gelassen. Nach und nach klärten Avis und Otis ihre Missverständnisse. Der Yak war vom Jugendamt und betreute das “Safehouse”, das als Ballonprojekt vor drei Jahren von der Stadtverwaltung gestartet worden war. “Bleibst du heute Nacht hier? Eines der Zimmer ist bestimmt frei… Vermutlich die 3 oder die 6.” Er deutete mit einer leichten Nick Bewegung in Richtung der Treppe, die ins obere Stockwerk führte. Avis hatte darüber nachgedacht noch zurück zur FH zu Fahren, doch das Gefühl der Müdigkeit, das durch seine hohle Knochen kroch, brachte ihn zu dem Schluss, dass er es besser nicht riskieren sollte. Er warf noch einmal einen Blick Richtung Küche, aus der immer noch Frederics lautes Schnarchen drang.

Er starrte an die graue Decke über ihm. Die Versuche zu schlafen hatte er trotz seiner Müdigkeit aufgegeben. Es war wieder ruhig in dem kleinen Haus. Nachdem Otis sich versichert hatte, dass es wirklich allen gut ging hatte er das Safehouse wieder verlassen. Hin und wieder hörte man ein Rascheln aus einem der anderen Zimmer, das knacken eines alten Holzbalkens, oder ein Rauschen in den Wasserleitungen. Irgendwann muss er dann doch eingeschlafen sein, denn als er die Augen wieder öffnete, hörte er vor den Fenstern das zwitschern der ersten wilden Vögel. Ein Sonnenstrahl fand eine Lücke zwischen den Lamellen des Rollladens, die sich im Sturm verzogen hatten und wanderten langsam durch das Zimmer, bevor sie auf Avis Gesicht fielen. Langsam öffnete der Vogel ein Auge, schloss es jedoch sofort wieder geblendet. Er drehte sich auf dem Bett, dessen Rost laut unter ihm knarrte. Er versuchte sich wieder in die Decke zu kuscheln, doch merkte er ihm Hinterkopf, dass etwas nicht stimmte. Es dauerte einige Sekunden, bevor er seine Gedanken und Erinnerung sortiert hatte. Er war nicht in seinem Zimmer im Wohnheim. Jemand klopfte an die Tür. "Avis? Bist du wach?" Die Stimme gehörte Frederic. Avis murmelte etwas unverständliches. "Es tut mir leid wegen gestern Abend. Ich dachte wirklich ich hätte damit abgeschlossen… ich hätte dich damit nicht beunruhigen sollen. Es ist Vergangen und ich sollte es begraben lassen." Er machte eine Pause. Avis hatte noch immer nicht geantwortet, hörte dem Drachen aber aufmerksam zu. "Eigentlich möchte ich einfach Danke sagen. Danke dass du nicht nach bohrst, dass du mich akzeptierst… Wenn du willst und du mich hörst, ich geh Frühstück holen. Sollte so in 20 Minuten wieder da sein." Er wartete noch auf eine Antwort von Avis, doch dieser rührte sich nicht. Nach vielleicht einer Minute hörte der Blauhäher schwere sich entfernenden Schritte. Er lag noch einige Minuten liegen. Schlussendlich konnte er sich dazu bewegen auf zu stehen und die kurze Strecke zu dem Stuhl zurück zu legen, auf dem seine Klamotten lagen. Noch immer etwas klamm vom Vortag klebten sie an seinen verwuschelten Federn und verströmten eine unangenehme Kälte. Die Krallen an das Geländer geklammert kletterte er langsam die Treppe hinunter, die sich dank seiner Nassen Socken fast wie Glatteis anfühlte. Durch ein kleines Fenster über der Eingangstür, das den Sturm unbeschadte hatte, fiel Sonnenlicht in den Flur. Am Ende der Treppe kam ihm die Katze entgegen. Sie hatte die spitzen Ohren angelegt, die Schnurrhaare hingen schlaff herab. "Hi, ich glaube wir haben uns noch nicht vorgestellt, ich bin Avis…" Doch die Katze schob sich einfach an ihm vorbei und schlurfte die Stufen hinauf, wobei ihr Schwanz, hinter ihr, über den Boden schleifte. In der Küche traf er Norman, der mit mehreren Messern die Reste der Kerzen von dem Esstisch und der Küchenzeile kratzte. "Morgen!" grüßte der Oktopus fröhlich den zerzausten Vogel. Mit einem weiteren freien Arm griff er nach einer Kutterschaufel, legte eines der Messer beiseite und griff nach einem Handbesen, um die Wachsreste zusammen zu kehren. "Frederic holt Frühstück, falls es den Bäcker nicht weg geblasen hat. Könntest du schon mal den Tisch decken?" Er hielt kurz inne und machte seltsame Bewegungen mit einem Tentakel. Dabei murmelte er vor sich hin. "Wir zwei, Frederic, Selmers, Sophia hat sich eingeschlossen, trotzdem… also für fünf Personen." Er deutete mit einem Arm, der noch immer den Griff eines Scharf wirkenden Messers umklammerte, in Richtung eines Schranks über der Spüle.

Frederic kehrte nach 20 Minuten zurück, das üblichen breite Grinsen auf dem langen Maul. In der Kralle hielt er zwei große braune Papiertüten. "Die Bäckerei steht noch!" Zufrieden setzte er seine Einkauf auf dem Küchentisch ab. "Aber ansonsten sieht es da draußen aus wie auf einem Schlachtfeld." Einige Minuten später saßen sie an dem abgenutzten Holztisch und genossen das Frühstück. Selmers, der Kater, wirkte bedeutend entspannter als noch am Vortag, auch wenn er noch immer sehr Wortkarg war. Sophia hatte inzwischen ihr Zimmer verlassen und erstaunlicherweise eine blendende Laune, was sich unter anderem darin zeigte, dass sie nur zu gern Witze riss, zum Teil auch auf kosten ihres, gut 15 Zentimeter größeren, Freundes. Während dessen kraulte sie den Kater jedoch regelmäßig am Hals, was dieser mit einem wohligen Schnurren kommentierte. "Und? Wollt ihr noch immer zum Hafen?" fragte Norman, bevor er einen großen Bissen von seinem, mit Fisch belegten, Brötchen nahm. Der scharfe kräftige Schnabel des Tintenfischs sank fast ohne Wiederstand durch das Gebäck und trennte ein dreieckiges Stückchen heraus. "Ja, einfach mal vorbeischauen. Nach dem Sturm wird das meiste zwar geschlossen haben, aber vielleicht finden wir einen schönen Schnuckeligen Ort für uns zwei..." sie hielt kurz inne und schaute Selmers in die blauen Katzenaugen. "Natürlich mit ausreichend Abstand zum Kai. Unser Tiger hier ist etwas Wasserscheu." "Das haben wir Katzen nunmal so an uns." grummelte der Kater mit einem leicht beleidigten Ton. "Und deshalb halten wir nachher auch schön mindesten fünf Meter Sicherheitsabstand zum Meer, wir wollen ja nicht wieder sowas wie vorletzte Woche." Es musste sich um etwas peinliches zu handeln, denn der getigerte Kater versank einige Zentimeter im Polster des Sitzes und rutschte langsam unter den Tisch. Die Maus stieß ein kurzes, überraschtes Quieken aus, als Frederic ihr, leicht, mit dem Ellenbogen gegen die Rippen stieß. “Hör auf auf ihm rum zu hacken und sei froh, dass er dich begleiten möchte. Vor einem halben Jahr hättest du ihn nicht mal auf 500 Meter ans Meer ran bekommen, da ist das ein echter Fortschritt.” Avis beobachtete interessiert das Gespräch der anderen, während er sich über sein Frühstück in Form eines Croissants her machte. “Und? Was hast du vor?” Die Frage kam von Frederic und Avis bemerkte, nachdem einige Sekunden niemand geantwortet hatte, dass sie an ihn gerichtet war. “Schauen ob mein Auto noch da ist, dann zur Hochschule zurückfahren. Hoffentlich geht es allen gut…” Der Sturm musste einigen Schaden angerichtet haben, das Handynetz war seit gestern Abend zusammen gebrochen, sodass es ihm noch nicht möglich gewesen war, sich zu erkundigen, wie die Lage dort war. “Bestimmt ist alles in Ordnung. Die FH ist durch die Hügel und die Bäume gut geschützt.” “Hoffen wir mal…” murmelte Avis.

Auf den Straßen hatten die Aufräumarbeiten begonnen. Abgerissene Äste, zerbrochene Dachziegel, Trümmer und Müll. Mit Besen, Schaufeln, aber auch Sägen und Lastwägen versuchten die Bewohner und Behörden der Stadt dem Chaos Herr zu werden. Die Straße zum Parkhaus war erstaunlich sauber dafür, dass hier vor wenigen Stunden ein reißender, Dreck Strom entlang getrieben war. Sie war bereits geräumt worden und es rollten schon wieder die ersten Autos über den Asphalt. Im Erdgeschoss des Parkhauses sah es nicht so gut aus. Der Regen hatte einiges an Müll in das Parkdeck gespült, der jetzt die Durchfahrt blockierte. Sein Wagen war noch da und hatte das Unwetter sogar ziemlich gut überstanden. Der Beifahrersitz war etwas nass geworden und im Inneren roch es deshalb etwas modrig, doch alles im allen… Er ließ sich auf den Fahrersitz fallen und schob den Schlüssel ins Schloss. Nach dem dritten Versuch startete der Motor. Das Radio erwachte mit einem krächzen zum Leben und ein Lied der aktuellen Popcharts “Dancing with the Dragon” dröhnte viel zu laut aus der Anlage. Seine Ohren pfiffen noch einige Minuten nachdem er es geschafft hatte die Lautstärke herunter zu drehen.

Er stellte sein Auto am Straßenrand, vor dem Gelände der Hochschule, ab. Ein großer Baum war umgestürzt und lag halb in der Einfahrt zum Parkplatz. Auch sonst hatte die letzte Nacht Spuren hinterlassen. Bei vielen der großen Bäume waren Äste abgebrochen. Der Wind hatte Schilder umgerissen und Fenster zertrümmert. Doch anders als erwartet war das Gelände voller Studenten. Mit Handsägen, Schaufeln und Besen kämpften sie an der Seite des Hausmeisters, der mit einer großen Kettensäge hantierte, und einigen Arbeitern, die vermutlich die Stadt geschickt hatte, gegen das Chaos. Der Dachs zerlegte die größten Äste in kleinere Teile, die Studenten und Helfer weiter zerlegten und abtransportierten. Avis hielt Ausschau nach seinen Freunden. Als erstes fiel ihm Marcus und Terrence ins Auge. Er hatte die beiden seit dem Vorfall kaum gesehen, doch da waren der Fuchs und der Salamander, und sägten gemeinsam an einem dicken Ast, der ein Hinweisschild unter sich begraben hatte. Als Avis sich näherte sah Marcus auf und winkte ihn zu ihnen. “Du hast das beste verpasst!” rief der Rotfuchs schon von weitem. “Sind alle in Ordnung?” “Tim hat ein bisschen was abbekommen, aber scheint nichts wirklich übles zu sein, ich glaube ich habe ihn vorher schon wieder irgendwo rum springen sehen.” Er hielt kurz inne, die Säge ungefähr bei zwei Dritteln des Asts. Terrence versuchte, aufgrund des plötzlichen Stillstands etwas perplex, die Säge zurück zu drücken, kam dabei jedoch nicht gegen den Widerstand Fuchses an, wodurch sich der Teil des Sägeblattes, das auf seiner Seite heraus ragte, um gut 45° verbog. “Aber soweit ich das von ihm verstanden habe, solltest du nach eurem Zimmer sehen.” Er setzte das Sägen fort und zog das krumme Sägeblatt, dass Terrence noch immer schlaff hielt, zurück in das Holz, und bog damit das Metall wieder gerade. Der Ast gab ein lautes Knacken von sich. Avis setzte seinen Weg in Richtung des Wohnheims fort. Einige Fenster, des hohen schmalen Gebäudes, waren mit Holzplatten verdeckt worden, andere notdürftig mit Plastikfolien abgeklebt. Er drückte gegen die Eingangstür. Sie kratzte über den Boden, ließ sich aber mit etwas Mühe öffnen. Auch im Gebäude hatte der Sturm seine Spuren hinterlassen. Der Kunststoffboden war bedeckt mit Blättern und Dreck. Die Tür zu ihrem Zimmer stand einen Spalt offen. Auf dem Boden herrschte das selbe Chaos wie immer, was es schwierig machte, fest zu stellen, ob der Sturm auch hier getroffen hatte. Doch die flatternde Folie vor dem zerschlagenen Fenster war ein deutliches Indiz. In der Luft lag ein seltsamer Geruch. Die Stadt “BWL 1. bis 3. Semester” lag in Trümmern und die Papiermassen hatten sich über das gesamte Zimmer verteilt. Als er sich dem Fenster näherte, fiel sein Blick auf einige dunkle Flecken auf dem Boden. War das Blut? Sofort stellte sich ein ungutes Gefühl ein. Marcus hatte zwar gesagt, der Tiger hätte etwas abbekommen, aber das schien etwas viel Blut zu sein. Avis verließ das Zimmer wieder und zog die Tür hinter sich zu. Bevor er sich auf den Weg zum Verwaltungsgebäude machte, verriegelte er die Tür und rüttelte sicherheitshalber noch einmal daran.

Er hatte gerade die halbe Strecke zurückgelegt, als er jemanden seinen Namen rufen hörte. “Hey Avis!” Der Urheber stand einige Meter entfernt unter einem Baum. Tamara reichte einem Panther, der im Geäst einer gewaltigen, alten Platane hing, eine große Astschere. Es gab ein lautes Knacken. "Pass auf Kira!" rief die Papageiin und stürzte zur Seite. Über ihr machte die Pantherdame einen großen Satz, nur Sekundenbruchteile, bevor der Ast auf dem sie gestanden hatte brach und zu Boden stürzte, wobei er Avis nur um wenige Zentimeter verfehlte. "Tschuldigung!" kam es aus der Baumkrone über ihnen. "Und? Wie geht es den anderen? Habe noch nicht so viele gesehen." "Tim hat anscheinend was ab bekommen, ich wollte gerade nach ihm schauen." "Du gehst zur Schwester? Kannst du sie nach Emilia Feris fragen, meine Zimmerkollegin, ich habe sie noch nicht erreichen können." "Klar, mach ich." versicherte Avis ihr. Das Verwaltungsgebäude hatte wie auf wundersame Weise kaum sichtbare Schäden und sogar viele der großen Glasfronten hatten das Unwetter überstanden. Gerade als er den Flügel der breiten Eingangstür auf drücken wollte, wurde diese von Innen aufgerissen und ein Sichtlich verärgerter Elefant, der Avis um gut drei Köpfe überragte, rannte den Blauhäher fast über den Haufen, doch Avis konnte gerade Rechtzeitig zur Seite ausweichen. Ein "Oh. Hab dich nicht gesehen." folgte als Kommentar, doch um eine wirkliche Entschuldigung blieb er dem Vogel schuldig.

Auf dem Gang vor dem Zimmer der Krankenschwester drängten sich Studenten, Professoren und Angestellte der Hochschule. Doch der Tiger überragte die meisten Anwesenden und war schon aus der Distanz deutlich zu sehen. Tim hatte sich gegen die Wand gelehnt drückte sich ein Handtuch aufs Gesicht. Auf dem weißen Stoff breiteten sich langsam rot braune Flecken aus.

Avis bahnte sich einen Weg durch die Menge, die widerspenstig nach gab und eine kleine Schneise bildete. Der Kopf des Tiger hing herab und er starrte auf den Boden. "Hey, alles in Ordnung?" Was für eine dumme Frage, das blutige Handtuch war ein sehr deutlicher Hinweis, dass es nicht so war. Avis legte seine Hand auf die Schulter seines Freundes. Dieser fuhr erschrocken herum. Der Schock stand ihm im Gesicht, doch als er Avis erkannte, entspannten sich seine Gesichtszüge. "Hey, bei dir alles in Ordnung?" Als er sprach, wurde ein Abgebrochener Reißzahn sichtbar. "Was ist passiert?" "Meinungsverschiedenheit mit einem Balken. Er hatte die härteren Argumente. Aber geht es dir gut?" Mit einem gelben und einem rot unterlaufenen, geschwollenen Auge schaute er an seinem Freund und Mitbewohner hinunter. "Ja, alles in Ordnung. Das Safehouse ist überraschend… Safe." Tim verzog das lädierte Gesicht zu einem Grinsen, dabei war ihm jedoch deutlich an zu sehen, dass er Schmerzen hatte. “Ziemlich unfair von dir.” Mit großen Schritten stolzierte die Krankenschwester auf den Flur hinaus. Die langen Beine des Sekretärs knallten auf dem Kunststoffboden. Mit dem langen Hals überragte sie die meisten wartenden. Ihr Kopf zuckte nervös umher, während sie sich schnell einen Überblick verschaffte. “Könntet ihr ein wenig nacheinander sehen?! Die schweren Fälle nach vorne.” Ihre Stimme war scharf und kräftig. Im Gang herrschte ein gehöriges Durcheinander, doch fast augenblicklich verstummte das allgemeine Raunen. Erstaunlich organisiert bildeten die Studenten ein Rettungsgasse, was fast Reibungslos klappte. Viel reibungsloser, als Avis es je im Straßenverkehr erlebt hatte. An ihnen vorbei schleppte sich eine Reihe Studenten, die es ziemlich übel erwischt zu haben schien. Dann verschwand die Schwester wieder in ihrem Zimmer und nahm eine Gottesanbeterin mit, deren linker Fangarm in einer, aus einem Handtuch improvisierten Schlinge hing. "Kennt ihr eine Emilia Feris?" "Das bin ich, wer fragt?" Eine Nachtschwarze Rabendame, die einige Meter entfernt auf dem kalten Kunststoffboden saß, hob eine Kralle, als würde sie sich im Klassenzimmer melden. "Tamara. Sie macht sich Sorgen." "Sag ihr, ich lebe noch und 'appreciate' dass sie sich Sorgen macht. Falls ich wider erwarten doch noch sterben sollte, übertrage ich ihr das Sorgerecht für meinen Kaktus." “Der nächste Bitte! Und wer nicht verletzt ist, es gibt eine Menge zu tun. Greift euren Kommilitonen unter die Arme, Schwingen oder Flossen. Danke!”

Der Muskelkater war der schlimmste, den Avis je verspürt hatte. Vorlesungen waren ausgesetzt und die letzten drei Tage hatten die Studenten damit verbracht, dabei zu helfen, das Gelände der Hochschule auf zu räumen. Gefühlt hatte er sich auch einige Haarrisse in den fragilen, Vogelknochen zu gezogen, doch die Krankenschwester zerschlug diese Theorie, zum Leid Avis, der dies gerne als Ausrede, auch vor sich selbst, verwendet hätte, den Tag einfach liegen zu bleiben. So quälte er sich jedoch um 8 Uhr, durch den kalten Wind in Richtung der Kantine. Einen Weg, den er auch in seinem, dem Halbschlaf nahen Zustand, fand, da er ihn seit zwei Jahren fast Täglich zurückgelegte. “Ich hab einen Balken ins Gesicht bekommen und seh trotzdem noch besser aus als du… Irgendwas machst du falsch, oder ich verdammt richtig.” Mit diesem überaus netten Kommentar empfing ihn Tim, als Avis sich mit seinem Tablett neben den Tiger setzte. Einen Platz weiter saß Marcus und neben ihm, unter seinem Arm, Terrence. Avis grummelte ein Morgen und begann mit dem Maximum an Konzentration, das er aufbringen konnte, sein Müsli zu löffeln. Seine Hand zitterte und nur gut die hälfte, die die Schüssel verließ, erreichte seinen Schnabel. “Geht es dir wirklich gut?” “Einfach nur etwas fertig…” “Dabei hast du dich um die meiste Arbeit gedrückt. Wenn hier jemand das recht hätte, hier ein zu schlafen, dann Terrence, Tim und Ich.” Der Fuchs stieß den Salamander an, der etwas betrübt auf den Tisch schaute. Das Amphib schreckte hoch und schaute seinen Freund verwirrt an. Seine Gabel, auf der sich noch etwas Obstsalat befand, fiel klappernd auf das Tablett vor ihm. “Was? ‘tschuldigung, war etwas abgelenkt.” Er sank mit dem Kopf gegen Marcus Schulter. Als Avis ihn näher betrachtete, fielen ihm blasse, trockene Stelle auf, die sich auf der ledrigen Haut des Salamanders gebildet hatten. Alles in allem wirkte er blass, ungesund und müde, hatte jetzt jedoch, aus irgendeinem Grund, die Mundwinkel zu einem leichten Lächeln verzogen.

“Hey sieh einer an. Unser Traumpärchen hat seine Tiefphase überwunden. Glückwunsch.” Der Kommentar kam von einem Hirsch. Avis hatte ihn schon mal gesehen. Er war ein oder zwei Semester über ihnen. Sein Horn Geweih war auf Hochglanz poliert und spiegelte das Licht der Deckenlampen. Das Fell perfekt rasiert. Der ironische Tonfall des Paarhufers ließ wenig Zweifel daran, dass seine Bemerkung spöttisch gemeint war. “Sich das Licht aus zu pusten, wenn es in der Beziehung nicht mehr läuft, ist aber auch eine interessante Taktik.” Mit einem lauten Klappern fiel Marcus Stuhl zu Boden. Der Hirsch wich einige Schritt zurück und hob abwehrend die Hände. Es wirkte für einige Momente, als wollte Marcus sich auf ihn stürzen, bis er einen Widerstand an seinem rechten Arm spürte. Terrence hatte seinen Ärmel gepackt und hielt ihn fest. “Lass es einfach.” Er stieß ein tiefes Seufzen aus. “Er ist es nicht Wert, dass du wegen ihm Ärger bekommst.” “Komm, traust du dich nicht? Oder möchtest du es nicht hier vor deinem Liebling machen?” “Es reicht!” Terrence war aufgestanden und hatte sich zwischen Marcus und den Hirsch geschoben. Die beide überragte ihn beide Sichtbar, doch Terrence ließ sich davon nicht beeindrucken, eher im Gegenteil. Vorsichtig schob er Marcus zur Seite, der nach etwas anfänglichem Widerstand nach gab und ihn vorbei ließ. “Du bist doch einfach nur neidisch. Weil du so arrogant, hochnäsig und dumm bist, dass niemand ernsthaft etwas mit die zu tun haben will.” “Neidisch? Auf so eine Schwu…” weiter kam er nicht, da Terrence Faust, die seinen Unterkiefer traf, ihn unterbrach. Es gab ein knirschendes Geräusch und der Hirsch taumelte zurück. Die Hand auf die Stelle gepresst, an der der Salamander ihn gerade getroffen hatte. “Du nennst ihn nicht so!” Die anderen Studenten, die um sie herum gestanden oder gesessen hatten waren zurück gewichen, wodurch sie eine Art Arena um die drei gebildet hatte. “Hey Hey! Das war doch nur ein Spaß. Versteht ihr keine Witze.” Er versuchte ein Lächeln, ließ dieses jedoch angesichts Terrence Gesichtsausdruck nach wenigen Momenten wieder Falle. Der Salamander funkelte ihn mit einer Mischung aus Bestimmtheit und Verachtung an, zeigte dabei jedoch keine Spur von Hass oder Wut. So als wäre der Hirsch einfach nur etwas unglaublich widerliches. “Ich komme nochmal darauf zurück. So einfach kommst du damit nicht durch.” Dann wandte der Hirsch sich um, wobei sein langer Mantel aufwallte, was ihm etwas von einem Comic Bösewicht gab. “Warum hast du mich nicht gelassen? Jetzt bekommst du Probleme.” “Glaubst du, glaubst du er macht eine Szene daraus, dass eine ‘Schwuchtel’, die auch noch gut einen Kopf kleiner ist wie er, ihm eine verpasst hat? … Hey, ich müsste vor Logistik noch etwas erledigen. Kommst du mit, oder willst du noch fertig Frühstücken?” Tim und Avis hatten während des Gesamten Vorfalls erstarrt auf ihren Plätzen gesessen. Das Ganze war zu schnell geschehen und hatte jetzt retrospektiv etwas fast surreales an sich. Erst als die anderen Beiden außerhalb ihrer Hörweite waren, traute sich Avis einen Kommentar. “Wow. Ist das gerade tatsächlich passiert?” “Ja. Terrence hat dem tatsächlich eine reingehauen.” In den letzten Wochen hatte der Salamander eine erstaunliche Wandlung durchgemacht.

Während die beiden ihre Tabletts weg brachten, erklang der Klingelton von Avis Handy. Doch beide Hände am Plastiktablett war es ihm nicht möglich sofort ran zu gehen, auch wenn er sich im ersten Moment davon abhalten musste, es, vor Schreck, im hohen Bogen in Richtung Abgabe zu werfen. Als er endlich die Krallen frei hatte, war es jedoch zu spät. "1 verpasster Anruf von Frederic." Ein Blick auf seine Uhr verriet ihm, dass er bereits zehn Minuten zu spät war, für seine Vorlesung. Als er den Raum erreichte war Professorin Schöll schon inmitten ihres Vortrags zum Thema "Lagerhaltung und Lagerkosten". Ein Themenfeld, das ohnehin schon Staubtrocken war, durch den Unterrichtsstil der Waranin, jedoch gefühlt zum Vollständigen Stillstand kam. Zeitweise kam es Avis sogar so vor, als würde die Zeit rückwärts laufen und als würden bereits gelernte Dinge wieder aus seinem Gehirn gesaugt. Und das hieß, er dürfte die Themen später Nacharbeiten dürfen. Er spürte wie sein Kopf schwerer wurde und Richtung der schmalen Tischplatte sank. Das allgemeine Raunen setzte ein. Klappernde Stühle, Studenten, die ihre Sachen zusammen packten. Jemand stieß ihn an und weckte ihn aus seinem Schlummer. Tim grinste ihn an. Avis ließ sich von ihm, von seinem Platz ziehen. Mit einem Wisch seines Flügelarms beförderte er die Papiermassen in seine Tasche und warf sie über seine Schulter.

Es klingelte ein, zwei, drei mal. Nach dem achten gleichen Jingle, kam die Meldung: "Der von ihnen gewünschte Teilnehmer ist zur Zeit nicht erreichbar, versuchen sie es zu einem späteren Zeitpunkt erneut. Bei Problemen wenden sie sich bitte an…" Avis hatte aufgelegt. Schnell tippte er eine Nachricht an Frederic und machte sich dann auf zu seiner nächsten Vorlesung. "Fortgeschrittene Buchhaltung". Ein Thema, das ironischerweise zu einem der interessanteren, des Studiums gehörte. Was hauptsächlich an der verantwortlichen Professorin Lyian, einer Cobra, lag. Früher bei “Serpent Ltd.”, einem der größten Handelsunternehmen der Welt angestellt, lockerte sie den Vortrag oft mit interessanten Anekdoten und Geschichten “von denen sie mal gehört hatte” oder “die frei Erfunden waren, denn wäre etwas derartiges wirklich geschehen und sie würde davon erzählen, könnte das rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen”, auf. Neben Avis saß Marcus, der sich fleißig Notizen auf seinem Laptop machte, den er sich erst vor ein paar Wochen neu gekauft hatte. Aufgrund eines Formfehlers zu einem unverschämt günstigen Preis. Dazu hatte er, laut Eigenaussage, nur 15 Minuten mit dem Verkäufer diskutieren müssen, der ihn daraufhin zum Geschäftsführer schickte, welcher, nach weiteren 20 Minuten, entnervt aufgegeben hatte. Terrence hatte sich auf dem Platz neben Marcus niedergelassen und seine Mappe mit fein, säuberlich geordneten Notizen hervor geholt. Zwei Kugelschreiber, einer blau, einer rot, lagen neben seinem karierten Block. Den dritten, vom selben Typ wie die anderen beiden, nur mit blauer Tinte hielt er ruhig zwischen den Fingern seiner linken Hand. Avis kramte in den Tiefen einer Tasche und fand in einer Ecke noch einen Plastikkugelschreiber mit breitem Werbeaufdruck "Kaiman Autowerkstatt". Er kritzelte probeweiser einige krakelige Linien auf seinen Block, bevor er ihn zufrieden auf das Papier legte. Die heutige Vorlesung drehte sich um Inventar aufstellung und wäre bei jedem anderen Prof wahrscheinlich so langweilig, dass Avis früher oder später den Verstand verloren, oder sich aus einem der großen Fenster gestürzt hätte, das war jedenfalls seine eigenen Vermutung. Der Fakt, dass der Raum im Erdgeschoss lag und nach einigen Vorfällen im Vorjahr mit Sicherheitsglas ausgestattet worde war, überging er in seiner Überlegung. Die war auch der Grund, dass zur Zeit fast alle Vorlesungen in diesem Raum stattfanden, im anderen großen Vorlesungssaal der Fakultät waren die Fenster, die der Sturm zerstört hatte, noch nicht repariert worden und die leeren Fensterrahmen nur behelfsmäßig mit großen Plastikplanen verhangen worden. Diese waren weder ein guter Isolator, noch reichten sie aus, um die eiskalten Winde, die über den Kampus wehten, aus dem Raum zu halten. So durchzogen zwar Spinnennetz förmige Risse viele der Scheiben, doch hielten sie stand und dicht. Avis Handy klingelte. Das Jingle hallte durch den Raum. Der Fokus der im Saal anwesenden wanderte augenblicklich von der Cobra, die vorne ihren Vortrag hielt, zu Avis, der, in einer der hintersten Reihen nach seinem Handy suchte. Als er es endlich in den Tiefen seiner Tasche gefunden hatte, nach gefühlt Minuten der Suche, sprang er auf und stürmte aus dem Raum. Auf dem Gang war es merklich kühler als im, durch die anwesenden aufgeheizten Hörsaal. “Hallo?” Es war nur eine Nummer angezeigt worden. “Hi Avis?” Es war Carl und obwohl Avis den Fuchs natürlich nicht sehen konnte, hörte er deutlich am Klang seiner Stimme, dass etwas nicht in Ordnung war. “Weißt du wo Frederic ist?”

Avis hatte seit letzter Woche, seit dem Sturm nichts mehr von dem Drachen gehört, bisher war aber seine Vermutung gewesen, dass Frederic, genau wie er selbst, einfach nur zu beschäftigt gewesen war. Die ganze Stadt hatte mit den Nachwirkungen zu kämpfen. Doch scheinbar war Frederic am nächsten Tag nicht nach Hause zurückgekehrt und war auch nicht auf seinem Handy erreichbar. Doch der Drache hatte Avis doch erst heute Morgen versucht an zu rufen. “Echt? Und, geht es ihm gut.” Fiel Carl ihm in seinen halb ausgesprochenen Gedanken. “Keine Ahnung, habe zu langen gebrauch abzuheben…” “Scheiße!” “Alles in Ordnung?” kam Bruce, tiefe Brummstimme, irgendwo aus dem Hintergrund. “Nein!” brüllte Carl zurück, was Avis dazu veranlasste die Distanz zwischen Handy und Ohr um einige Zentimeter zu vergrößern. “Wenn du was hörst, kannst du dich bei mir Melden?” “Klar, mach ich.” versichert Avis. “Danke.” “Wird schon nichts schlimmes sein.” versuchte er Carl etwas zu beruhigen, doch auch in seiner eigenen Stimme lag inzwischen etwas Sorge. Als er an seinen Platz zurückkehrte, kamen fragende Blicke von Tim und Marcus, doch Avis signalisierte ihnen: später.

Der Kies knirschte laut unter ihren Schuhen. Alle vier hatten sich in dicke Jacken gehüllt, wie auch die meisten anderen Studenten. Nur vereinzelt sah man Bären, Rentiere und sogar einen Polarfuchs, die offensichtlich keine sonderlichen Probleme mit den Temperaturen hatte. Ganz im Gegenteil wirkten viele der, an kälteres Klima angepassten, entspannt und befreit. Sie kamen an einem Schneehasen und einer Feuerroten Garnele vorbei, die Arm in Arm auf eine Bank saßen. Avis fuhr ein Schauer den gefiederten Rücken hinunter, angesichts dem Fakt, dass sie Jeans und kurzärmlige T-Shirts trugen.

"Was war vorher eigentlich?" "Carl, Frederics Mitbewohner, hat mich angerufen. Seit Dienstag hat niemand was Frederic gehört?" "Ist das ungewöhnlich, er kommt mir doch wie der Typ vor, der mal für ein paar Tage verschwindet und danach einfach wieder auftaucht, als wäre nichts gewesen. Oder täusche ich mich?" Frederic hatte sich verändert, doch schon früher war er eine schwierige Person gewesen. Auch wenn er nach außen Offen wirkte, war es schwer zu ergründen, was unter der schuppigen, harten Haut vor sich ging. Ein Rehntier schlenderte an ihnen vorbei. Das Geweih behängt mit buntem Lametta, in der Hand eine Tasse, inklusive Orangenscheibe und Schirmchen, aus der leichter Dampf aufstieg. Ein süßliche Note zog zu ihnen herüber, unterlegt mit einer guten Portion Alkohol. “Ob Chemie wieder ihr selbst gepanschtes ausschenkt?” “Glaub nicht, dass die sich das trauen." Seitdem im Vorjahr mehrere Studenten mit Vergiftungserscheinungen ins Krankenhaus eingeliefert worden waren, hatte die Verwaltung ein scharfes Auge auf den Ausschank von Alkoholischen Getränken auf dem Campus. Die Verantwortlichen waren jedoch zur verwunderung vieler nicht verwiesen worden. "Glücklicherweise waren sie so inkompetent vorgegangen, dass es zu keiner bleibenden Schädigung kam." Der Dekan der Fakultät Chemie hatte sich jedoch Persönlich dafür eingesetzt, sie wenigstens durch den Kurs rasseln zu lassen. "Die schiere Ignoranz und weitreichende Unkenntnis, selbst grundlegender Prinzipien der Biochemie, die die Betroffenen an den Tag legten, ist der Beweis, dass sie, trotz zum Teil guter Noten in den Prüfungen, ein weiteres Semester benötigen, um diese Themen wirklich zu verinnerlichen." Doch in Marcus schwelgte noch die Hoffnung, dass sie irgendwann wieder damit anfangen würden, denn natürlich war dort wo Regeln gedehnt und Schlupflöcher gefunden werden mussten der Fuchs nicht weit gewesen, und die Sache wäre wahrscheinlich ohne seinen Beistand, für die Verantwortlichen, sehr viel übler ausgegangen. “Wäre echt Schade, das Zeug hat mal echt anders Geschmeckt als das was man sonst bekommt. Auch wenn du definitiv davon Abstand halten solltest.” Der letzte Satz war an Terrence gerichtet, der Schweigend neben Marcus herlief. “Denn wenn du nochmal sowas ablieferst, sperre ich dich in unserem Zimmer ein.” “Klar…” kam ein Murmeln von dem Salamander, was aber auch seine einzige Äußerung war, bis sie die Kantine erreicht hatten. “Also wegen Frederic, glaubst du es ist irgendwas?” "Ich weiß es nicht, aber irgendwie hab ich ein ungutes Gefühl. Früher war es schonmal vorgekommen, dass er für ein paar Tage verschwunden war, aber ich habe geglaubt, das wäre jetzt vorbei, dass er sein Leben in den Griff bekommen hätte." Doch immerhin war der Anruf wenigstens so eine Art Lebenszeichen von Frederic gewesen, auch wenn alle Versuche von Avis ihn zurück zu Rufen gescheitert waren.

Der Anruf kam, als Avis gerade auf dem Rückweg von den Toiletten war. Es dauerte einige Sekunde, bevor er das kleine Gerät unter den Papierbergen in seiner Tasche gefunden hatte. Eine Festnetznummer, der Vorwahl nach nicht aus der Stadt. “Hallo, hier ist Avis Jay?” “Guten Tag Herr Jay, ich bin Stephan Herington vom Polizeipräsidium Intuis.” Intuis war die nächste größere Stadt. Gut 40 Kilometer entfernt, brauchte man mit dem Auto, dank der gut ausgebauten Autobahnen nur eine gute halbe Stunde, von der Hochschule, auf Grund ihrer Lage, eher 45 Minuten. “Wir haben bereits versucht sie zu erreichen. Ein gewisser Frederic Blake befindet sich in Gewahrsam und hat sie als nächsten Kontakt angegeben.” “Geht es ihm gut?” Was hatte Frederic angestellt? “Körperlich ist alles in Ordnung. Alles weitere würde ich gerne mit ihnen vor Ort besprechen. Könnten sie so schnell wie möglich kommen?" Warum hatte Ferderic nicht Carl, sondern ihn angegeben? Er schrieb eine kurze Nachricht an Tim, kehrte dann auf der Stelle um und machte sich auf den Weg zum Parkplatz.

CHAPTER 8 - Kälte

An das Geräusch der flatternden Plastiktüte hatte er sich inzwischen gewöhnt. Die letzte war zwar während des Sturms davon gerissen worden, doch hatte Avis sie, nachdem er sein Auto aus dem Parkhaus geholt hatte, mit einer neuen ersetzt. Er wusste selbst nicht so genau, warum er nicht einfach in die nächste Werkstatt fuhr und eine neue Scheibe einsetzten ließ, doch immer wenn er es sich vorgenommen hatte, war irgend etwas dazwischen gekommen, oder er hatte es schlicht vergessen. Doch jetzt, wo die letzten Bäume ihr Laub verloren hatten und die Wetterfrösche (was für ein Klischee), den ersten Schnee erwarteten, war es eiskalt, im Inneren des Wagens. Avis hatte die Heizung bereits auf anschlag aufgedreht, doch schaffte diese es kaum gegen den anbrechenden Winter anzukämpfen. Als zweite Schutzschicht gegen die Kälte diente Avis Federkleid und eine dünne Jacke. Als eine Spezies, die Ursprünglich, im Winter nur Teilweise in den Süden zog, war er aber immer noch besser dran, wie Nachfahren von Zugvögeln, oder gar kaltblütigen Spezies, denen der Winter immer am meisten Probleme machte. Eine moderne Leistungsgesellschaft erlaubte ihren Bürgern nur selten eine mehrmonatige Winterruhe. Er hatte inzwischen die Stadtautobahn erreicht. 

Zusammen mit dem nahenden Wintereinbruch war auch die Menge an Fahrzeugen auf den Straßen gewachsen und wie jedes Jahr steuerte das Verkehrsnetz auf einen vollständigen Kollaps zu. Etwas neidisch schaute er zu den wilden Vögeln hinauf, die hoch oben ihre Kreise drehten, während seine Vorfahren die Flugfähigkeit für den modernen Komfort eingetauscht hatten. Ein lautes Hupen riss Avis aus seinen gedanken und er schloss zu seinem Vorderwolf auf, jedenfalls vermutete Avis, anhand der Silhouette, die er durch die beschlagene Heckscheibe erkennen konnte, dass es sich um einen handelte. Erst nach verlassen der Stadtgrenzen lockerte der Verkehr sich etwas auf und erlaubte es schneller voran zu kommen. Die Straße verbreiterte sich zu einer Sechsspurigen Asphalt Wüste, die durch das grüne Umland schnitt. Graue Wolken hatten sich vor die niedrig stehende Sonne geschoben und tauchten die Welt in ein, fast unwirkliches, kaltes Zwielicht. Es fühlte sich an, als wäre die Zeit stehen geblieben, als würde die Straße niemals Enden. Seine Gedanken waren bei Frederic und dem was auch immer der Drache angestellt haben konnte. Auch ein Blick aus dem Fenster offenbarte nur die Autos und neben der Autobahn dieselben, scheinbar endlosen Wiesen und Felder. Die gelben Schilder, die in Regelmäßigen abständen neben der Straße standen, oder an Metallkonstruktionen darüber hingen, versicherten ihm zwar, dass er voran kam, doch wirklich glauben wollte Avis es nicht. Erst die Silhouetten der ersten Häuser, die langsam am Horizont auftauchten, bestätigten ihm, dass er nicht in einer Zeitraumschleife fest steckte. "Wenn möglich bitte Wenden." In Gedanken versunken hatte er die Ausfahrt verpasst, worauf ihn die Navigationsapp seines Handys, mit freundlicher Stimme hinwies. Fuck! Die Reifen seines Autos quietschen etwas, als er vor der nächsten Ausfahrt scharf abbremste und auf den Entschleunigung Streifen zog.

Das Schild der Wache leuchtete in einem sanften Blau. Sie lag an einer breiten Einfallstraße, die quer durch das Wohngebiet zog. Avis stellte sein Auto am Straßenrand ab und kramte im Handschuhfach nach einer Parkscheibe. Hier durfte man nur drei Stunden lang Parken, doch so lange würde es nicht dauern Frederic abzuholen, hoffentlich. Die Tür quietschte etwas, als Avis sie aufdrückte. Ein Schwall warmer Luft, durchsetzt mit einer vielzahl an Gerüchen und Geräuschen, schlug ihm aus dem Innenraum entgegen. Er war scheinbar nicht der einzige, der etwas auf der Wache zu erledigen hatte. Ein Fasanenhahn stand mit aufgeplustertem Gefieder vor einem Tresen, hinter dem ein sehr entnervt wirkender Schäferhund sich auf einen kleinen Block Notizen machte. Er hatte die Ohren nach hinten geklappt, um sein empfindliches Gehör zu schützen und kritzelte auf einem Block herum. Auf einer Reihe Plastikstühle saßen ein Wolf und zwei Schafe, wobei der Wolf einen Arm in einer Schlinge hatte und die Schafe misstrauisch anstarrte. Es gab einen Knall und etwas rauschte an Avis vorbei. Er konnte zwar nur einen wirbel aus Federn und Krallen erkennen, doch war sich sicher, dass es der Fasan war, der entrüstet die Wache verlassen hatte, natürlich nicht ohne noch eine Reihe von Drohung gegen den Beamten auszusprechen. "Und was kann ich für dich tun?" Eine Reihe weiß lackierter Gitterstäbe trennte die beiden. Die blauen Augen des Drachen wirkten Müde, seine Flügel schlaff. Fredric sah krank aus. "sorry… ich wollte nicht dass Carl sich aufregt." Der Wolf schloss die Tür der Zelle auf, doch Frederic machte keine Anstalten, sich von der Pritsche zu erheben. "Ich glaube ich lasse euch beide alleine." Der Polizist verließ den kleinen Zellenbereich und schloss die schwere Tür hinter sich. Es gab ein gut hörbares Klicken, als er den Raum verschloss. Die beiden waren allein.

"Was ist passiert?" "Ich habe scheiße gebaut, aber nix wirklich ernstes…" "Ich meine in den letzten vier Jahren! Wo ist der Fredric der Arnold in die Schranken gewiesen hat, als er auf mir rumgehackt hat, der Frederic, der sich mit Schöller angelegt hat, weil er immer dir Nager fertig gemacht hat. Wo ist dieser Frederic!" "Ich hab ihm eine reingehauen und blutend auf dem Wohnzimmerteppich zurückgelassen!" Eine kleine Flamme begleitete den letzten Satz, den Frederic Avis entgegen schrie. Die dunkle Wolke stieg langsam an die Decke und fand ihren Weg an den Rauchmelder. Der Alarm begann zu klingeln. Frederic griff nach dem Störenfried und riss das Gerät aus seiner Halterung. Das Geräusch erstarb trotzdem nicht. Dann sank Frederic zurück auf die Bank. "lass mich einfach hier…" "Hör auf damit! Verdammt! Ich habe gedacht du hättest dich geändert und ja, das hast du! Aber was ist aus dir geworden? Jetzt einfach Jammern und hier auf einer Pritsche versauern? Was ist passiert?"Avis hatte jetzt auch die Stimme gehoben. Doch an Frederic kam er von der Lautstärke nicht ran. "Die verdammte Realität! Während du Eltern hast, die dir jeden scheiß in den gefiederten Arsch geschoben haben, musste ich für alles Kämpfen. Gegen meinen Vater, meine Mutter, ihren scheiß Anwalt und das verdammte Arschloch vom Amt!" Er machte eine kurze Pause und schluckte gut hörbar. "Und dann, wenn es so scheint, als würde alles halbwegs laufen, verkacke ich es."

Frederic wirkte wie ein kleines Häufchen Elend und das obwohl er fast einen Kopf größer war als der Blauhäher und da der Drache kaum Willenskraft und in der Folge Körperspannung aufwies, war Avis auf die Hilfe des Wolfs angewiesen, um ihn aus der Wache, auf die Rückbank seines Autos zu transportieren, natürlich erst, nachdem Avis die nötigen Papiere unterzeichnet und eine Kaution hinterlegt hatten, die er jetzt bereits schmerzhaft in seinem Monatsbudget spürte. Das mit der neuen Scheibe würde sich wohl noch weiter verzögern. Selbst zu zweit hatten sie einige Schwierigkeiten den Drachen in das kleine Auto zu buchsieren, denn Frederics Körper wies ein ähnliches Verhalten auf wie ein sehr großer, sehr schwerer Sandsack und tat auch wenig, um die beiden zu unterstützen. “Du wirkst wie ein korrekter Typ.” Bevor er in die Polizeistation zurück kehrte wandte sich der Wolf noch mal Avis zu. “Du solltest überlegen, ob deine Freunde die Richtigen für dich sind.” Bevor Avis etwas erwidern konnte, ließ der Wolf die Tür zu fallen. Frederic hing schlaff im Gurt und starrte auf den Boden des Fußraums, in dem einige vertrocknete Blätter lagen. Avis setzte sich auf den Fahrersitz, startete jedoch nicht den Motor. Stattdessen starrte er über den Rückspiegel Frederic an. Dieser starrte weiterhin nach Unten und vermied jeglichen Augenkontakt. Man konnte meinen, dass der Drache schlief, doch Avis wusste, dass er wach war. “Ich habe ihn nicht gefragt was du gemacht hast. Ob es nur ne Kleinigkeit war, oder was größeres. Ich möchte es vor dir hören!” Doch Frederic schwieg. Die Minuten verstrichen, aber Avis machte weiter keine Anstalten los zu fahren. Sie standen einige Minuten und Avis spürte, wie die kälte unter seine Federn kroch. Ohne den Motor funktionierte die Heizung in dem kleinen Auto nicht, doch Avis war noch nicht an dem Punkt, Frederic diesen Gefallen zu tun. Drachen konnten bedeutend mehr Wärme produzieren als andere Reptilien, doch waren sie echten Warmblütern, wie Säugetieren oder Vögeln, immer noch unterlegen, was hauptsächlich an ihrer Schuppenhaut lag, die ein sehr viel schlechterer Isolator war, als Fell oder Federn. "Könntest du die Heizung anmachen?" Kam es zögerlich von der Rückbank, doch Avis tat nicht dergleichen, sondern starrte weiter Frederic an. "bitte?" Avis startete den Motor. Aus den Lüftungsschlitzen strömte Luft in den Innenraum, doch wirklich warm war diese nicht. "Dieser Typ hat mich einfach so unglaublich angekotzt…" "Und dann hast du was gemacht?" bohrte Avis weiter nach, auch wenn er schon ahnen konnte, was Frederics Antwort sein würde. "Ich dachte es wäre nicht stark gewesen, doch ich habe mich wohl selbst unterschätzt…" "Was. Ist. Passiert?!" "Dieser Typ, ich glaube es war ein Fasan, hat sich aufgespielt, ist herum stolziert, als würde der ganze Laden ihm gehören." "Und du musstest ihn zurechtweisen?" "Ich habe ihm nur einen Hinweis gegeben. Ich wollte ihn nicht verletzen." "Aber du hast." "Es war ein Unfall." Hoffentlich… aber irgendwas in Avis sagte ihm, dass Frederic nicht ganz die Wahrheit sagte.

Während der Fahrt schwiegen beide weitgehend. So herrschte im Innenraum des kleinen Autos eine angespannte Stille, die als leichter Druck spürbar wurde. Avis starrte konzentriert auf die Straße vor ihnen und zwang sich nicht regelmäßig Blicke in den Rückspiegel zu werfen. Doch die paar mal dass er es tat und dabei Frederics blaue Augen zurück starrten, wandte er sich schnell wieder ab. Erst als die Hinweisschilder nur noch 5 Kilometer bis zur Stadt zeigten, überlegte er sich zu fragen, wo er Frederic abliefern sollte, doch entschied dann selbst, in zu Carl und Bruce zu bringen. Die beiden mussten sich immer noch sorgen machen. Er hatte sie nicht informiert, hatte es einfach vergessen, oder vielleicht war es doch absicht gewesen? Hatte er Frederic schützen wollen? Aber wovor? Sie passierten die Stadtgrenze und Avis bog auf Stadtautobahn ein. Zwanzig Minuten später parkte er vor dem Wohnblock und stellte den Motor ab. Der Löcher im gelbgrauen Putz waren seit Avis letztem Besuch weiter gewachsen. Sowohl in Anzahl, als auch in Größe. "Kommst du, oder muss ich Bruce holen?" Die Drohung wirkte und nach einigen Sekunden kroch Frederic aus dem Auto und folgte Avis zur Haustür. Nur Sekunden, nachdem er den Klingelknopf gedrückt hatte, waren im Treppenhaus laute Schritte zu hören. Viele Schritte. Dann wurde die Tür aufgerissen und eine mit schneeweißem Fell überzogene Hand schnellte ihnen entgegen. Avis wich schnell zurück, doch sollte der Schlag sowieso nicht ihm gelten. Sekundenbruchteile später fand die Pfote ihr Ziel, begleitet von einem lauten Klatschen. Der Urheber musste einiges an Körperkraft haben, denn Frederic taumelte einige Schritte zurück. "Du verdammter Idiot! Zwei Monate! Nur zwei Monate und du baust wieder Scheiße!" Die Besitzerin der Hand war eine Drachin, doch im gegensatz zu Frederic war ihr Körper langgestreckt, fast schlangenartig und mit weißem Fell bedeckt.

Dann streckte sie Avis die Hand hin, der instinktiv etwas zurück wich. Doch die Drachin lächelte ihn nur an. "Hi, ich bin Kathlyn. Vielen dank, dass du meinen Freund wieder aufgetrieben hast." “Exfreund!” zischte Frederic, zwischen gefletschten Zähnen hindurch. "Du hast erstmal garnichts zu melden.” “Willst du reinkommen, ist doch etwas kalt hier draußen.” "Gerne." Kathlyn machte Platz und ließ Avis vorbei in den Hausflur. Als Frederic ihm folgen wollte hielt sie ihn jedoch zurück. "Du nicht. Zuerst klären wir die Sache und dann überlege ich mir, ob du rein darfst, oder nicht." Erst jetzt bemerkte Avis, Carl und Bruce, die auf den unteren Stufen der ersten Treppe standen. Die Gesichter beider zeigten eine seltsame Mischung aus Erleichterung, Sorge, Erstaunen und einer Spur Mitleid. Kathlyn schob Frederic, der einen Versuch gestartet hatte, das Haus zu betreten, zurück durch den Türrahmen, folgte ihm hinaus und zog die Haustüre zu. "Sollen wir hochgehen? Die kommen nach, wenn sie es geklärt haben." "Gerne" antwortete Avis auf Carls Frage und die drei stiegen zusammen die Treppen zur Wohnung hinauf. Kathlyn’s Stimme wurde zwar durch die Tür gedämpft, wodurch es schwer war, einzelne Worte zu verstehen, der grundlegende Ton der, sehr einseitigen, Konversation kam jedoch gut rüber. Erst die fest geschlossene Wohnungstür, dämpfte Kathlyns Stimme auf ein Hintergrundrauschen herunter. “Wo hast du ihn aufgetrieben?” “Das erzählt er euch am besten selbst.” “Falls er sich in absehbarer Zeit noch traut das Maul zu öffnen.” Carl warf einen Blick an Avis vorbei in Richtung der Tür. “Möchte jemand was zu trinken?” Bruce, dessen Schultern fast die gesamte Breite des kurzen Flures ausfüllten, war zurückgewichen, um für die anderen beiden Platz zu machen und stand jetzt fast auf höhe der Tür, die in die winzige Küche der Wohnung führte. Der Nashornkäfer musste sich ducken und den Kopf nach vorne neigen, um nicht mit dem Horn am Türrahmen hängen zu bleiben.

Zwanzig Minuten später betraten auch Kathlyn und Frederic die Wohnung, die Asiatische Drachin stolzierte mit erhobenem Haupt voraus, während der schwarze Drache den Hals eingezogen und die Flügel an seinen Rücken gepresst hatte. Den restlichen Abend sagte er kaum ein Wort, meisten waren es nur emotional konnotierte undeutliche Brumm oder Grummel Laute. Ihm war die Anwesenheit der Drachin sichtlich unangenehm. Und es war nicht schwer zu erraten warum. Jedes mal, wenn sie Frederic anschaute, hatte ihr Blick etwas verurteilendes, zutiefst enttäuschtes. Doch im Gespräch war sie eine nette und bestimmte Dame, die auch oft Lachte und Witze machte, es hatte etwas fast Schizophrenes, oder als hätte sie eine Gespaltene Persönlichkeit. “Und woher kennst du Frederic?” “Wir waren in derselben Klasse und er hat mein Auge ruiniert.” “Du bist Avis, nicht?” “Ehm… Ja…” antwortet Avis zögerlich. Er hatte anscheinend vergessen sich vorzustellen. “Hast du ein Glück mit deinen Freunden.” warf sie in Frederics Richtung, wobei sie erneut einen Vorwurfsvollen Ton aufgesetzt hatte. “Er hat immer wieder von dir erzählt… wenigstens früher. Toll dass ihr euch wieder getroffen habt. Vielleicht hast du ja einen guten Einfluss auf ihn… Und du versaust ihn im Gegenzug nicht!” Das letzte ging wieder an den Drachen, doch es war offensichtlich, dass sie keine Antwort, oder Bestätigung von ihm erwartete. “Hey, brauchst jetzt nicht eingeschnappt sein, das alles hast du dir selbst eingebrockt, wie immer.” 

Es war schon spät, als Avis die Wohnung verließ. Die Sonne war bereits hinter der Stadt versunken. Graue Wolken hingen tief, gefühlt zum greifen nah über der Wohnsiedlung. Avis hatte sich auf den Fahrersitz fallen gelassen und wartete, dass Kathlyn ebenfalls einstieg. “Wo darf ich dich hinbringen?” “Draconis Path.” Eine verdammt teure Adresse. Im Hillview District. Nicht weit von der Blake Mansion, die am Ende der Straße auf einem Hügel thronte.

Es war kein Haus, es war eine Villa, vor der Avis Kathlyn absetzte. Drei, tiefschwarze Quader, übereinander gestapelt, mit großen Glasfroten auf der Straßen zugewandten Seite. Das Gebäude ragte sechs Stockwerke in die Höhe. "Danke fürs Fahren. Ich revanchieren mich irgendwann." Ihr Schwanz hinterließ eine schmale Spur im Schneeweißen Kies des Wegs, der Parallel zur breiten Einfahrt zum Haus verlief. Die feinen Steine knirschten leicht unter ihren Turnschuhen. "Möchtest du noch kurz mit reinkommen?" Warum eigentlich nicht? Avis stellte den Motor ab und zog die Handbremse an. Die Drachin wartete an der Haustür auf ihn. Nach einem Wisch über ein Bedienfeld, das fast in der Wand verschwand, schob sich die Platte aus Schwarz lackiertem Metall in den Rahmen. Die Diele des Hauses war größer als Tim und Avis Zimmer im Wohnheim. Durch eine Milchglasscheibe strahlte Licht, aus dem Rest des Hauses in den Raum. “Du kannst ruhig die Schuhe anlassen.” Kathlyn selbst hatte ihre weißen Turnschuhe und auch die Socken ausgezogen und war jetzt Barfuß.

Die Krallen ihrer Zehen klackten auf den schwarzen Fließen, doch schienen diese aus einem Material zu bestehen, dem sie nichts anhaben konnte. Der nächste Raum hatte eine Deckenhöhe von geschätzten sechs Metern. In der Mitte des großen Wohnzimmers führte eine Wendeltreppe, aus glänzendem Edelstahl, in die Höhe, und verschwand in der Decke. "Hi Dad!" Kathlyn’s Vater saß in einem Sessel mit ungewöhnlich hoher Lehne, das Ende des Körpers auf dem breiten Polster zusammen gewickelt wie eine Hauskatze, in den Krallen ein dickes Buch. Auf seiner langen Schnauze saß eine kleine Lesebrille mit dünnem, silbern glänzenden Rändern. Der Blick seiner gold gelbe Augen traf Avis und schien ihn regelrecht zu durchbohren. Irgendetwas, tief im Unterbewusstsein des Blauhäher, löste das starke verlangen aus, die Sichtlinie zwischen ihnen beiden möglichst schnell zu unterbrechen und sich irgendwo Deckung zu suchen. Vielleicht hinter dem Esstisch, oder dem Sofa? Instinktiv tastete er den Raum und die Fluchtwege ab. "Ha… hallo." Warum war er so nervös? "Er studiert an der Hochschule… was war es noch gleich?" "Betriebs Wirtschafts Lehre." Die Züge des Drachen entspannten sich etwas und auch sein Blick wurde etwas weniger durchdringend, auch wenn er Avis weiter fokussierte. “Wie nett.” Die weibliche Stimme kam von oben. Eine Schwänin, kam die Trepper herunter, den Körper gehüllt in ein schneeweißes Kleid, das fast mit ihrem Gefieder verschmolz. “Hi Mom.” “Hallo Schatz. Nett dass du mal einen Freund mitgebracht hast. Bleibt er zum essen?” "Klar" kam es sofort von Kathlyn, noch bevor Avis sich in irgendeiner Weise zu dem Thema artikulieren konnte. "Muss ich irgendetwas speziell beachten?" "Etwas Schnabel gerechtes wäre nett. Ansonsten eine Gabel und ein scharfes Messer beilegen." “Natürlich. Da lässt sich was machen. Bist du auch zum Essen da Schatz?” “Wahrscheinlich” brummte Kathlyn’s Vater.

Kathlyn’s Zimmer lag im obersten Quader. Durch große Panoramafenster hatte man einen spektakulären Blick auf die umgebenden, großzügigen Grundstücke, deren Gärten meist eher kleine Parkanlagen waren. 14 Meter unter unter ihnen schimmerte die Oberfläche eines Pools, im roten Licht der untergehenden Sonne, aus einer Perfekt gepflegten Rasenfläche. Auch ihr Zimmer hatte mehr als die doppelte Grundfläche wie die Zimmer im Wohnheim und verfügte darüber hinaus noch über eine zweite Ebene, die über eine kurze Leiter erreicht werden konnte. Es war unordentlich, doch bei weitem nicht so Chaotisch wie Avis es gewohnt war. Man konnte sogar die meisten Bereich des Bodens begehen, ohne dabei auf herumliegende Kleidungsstücke, Magazine, oder Bücher zu treten. In einer Ecke, direkt am Fenster standen zwei bequem wirkende Sessel, die mit weißem Fell bezogen schienen. Kathlyn tänzelte gekonnt durch die Unordnung, ließ sich in einen Fallen und bot Avis den anderen an. Das weiße Polster war weich und Avis spürte ein leichtes, statisches Knistern, als er sich darauf niederließ und einige Zentimeter in den langen Kunststoff Haaren versank. "Also. Warum machst du das?" Avis schaute sie fragend an. Er verstand nicht worauf sie hinaus wollte. “Warum schmeißt du die Hochschule, um Frederic zu helfen?? Warum?” “Er ist mein Freund… Warum sollte ich ihm nicht helfen? Außerdem habe ich nur ein Tutorium ‘verpasst’.” Das letzte Wort betonte er besonders. Zu den meisten Tutorien ging er eh nur selten bis nie. “Ihr kennt euch doch jetzt seit…” Sie überlegte kurz und überschlug die Zahlen im Kopf. “Ungefähr 14 Jahre. Auch wenn wir uns in den ersten 1 ½ nicht wirklich leiden konnten.” Beendete Avis ihren Satz. “Und du springst noch immer wenn Er in der Patsche sitzt?!” Sie schien es nicht verstehen zu können. “Die Narbe habe ich von ihm.” “Und du hilfst ihm immer noch, wenn er mal wieder Mist gebaut hat?” Ihr Unglaube schien sie weiter verstärkt zu haben. “Sie haben mich damals, in der Pause, auf den Boden geworfen und immer wenn ich aufstehen wollte haben sie zugetreten. Immer wieder. Frederic war auch dabei. Irgendwann bin ich einfach liegen geblieben, habe die Augen geschlossen und mich nicht mehr bewegt. Irgendetwas hat mich im Gesicht getroffen, mich halb ausgeknockt.” Jetzt darüber zu reden fiel ihm erstaunlich leicht. “Irgendwann haben sie aufgehört und sind gegangen, aber ich bin einfach liegen geblieben.” “Du nennst jemanden deinen Freund, der dich verprügelt und liegen gelassen hat?” Doch Avis fuhr fort. “Doch dann hörte ich Schritte. Jemand reichte mir die Hand. Ich konnte kaum etwas sehen. Er hat mich zur Krankenschwester gebracht. Und seit dem Tag hat er mich für die nächsten sechs Jahre kaum noch allein gelassen. Es war zum Teil sogar richtig nervig.” “Und jetzt hat er Hilfe gebraucht.” Kathlyn hatte sich vorgebeugt, schaute Avis in die Augen und Lachte. "Es ist unglaublich wie Naiv du bist!" “Und du kennst ihn besser?” “Ich glaube, du machst dir etwas vor.” Ein leises Klingeln ertönte aus Kathlyn’s Hosentasche. Sie zog ihr Handy heraus. “Essen ist fertig!” “Deine Eltern schreiben dir?” “Früher hat mein Vater durchs ganze Haus gebrüllt, aber irgendwann haben sich die Nachbarn und auch meine Mutter beschwert...”

Es war schon spät, als Avis ins Wohnheim zurück kehrte. Das Abendessen war eine überraschend unangenehme Situation gewesen. Nicht, dass Kathlyn’s Eltern unfreundlich gewesen waren, ihre Mutter hatte extra ein Essen gekocht, dass für ihn leicht konsumierbar war, doch hatten die Blicke ihres Vaters die meiste Zeit auf ihm geruht, und obwohl der allgemeine Ton der Konversation eher locker war, war Avis sich vorgekommen, wie bei einem Verhör. Es war subtil, doch über die Zeit des Abends fragte der Drache ihn nach der Hochschule, seiner Vorgeschichte, seiner Familie, seinem allgemeinen Umfeld, Freunde und gefühlt den gesamten Rest seiner Existenz und seines Soziallebens. Hoffentlich hatte er einen guten Eindruck hinterlassen. Avis konnte nicht genau sagen warum, aber obwohl er Kathlyn erst wenige Stunden kannte, mochte er sie und im Gespräch über Frederic hatte er Dinge angesprochen, die sonst nur sein engster Freundeskreis wusste. Er stoppte. Das Automatische System seines Vogelhirns hatte ihn zu seiner Zimmertür gelotst. Er schloss die Tür auf und ohne das Licht ein zu schalten, schlurfte er zu seinem Bett und ließ sich auf die Matratze fallen.

CHAPTER 9 - Kapitel 9

Undeutliche Stimmen. Licht fiel in das Zimmer. Avis zog langsam seine schweren Augenlider hoch. Der Wecker hatte noch nicht geklingelt, doch etwas stimmte nicht. Die Atmosphäre im Raum war anders als sonst. Schritte entfernten sich, eine undeutliche Gestalt durchquerte den Raum, wobei gelegentliches Knacken erklang, wenn sie auf fast leere Chipstüten, CD-Hüllen, Kugelschreiber oder sonstigen Kram trat, der auf dem Boden verstreut lag. Vor der Tür verharrte sie kurz, schaute sich nochmal um und verließ dann das Zimmer. Avis, noch immer mehr schlafend, als wach, warf einen kurzen Blick auf die Uhr seines Smartphones, bevor er sich vom Licht, das durch den etwas geöffneten Rollladen fiel, abwandet und die Augen wieder schloss. Als ein Ausschnitt aus einem Lied der Rodeo Gorillas ihn Weckte, war die kurze Unterbrechung kaum mehr als ein schwaches Bild, von dem er nicht wusste, ob es wirklich geschehen war, oder doch nur der letzte Fetzten eines Traums, der hängen geblieben war. Er beendete mit einem Wischen den Wecker, der begonnen hatte sich in seinen Verstand zu bohren. Doch der Loop würde noch einige Minuten in seinem Kopf herum schwirren, während er seine Sachen zusammen kramte und sich auf den Weg zum Bad machte. Während das Wasser über seine Federn rann, pfiff er leise weiter den Refrain von “Such Rebells”. Unter dem Strom des lauwarmen Wassers, das immer wieder von kurzen Schwallen, Kälte unterbrochen wurde, wachte er langsam auf. Er drückte die letzten Tropfen Federpflege aus der Flasche, bevor er sie im hohen Bogen in Richtung des Mülleimers warf. Das Geräusch, als sie in der Tüte verschwand hatte etwas seltsam befriedigendes an sich… Die Tür klapperte. Jemand betrat den Raum, nein, es waren mindestens zwei. Dem Kratzen nach, war ein Reptil dabei, dessen Schuppiger Schwanz über die Fließen kratzte. Avis stellte das Wasser ab und lauschte kurz. Ein Vorhang knisterte, Wasserhähne quietschten und eine Dusche begann zu laufen. Er schüttelte das restliche Wasser ab, wickelte sich sein Handtuch um und machte sich auf den Weg zurück zu seinem Zimmer. Auf halbem Weg wurde er von Tim eingeholt, wo auch immer der Tiger her kam. Er war bereits voll angezogen und grinste breit. “Guten Morgen. Auch schon wach?” Avis grummelte nur etwas unverständliches, während er nach dem Zimmerschlüssel kramte. Er fand ihn nicht. Tim drängte sich an ihm vorbei und schob eine seiner Krallen in den breiten Spalt zwischen Rahmen und Tür. Es gab ein leises Klacken und die Tür öffnete sich einige Zentimeter. Tim riss sie vollends auf, wobei der dadurch entstehende Luftzug eine vielzahl leichter Objekte, wie Zettel, Heftchen, aber auch eine beachtliche Menge Staub, die sich auf und im Teppich gesammelt hatte, aufwirbelte. Der Luftzug durchquerte binnen Sekunden den Raum und schlug, durch das Chaos wenigstens etwas gebremst gegen die Mauern der Stadt auf Avis Schreibtisch. Mit einem lauten Rauschen stürzten die hohen Türme ein weiteres mal ein. Avis schob einen Teil der Blätter, von denen er glaubte, sie müssten ungefähr aus dem richtigen Themenbereich sein in seine Tasche und machte sich dann, zusammen mit Tim auf den Weg zur Mensa. Es schien, als wäre zwischen Marcus und Terrence wieder so etwas wie Normalität eingekehrt. Die beiden saßen wieder, auf ihren üblichen Plätzen, neben Avis. Dieser kramte gerade in seiner Tasche, als ihm eine rot weiße Feder zwischen die Krallen rutschte. Wie kam sie zwischen seine Notizen? “Hey Avis? Hast du einen Stift?” Eine Krallenhand griff über seine Schulter, ihre roten Flugfedern strichen über seine Schulter. Avis kramte einen Kugelschreiber hervor, der noch keine deutlich sichtbaren Abdrücke seiner Schnabelkante aufweist und reichte ihn nach hinten. “Danke! Bekommst ihn später zurück.” 

Tamara setzte sich einen Tisch weiter zu einer Rabin und der Pantherin Kira. Mit dem Kugelschreiber kritzelte sie etwas auf einen kleinen Block, riss die Seite heraus schob sie über den Tisch einer Königspython zu, die sich dort niedergelassen hatte. Diese warf einen kurzen Blick darauf und stopfte ihn dann in eine Tasche ihrer (sehr langen) Jacke. 

Es war Freitag. Die letzte Vorlesung der Woche lag hinter ihm. Avis hätte die schwarze Gestalt neben der Ausfahrt fast übersehen und überlegte für einige Momente, ob er so tun sollte als ob. Auch als diese begann mit den Armen und Flügeln zu wedeln. Doch als sich ihre Blicke trafen, wusste er, dass er es nicht so einfach tun konnte. Auch wenn er immer noch sauer auf ihn war, setzte Avis den Blinker und hielt einige Meter hinter Frederic an. Dieser kam langsam näher, lief um das Auto herum und versuchte die Beifahrertür zu öffnen. Die Klinke der Tür klapperte, doch Avis hatte sie noch verriegelt. Erst nach Frederics dritten Versuch beugte er sich hinüber und zog an der inneren Klinke. “Was für ein Zufall dass ich dich hier treffe…” Ja, was für ein Zufall… "Wo möchtest du hin?" "Ist mir egal. Einfach in Richtung Stadtzentrum." Frederic zwängte sich auf den Beifahrersitz, den Kopf dabei eingezogen, um den, ohnehin schon lädierten, Dachhimmel nicht vollständig zu zerfetzten. Avis setzte an, etwas zu fragen, ließ es dann jedoch. Doch Frederic bemerkte die Spannung, die in der Luft lag. “Hast du meine Nachrichten bekommen?” Frederic hatte ihm im laufe der Woche mehrfach geschrieben, doch Avis hatte sich bis jetzt zurückgehalten zu Antworten und auch jetzt ignorierte er die Frage. “Du schuldest mir noch 300 für die Kaution.” Eine weitere Ausgabe, die ihm in seinem Monatsbudget fehlte. “Ich bin grad etwas knapp bei Kasse, aber ich schaue, dass ich dir das Geld bald zurück Zahle. Geb mir zwei, vielleicht drei Wochen.” Avis knirschte mit dem Schnabel, was Frederic als eine Art Zustimmung interpretierte. "Also? Was hast du so vor." versuchte Frederic, etwas unbeholfen, das Gespräch in angenehmere Richtungen zu lenken. “Einkaufen.”

Donnergrollen Rolle über die Stadt. Der Wind, der vom Meer aus durch die Stadt wehte, hatte eine Decke aus dunkelgrauen Wolken mit sich gebracht, die sich langsam über die Landzunge schoben. Bald prasselten die ersten Tropfen auf das Blechdach und die Frontscheibe des kleinen Autos. Frederic öffnete das Fenster einen Spalt und der Geruch von Regen und nassem Asphalt strömte in den Innenraum. Er konnte nicht genau sagen warum, doch Avis mochte den Geruch. Er parkte das Auto im Parkhaus des Sellingpoints, das erstaunlich leer war. Das Wetter hatte wahrscheinlich viele dazu bewegt Zuhause zu bleiben. “Danke fürs mitnehmen.” “Musst du Arbeiten?” “So in der Art… Wollen wir uns später treffen? Ich gebe dir auch einen aus, als Anzahlung.” Im Kaufhaus trennten sich ihre Wege. Frederic verschwand hinter einer Tür, an der ein Schild: "Nur für Personal" hing, während Avis sich auf den Weg Richtung Drogerieabteilung machte. Zwei Flaschen Federpflegemittel, dessen Preis inzwischen ungehörige Dimensionen angenommen hatte, und eine Flasche Shampoo landeten in Avis Tasche, zusammen mit einer neuen Schnabelfeile, inklusive Reinigungscreme, und einer Federzange (eine unangenehme, aber dennoch manchmal nötige Angelegenheit). Damit sollte er für ein paar Wochen wieder halbwegs gut aufgestellt sein.

Er traf Frederic vor dem großen Hauptausgang, der Drache hatte eine große Sporttasche über der Schulter. "Also? Was machen wir?" "Ist mir egal." Avis war nach der vergangenen Woche einfach froh aus den überfüllten, stickigen Räumen der Hochschule raus zu kommen. "Die Safehouse Truppe trifft sich und nach der einen Nacht bist du Ehrenmitglied. Die anderen übrigens auch. Sollen wir hin?" "Klar."

Der Laden war unscheinbar. Die Fenster von Innen, bis auf eine Höhe von fast zwei Metern, mit dunkler Folie beklebt. Vor der Tür stand ein Orca, der mit seinen Schultern problemlos den Kompletten Türrahmen blockierte. “Reik!” Frederic schien den Delfin zu kennen und begrüßte ihn mit einem kräftigen Handschlag. “Frederic! Kollins und Bea sind schon da. Dritter Tisch, linke Seite. Viel Spaß!” Er schob sich zur Seite und ließ sie hindurch. Der Laden war eng, aber gemütlich. Die Innenausstattung war eine merkwürdige Mischung aus Rustikalem Holz, Edelstahl und bunten Lichtern, garniert mit einer Lasershow, die durch den Nebel tanzte, der knapp unter der Decke hing. Das Krokodil und die Hyäne saßen mit dem Rücken zum Eingang und Frederic symbolisierte Avis, sich leis zu verhalten. Er schlich sich, so weit es für einen Drachen seiner Statur möglich war, vorsichtig an die beiden an und zog Kollins Portmonee aus der hinteren Tasche seiner Hose, dabei darauf bedacht, ja nicht seine buschigen Schwanz zu berühren. Was sollte das? Avis schaute ihn mit einem fragenden Blick an, doch Frederic beachtete ihn nicht. Er zog zwei Schein heraus und warf es dann über Kollins Schulter auf den Tisch. “Damit sind wir erstmal quitt.” Dann reichte er das Geld Avis. “Hey!...” Kollins wollte einwand erheben, doch Bea und Florian unterbrachen ihn. "Hast du das von Andrea gehört? Sie ist anscheinend wieder in der Gegend." Das breite Grinsen in Frederics Gesicht gefror. "Ja. Kathlyn hat sie gestern im 'Fudge' gesehen." 

Frederics Gesicht wandelte sich in Panik. Ein Gesichtsausdruck, den Avis sehr sehr selten, bei seinem Freund gesehen hatte. Das letzte mal, dass er sich daran erinnern konnte, war in der 8. Klasse gewesen, als Frederic eine sechs in Geografie bekommen hatte. Damals war es zurecht gewesen, angesichts des Monats Hausarrest, den ihm sein Vater auf brummte. Doch jetzt war es offensichtliche etwas anderes als schlechte Kenntnisse der geographischen Gegebenheiten des Kontinents. Könnte ein Drache erblassen, Frederic wäre wahrscheinlich weiß wie ein Albino, da war sich Avis sicher. So riss er nur die Augen auf und faltete seine Flügel etwas auseinander, seine Schwanzspitze zuckte nervös umher, wobei sie immer wieder gegen Tisch oder Stuhlbeine stieß. Bea und Kollins  waren zur Seite Gerutscht und das Krokodil bot Avis den Platz neben sich an, wären Frederic, nach Aufforderung durch Florian, neben dem Kater Platz nahm. “Und? Sollte ich wissen wer Andrea ist?” “Frederics Ex.” “Dachte das wäre Kathlyn gewesen?” “Das war nach Andrea. Hat auch nicht lange gehalten. Sie hat es aber nicht so gut verkraftet wie unsere weiße Königin, ist immer noch ziemlich sauer.” “Es sind zwar eigentlich nur Böse Klischees über Kojoten, aber auf sie treffen sie Hundertprozentig zu.” “Hatte sie damals nicht etwas gesagt in Richtung, sie wird dich Häuten und eine Handtasche aus dir machen?” “Neben bei, sie trägt keine Handtaschen.” ergänzte Bea. “Ach, so schlimm wirds schon nicht werden. Sie ist bestimmt schon darüber hinweg.” Frederics Stimme verriet sofort, dass er selbst nicht daran glaubte. 

“Glaub mir, sie ist nicht darüber Hinweg. Und sie hat einen eigenen Raum für ihre Trophäen. Und das ‘weiße Königin’ bekommst du zurück Florian. Verabschiede dich schonmal von deinem zweiten Ohr, oder finde schnell etwas anderes um es wiedergut zu machen!” Der Kater hob schnell eine Pfote und winkte den nächsten Kellner zu ihrem Tisch, während Frederic einen weiteren Stuhl für Kathlyn heran zog. Was war so schlimm an ‘Weiße Königin’? Das musste einen Hintergrund haben, dachte Avis, doch traute er sich nicht in ihrer Anwesenheit danach zu fragen. Vielleicht spricht er Frederic mal darauf an, wenn sie nicht dabei war. Allgemein gab es eine Menge Dinge über die er mit Frederic reden wollte. “Was führt dich in dieses Establishment?" "Freigetränke" sie nickte in Richtung Florian, "die Atmosphäre und die netten Leute. Außerdem ist hier der einzige Laden des gesamten Stadt in dem es Flammland Cidre gibt." Was sich, auf unerklärliche Weise, offiziell Cirde schimpfen durfte, war in wirklichkeit ein Gebräu von einer Vulkaninsel im Norden des Kontinents, deren Population seit jeher zu großen Teilen aus Drachen, Phönixen und sonstigen Feuer liebenden Kreaturen bestand. Entsprechend waren auch vieler der traditionellen Speisen und Getränke von dort, für andere Wesen irgendwo zwischen schwer genießbar, bis Gesundheitsgefährdend. Avis selbst hatte einmal Flammland Cidre probiert. Es schmeckte Grundlegend gar nicht so schlecht, bis sich das schleichende Gefühl breitmacht, deine Schleimhäute wären in Benzin getunkt und anschließend in Brand gesteckt worden, das sich von der Mitte der Speiseröhre sowohl in Richtung Rachen, als auch in Richtung Magen ausbreitet und auf dem Weg ein Meer aus Schmerzen zurück ließ. Leider hatte Avis eine Verzichtserklärung vor der Einnahme unterschrieben gehabt, wodurch im jegliche Ansprüche auf Schmerzensgeld verwehrt worden waren. Er selbst blieb bei einem dunklen Bier einer lokalen Craftbierbrauerei. Der Abend wurde länger und der Pegel stieg langsam. “Ich habe jetzt einen Job am Hafen.” “Drogenspürhund?” stichelte Frederic. “Verladearbeiter.” korrigierte Kollins. “Du hast einen Job? So einen Richtigen, mit Arbeitsvertrag?” Florian schien es nicht ganz glauben zu können. “Das mit dem Arbeitsvertrag schauen wir gerade noch, aber ja, ich haben einen richtigen Job, mit festen Arbeitszeiten und festem Lohn.” “Du wirst langsam alt.” kam es von Bea, doch Kollins störte es nicht. "Woher kommt der plötzliche Sinneswandel?" Der Kater war noch immer Skeptisch. "Hatte einen guten Geist, der mir geholfen hat." "Dass einen Hallus überreden aufzuhören ist mir neu." Frederic hatte sich vorgelehnt und musterte die Hyäne mit seinen Eisblauen Augen. "Wenn die Halluzinationen einen Name, eine Adresse, ein konstantes Einkommen und ein fast morbide wirkendes Interesse haben, einer verkommenen Hyäne aus der Patsche zu helfen, nehme ich Hilfe gerne an." Bea stieß ein erstauntes "Oh" aus. "Wer ist die bemitleidenswerte Gestalt, die sich deiner erbarmt hat?" "Tascha. Sie ist Paartherapeutin. Fantastisches, schwarz silbern glänzendes Fell..." Kollins begann zu schwärmen. "Und? 'Was' ist sie?" "Stinktier!" Fauchte Kollins, als würde die Frage ihn direkt angreifen. "Ich wollte nur sicherstellen, dass du nicht Schnee Adler sagst." Die weiß gefiederten Vögel stammten aus einer Region in der Nähe des Südpols und waren so weit Nördlich fast nur ein Mythos. “Mach ihn doch nicht so runter!” versuchte Bea zu beschwichtigen. “Immerhin scheint sie, wenigsten direkt auf den ersten Blick, keine narzisstische Psychopathin sein.” Frederic zog etwas den Kopf ein, seine Flügelspitzen schützen nach vorne gestellt. Sie hatte ihn persönlich getroffen. “Und? Bringst du sie mal mit und stellst sie uns vor?” “vielleicht…” murmelte Kollins, dem die Menge an Aufmerksamkeit, die sich auf ihn konzentriert hatte, sichtlich unangenehm war.

Avis hatte das Zeitgefühl verloren. Der Abend wurde spät, so spät, dass zum Schluss der Orca zu ihrem Tisch kam und darauf hinwies, dass der Laden schloss. Frederic klopfte dem Türsteher auf die Schulter.  "Danke für die Info Großer." Frederic winkte einer Bedienung zu und die Gazelle brachte die Rechnung. "Zusammen oder Getrennt?" "Ich übernehm alles!" verkündete Frederic mit einem breiten, scharfzahnigen Grinsen. "Hast du im Lotto gewonnen?" Doch Frederic reagierte nicht auf Kathlyns stichelei, sondern zog zwei Scheine aus seinem Geldbeutel und reichte sie der Kellnerin, einer Honigbiene. "Stimmt so." "Pass auf dass Carl nicht mitbekommt wie du mit Geld umgehst. Der erhöht dir sonst noch die Miete.” “Er wird es niemals erfahren. Außerdem schaue ich zur Zeit sowieso nach einer eigenen Wohnung. Wird langsam etwas eng mit den zwei Turteltauben. Also falls jemand von euch was hat, gerne melden.” Die Ankündigung schien zumindest Bea, Florian und allen voran Kathlyn sichtlich zu überraschen. Doch Frederic wollte nichts weiter dazu kommentieren. Vor der Tür trennten sich ihre Wege. “Hey. Könntest du mich nach Hause fahren?” Frederics Frage war an Avis gerichtet. Er schaute kurz zu Tim und Tamara, welche etwas abseits standen und die Köpfe zusammen gesteckt hatten. Die Papageiin bemerkte Avis Blick und verstand was er wollte. “Du kannst schon mal fahren. Wir haben noch was vor.” Tim hatte auch den Kopf gehoben und warf ihnen viel sagende Blicke zu. “Dann noch viel Spaß euch beiden!” Bea grinste in die Richtung der beiden, legte einen Arm um Florians Schulter und schleifte den Kater davon. Frederic und Avis blieben allein vor der Bar zurück. "Da wir jetzt wieder Quitt sind und ich absolut keine Lust habe nach Hause zu laufen, wärst du so nett mich mitzunehmen..." " Glaubst du du findest noch jemanden im Wohnheim der sich ein Zimmer mit dir Teilt?" "... und Zuhause ab zu setzten?"

Auf dem Weg zum Auto und auch wärend der Fahrt ließ Frederic Avis kaum zu Wort kommen. "... erinnerst du dich noch an Natalie?" Wie könnte Avis sie vergessen. Die Kea, die in der 3. Klasse vor ihm gesessen hatte und in die er damals haltlos verschossen gewesen war. “Habe sie letztes Jahr wieder getroffen. Sie ist jetzt eine Anwältin. Personenrecht...” Doch Avis unterbrach ihn. “Können wir über Mittwoch sprechen?” “Das Safehouse?” “Dein Monolog.” Frederic schien erstaunt. “Du warst wach?” “Und habe jedes Wort gehört.” Der Drache schien etwas verwegen. “Es tut mir ernsthaft leid. Auch dass du mich von der Polizei abholen musstest. Ich wusste einfach nicht, wen ich sonst anrufen sollte.” Es erstaunte Avis ein bisschen wie schnell Frederic auf den Punkt gekommen war. Er wollte seinen Freund nicht drängen, aber dennoch merkte er sehr deutlich, dass mit dem Drachen irgendetwas überhaupt nicht in Ordnung war. “Was ist mit Carl, oder Bruce?” “Die beiden haben genug mit sich selbst zu tun… ok. Das klang  seltsam. Sagen wir,  die haben ihre eigenen Probleme und ansonsten habe ich nicht wirklich Personen, die ich als Freunde bezeichnen würde.” In seiner Stimme lag bedauern. “Was ist mit Kollins, Bea, oder Florian?” “Die haben auch mehr als genug um die Ohren. Außerdem bin ich für einige von ihnen sowas wie ein großer Bruder und ich möchte mein Image nicht versauen.” “Kathlyn?” “Meine Ex? Dein ernst?” Die Frage hatte etwas vorwurfsvolles an sich. “Ich finde sie nett…” “Die Prinzessin im Elfenbeinturm soll mir mit meinen weltlichen Problemen helfen? Tolle Idee.” “War nur ein Vorschlag.” verteidigte sich Avis. “Du hast das Fenster immer noch nicht reparieren lassen?” Avis war kurz irritiert von Frederic feststellung, bis ihm Auffiel, dass auf der Beifahrerseite, deren Fenster Kollins bei ihrer ersten Begegnung eingeschlagen hatte, noch immer notdürftig mit einer Plastikfolie geflickt war. “Bin irgendwie noch nicht dazu gekommen.” Die Wahrheit war, dass Avis es bisher schlicht vergesse hatte. “Wir könnten uns die nächsten Tage mal treffen. Ich kenn da jemanden, der dir bestimmt einen guten Preis machen könnte.” Avis zweifelte über die Qualität, doch der Restwert der Blechschildkröte die er fuhr, war nicht sonderlich hoch. “Ich weiß nicht… Kenne ich denjenigen?” “Wie wäre es mit der Hyäne, die die Scheibe eingeschlagen hat. Wäre doch so etwas wie eine Wiedergutmachung.” Kollins? “Er hatte doch gesagt er arbeitet am Hafen?” “Der macht sein Geschäft nicht einfach dicht. Dazu hängt er zu sehr an dem Zeug.” antwortete Frederic grinsend.

Ein paar Steine knirschten unter den Reifen seines Autos, als Avis in seine Parklücke auf dem dem Parkplatz des Wohnheims einbog. Die Abgesägten Baumstümpfe, die vor dem Sturm zwei große Stolze Eichen gewesen waren, standen trostlos neben der asphaltierten Fläche und würden im nächsten Sommer keinen Schatten bieten. Er hatte Frederic zuhause abgeliefert und sie hatten vereinbart, dass er mit Kollins einen Termin aus machte. Der kalte Wind zauste Avis Federn, ein weiterer Grund sich zu beeilen ins Wohnheim zu kommen. Ein wirbel aus trockenen, braunen Blättern folgte ihm in den kleinen Eingangsbereich und sank langsam auf den harten Kunststoffboden. Es war kurz nach 23 Uhr. Irgendwo einige Stockwerke über ihm knallte eine Tür. Jemand schrie. Laut. Dem Geräusch nach eine Fledermaus und Avis war froh sich nicht auf demselben Flur mit ihr zu befinden. Das Geländer der Treppe schwang noch immer von dem Hochfrequenten Schrei, als Avis die Stufen zum ersten Stock hinauf stieg. Das Zimmer war leer. Tim war noch nicht wieder da, wahrscheinlich übernachteten er und Tamara außerhalb. Avis merkte, dass er durst hatte. Er kramte etwas in dem Chaos, dass die Boden zwischen den beiden Betten bedeckte, konnte jedoch nichts finden. Er kickte einen Stapel Pullover weg, doch auch darunter kam nur eine zerknitterte Jeans und ein Netzteil mit abgeknicktem Kable zum vorschein. Vielleicht hatte es noch etwas in der Küche. Einige Freiwillige füllten den Kühlschrank dort unregelmäßig mit frischen Getränken auf und für einige Pado konnte man sich dort bedienen. Schon von weitem konnte Avis die große, schlanke Gestalt, an der Bar sitzen sehen. Die spitzen Ohren, das orangerote Fell und das glatte, schwarze Hemd ließen wenig zweifel zu. “Was machst du hier?” Begrüßte Avis den Rotfuchs, während er sich an ihm vorbei in den kleinen Bereich hinter der Theke quetschte. Marcus schreckte von seinem Handy auf.  “Oh. Hi Avis.” Avis grub derweilen schon im kleinen Kühlschrank unterhalb des Tresens nach einer Flasche Mandelmilch. Teil seiner eigenen, artgerechten Ernährung. Er schmiss ein paar Münzen in die Blechdose, die am Rand der Theke stand. “Also. Was machst du hier? Sind bei euch die Getränke leer?” “Nee, aber doppelt so teuer… nein Spaß, Terrence hat was zu erledigen und hat gefragt, ob ich kurz hier auf ihn warte.” Avis zog einen der, etwas abgeratzten, aber dennoch erstaunlich bequemen Hocker her und ließ sich neben dem Fuchs nieder. “Wie läufts bei dir gerade?” Avis bemerkte, dass sie die letzten Wochen kaum geredet hatten. “Och, ganz gut…” doch aus seiner Stimme konnte Avis heraushören, dass etwas den Rotfuchs bedrückte. “Wirklich?” Bohrte er weiter nach, bevor er sich einen großen Schluck Mandelmilch genehmigte. “Ich weiß nicht was los ist, aber Terrence hat sich verändert… manchmal erkenne ich ihn kaum wieder.” Der Fuchs ließ den Kopf hängen. “Was hat sich denn verändert?” “Er spricht kaum mit mir, wenn er es tut, tut er so, als wäre alles normal. Ich weiß nicht wie ich an ihn rankommen soll.” “Schon mal eine Paar Therapie versucht? Ich glaube die von Psychologie und Soziologie bieten da etwas an.” War die Aussage unsensibel gewesen? Therapie und Psychologische behandlung hatte leider noch immer ein gewisses Stigma in der Gesellschaft. Doch Marcus blickte von der leicht schmierigen Oberfläche des Tresens auf. “Hast du das ernst gemeint?” Seine Stimme klang ernst, aber nicht vorwurfsvoll. “Äh…” Avis zögerte. “Ja?” “Du glaubst wirklich dass wäre eine gute Idee?” Noch immer lag in der Stimme des Fuchs keine Spur von Vorwurf, nur etwas Unsicherheit. “Vielleicht könntet ihr euch aber auch jemanden professionellen in der Stadt suchen, doch wenn ihr was in der Nähe sucht, könntet ihr es ja mal probieren.” “Hey Avis” Die Stimme kam von hinter ihm. Avis drehte sich auf dem Hocker und erblickte Terrence, etwa zwei Meter von ihnen entfernt, über der Schulter eine Sporttasche. “Danke dass du meinen Freund unterhältst.” Er wandte sich an Marcus. “Kommst du Großer!” Er zupfte am Ohr des Fuchses, an das er jedoch aufgrund der Höhe des Säugetiers, der zusätzlich noch auf dem Hocker saß, nur mit Mühe heran kam. “Klar Schatz.” Er setzte ein falsches Lächeln auf, sprang vom Hocker und folgte dem Salamander. Avis griff sich seine Flasche und machte sich auf den Weg zurück in sein Zimmer.

CHAPTER 10 - Kapitel 10

Am nächsten Tag stand seine übliche Routine an. Frühstück in der Mensa. Tim und Tamara sitzen zusammen. Terrence und Marcus daneben. Avis setzte sich auf den freien Platz gegenüber seines Mitbewohners, neben Terrence. “Morgen” murmelte er, während er langsam seinen Toast zu seinem Schnabel führte. Das knusprige Brot knirschte, als er einen Bissen heraus riss, Krümel lösten sich und machten sich auf die Reise in die nähere Umgebung von Avis Sitzplatz. “Also… ich habe da angerufen und denen mal richtig meine Meinung gesagt und dass deren Zulassung für diese Art der Speisen gar nicht ausreichend ist, und gedroht denen das Amt auf den Hals zu hetzten. Und so habe ich einen Tisch für uns zwei im ‘Golden Thorn’ bekommen.” berichtete der Fuchs stolz. Terrence war aufgestanden, um etwas zu trinken zu holen und Marcus nutzte seine Abwesenheit, um mit seinem neuesten Geniestreich zu prahlen. “Ihr zwei habt ein Date?” Bohrte Tamara neugierig nach. “Wenn du es so nennen willst, ich bezeichne es lieber als ‘Abend zu Zweit’, aber sagt Terrence nichts. Soll eine Überraschung werden.” “Ich hätte auch gerne eine Freund, der einen Tisch im ‘Golden Thorn’ organisieren kann.” Murmelte Tamara. “Absolut nichts gegen dich Tim.” hängte sie schnell an, aber dennoch wirkte der Tiger gekränkt. “Ist alles wieder in Ordnung zwischen euch?” Avis war vom schnellen Wandel überrascht. Die Stimmung etwas ab. “Ich glaube ich muss einfach akzeptieren, dass Terrence nicht mehr der selbe Salamander ist, an dem Ich all die Jahre festgehalten habe. Er ist Erwachsen, verdammt er ist ein Jahr älter als ich…” Er senkte seine Stimme. Der Salamander kehrte zurück und setzte sich neben den Fuchs. Avis Handy klingelte. “Heute Mittag Zeit? Könnten uns endlich um deine Scheibe kümmern. ” eine Nachricht von Frederic. Er tippte sofort eine Antwort. “Klar. Ab 14:30.” Frederic brauchte nur wenige Sekunden um zu Antworten. “Super. Kannst du mich abholen?” “Kann ich machen.” “Ok. Bis nachher.” Avis steckte sein Handy wieder weg und beendete sein Frühstück. 

Die erste Vorlesung des Tages war Marketing, einer der Kurse, die Avis besser leiden konnte. Die Wölfin, die die Vorlesung hielt hieß Mrs. Paralis und hatte früher bei einem der größten Onlinehändler der Welt, in einer hohen Position gearbeitet. Wie sie hier an der Hochschule gelandet war, war eines der Geheimnisse, die sie umgab, neben der allgemeinen mysteriösen Ausstrahlung, ihres silberglänzenden Fells und ihrer eisblauen Augen, die einen schnell in ihren Bann ziehen konnten. Auch war das aktuelle Thema spannender als die üblichen, sie mussten in Arbeitsgruppen einen Marketing Plan für ein fiktives Produkt entwickeln. Tamara, Avis, Marcus, Terrence und eine schwarzschuppige Echse namens Angelica arbeiteten zusammen an den Grundzügen der Vermarktung eines Fitness Sportgetränks, speziell abgestimmt auf die Bedürfnisse von Raubkatzen. Die Idee war Avis spontan gekommen und keiner der anderen hatte eine besser Idee gehabt. Doch Marcus war von Avis letzten Vorschlag nicht sonderlich begeistert. “... wenn wir das machen, steigen uns die Geparden aufs Dach!” “Biologisch Betrachtet sind Geparden nicht mal Großkatzen, also nicht wirklich in unserer Zielgruppe.” wendete Tamara ein, während sie auf ihrem Laptop die aktuellen Bevölkerungsstatistiken nach schlug. “Dann verlieren wir am Ende aber auch die Pumas.” wendete Angelica ein. “Ich glaube die können wir in dieser Gegend vernachlässigen. Wie sieht es mit Löwen und Tigern gerade aus?” Avis hatte inzwischen angefangen auf einem losen Zettel ein Logo zu kritzeln. Die Klauen einer nicht näher erkennbaren Raubkatze, mit Sehr großem Bizeps, zerrissen eine Plastikflasche, oder so ähnlich. “Hey, was hast du da?” Avis versuchte den Zettel fest zu halten, doch er war zu langsam und sie schnappte ihn ihm unter der Kralle weg. “Immerhin ein Ansatz…” Der Vorlesungsblock war zu ende. “Bitte vergesst nicht, dass das Projekt in vier Wochen fällig ist.”

Die fünf Packten schnell ihre Sachen. “Wir sollten uns irgendwann mal treffen, am besten diese Woche noch.” "Mittwochmittag wäre nicht schlecht…" "Da bin ich im Hallenbad." Eine Angewohnheit Tims, die Avis überhaupt nicht nachvollziehen konnte. Doch das lag hauptsächlich daran, dass Avis Nichtschwimmer war, die Hauptschuld schob er auf sein, absolut nicht wasserfestes, Gefieder, das sich binnen kürzester Zeit voll sog und dazu führte, dass er nach wenigen Bahnen vollkommen erschöpft war. "Dann Freitag?" "Warum nicht Donnerstag?" Doch dieser Termin passte für Tamara nicht. "Bin da schon mit jemandem verabredet." "Freitag?" An dem Tag schien, wenigstens bis jetzt, jeder Zeit zu haben und so verabredeten sie sich für 15:00, voraussichtlich, wenn nichts dazwischen kam. Der nächste Block, “Internationales Management und Beziehungen” klang zwar ebenfalls interessant, war es aber nicht wirklich und so tröpfelten die nächsten 1 ½ Stunden so vor sich hin, ohne einen wirklich großen Eindruck in seinem Vogelhirn zu hinterlassen. Vereinzelte Fetzen fanden ihren Weg durch seine Ohren zum Motorischen Zentrum, das diese auf einen Block kritzelte, doch blieb sein Verstand von diesem Prozess gänzlich unberührt und versank schnell in einen Dämmerzustand. Seine Umgebung verschwamm zu einem Meer aus sich bewegenden, farbigen Schemen, bis plötzlich! Jemand stieß ihn an. Avis schreckte hoch. Um ihn herum hatten andere Studenten begonnen ihre Sachen zu packen. Der Platz neben ihm, auf dem Terrence gesessen hatte, war leer. Er schnappte die vier vollgeschriebenen Seiten und verstaute sie in seiner Tasche, zusammen mit seinem Block und Kugelschreiber, bevor er sich den anderen anschloss, die aus dem Raum strömten.

Eine einsame Schneeflocke taumelte durch die Luft und landete schlussendlich auf Avis Schabel und schmolz dort, als dieser zusammen mit den anderen aus dem Gebäude trat. Die nächste Flocke fand ihren Weg zu Avis Nasenloch und in das innere seines Kopfes. Er zuckte zuckte ruckartig herum, während ihm ein lautes, pfeifendes Niesen entwich. “Ich dachte ihr Blauhäher kommt aus dem weiten Süden von Amerun, ist es dort nicht zwei Drittel des Jahres Winter?” “Meine Familie ist schon vor Generationen ausgewandert, außerdem ist dort gerade Sommeranfang.” Er hatte noch einen entfernten Familienzweig auf der anderen Seite des Ozeans, in seiner frühen Kindheit hatten sie jedes Jahr zwei Monate, auf der Ranch seines Großonkels verbracht. Doch die bittere Realität, in Form des Beginns der Grundschule, hat ihn dieser Tradition ein Ende bereitet… und die Tatsache, dass Onkel Kenz vor 6 Jahren gestorben ist und seine Kinder die Ranch verkauft haben, hatte sie für immer begraben.  “Außerdem bin ich schlicht kein Fan von Schnee und Kälte.” Die Antwort schien zufriedenstellend und die kleine Gruppe legte den Rest des Weges in Stille zurück. Die große Glasfront der Mensa war noch immer von einem großen Baugerüst verdeckt, erst ungefähr die hälfte der Scheiben war bisher ersetzt worden. Ein Panda und ein Eichhörnchen hingen mehrere Meter über dem Boden zwischen den Stangen und Streben und fixierten eine der, gut 1,5 auf 3 Meter großen Glasplatten in ihrem Rahmen. Die vier machten einen großen Bogen um den Bereich über dem die zwei Handwerker arbeiteten. Sie alle hatten genug trashige Horrorfilme gesehen, um zu wissen, wie der, eigentlich ganz okaye Tag plötzlich in einem Fiasko enden könnte. Tamara drückte beide Flügel der Glastür auf und die warme Luft aus dem Inneren des Gebäudes begrüßte sie freundlich. Ihre Vorlesung hatte etwas zu spät geendet und die meisten Tische waren bereits vollständig belegt, oder ausreichend fragmentiert, dass nur noch maximal zwei Plätze nebeneinander, oder gegenüber frei waren. Und so zerstreute sich die kleine Gruppe, hinter der Essensausgabe und suchten sich getrennt Plätze. Avis ließ seinen Blick über die Tischreihen gleiten, bis er zwei bekannte, orangene, spitze Ohren fand. Neben Marcus war zufälligerweise sogar noch ein Platz frei und so machte sich Avis auf den Weg durch die Studenten Massen. Er beschleunigte seine Schritte und erreichte den Platz, bevor sich jemand anderes dort niederlassen konnte. Er setzte sein Tablett etwas schwungvoll ab, woraufhin die Mandelmilch sich gefährlich nah dem Rand des umgebenden Glases annäherte. Nach wenigen Sekunden beruhigte sich die dicke Flüssigkeit wieder und hatte glücklicherweise die Gnade in ihrem Gefäß zu bleiben. Der Fuchs bemerkte ihn erst nicht, da er in ein intensives Gespräch mit einem Seelöwen vertieft war, den Avis einige Male gesehen hatte, jedoch nicht persönlich kannte. “... wenn du mir das Zeug besorgen könntest, würde ich dir im Austausch mit Scheppler helfen. Haben wir einen Deal?” Marcus streckte seine Pfote über den Tisch. Der Seelöwe zögerte etwas, bevor er vorsichtig, mit seiner Flossenhand, die Pfote des Fuchses ergriff und schüttelte. Erst jetzt bemerkte Avis Terrence, der auf schräg gegenüber von Marcus saß, sein Tablett bereits leer und der Salamander in ein dickes Buch vertieft. Auf dem simplen, einfarbigen Umschlag stand in schlichter Schrift ein Titel in einer Sprache die Avis nicht kannte. Marcus sieß Avis an. “Hey. Hab dich gar nicht bemerkt. Wie lange lauschst du schon unseren geheimen Verhandlungen? Muss ich dir mit Rechtlichen Schritten drohen, um zu verhindern, dass du Informationen an die Presse weiter gibst?” “Keine Sorge Marcus, selbst wenn ich es versuchen würde, ich bin mir sicher, dass niemand die Campus Seiten liest und falls doch, irgendetwas davon ernst nimmt, abgesehen von den aktuellen Kantinen Preisen.” Was stimmte, auch wenn einige behaupteten, man müsse den Subtext der, meist entweder eher Mittelmäßig geschriebenen, oder aber auch völlig übertrieben ausgeschmückten, Artikel lesen. Immerhin die Berichte über die Lokalen Etablissement Geheimtipps enthielten hin und wieder etwas interessantes, wenn auch das meiste davon nicht wirklich Avis Geschmack, oder allgemein dem einer normal denkenden Person, entsprach, was vielleicht auch an der Chefredakteurin lag. Dem sehr auf Fisch fokussierten Geschmack des Orcas konnte Avis nur wenig abgewinnen. “Stimmt auch wieder.” Der Fuchs grinste. “Oder muss ich mir dein Schweigen vielleicht erkaufen?” “Ich bin ganz Ohr.”

Der nächste Vorlesungsblock verging wie im Flug, fünf weitere Seiten in Avis Tasche und 1 ½ fehlende Stunden waren die einzigen Spuren, die sie hinterlassen hatte. Avis betrat sein Zimmer im Wohnheim. Geschickt tänzelte er durch das Chaos und legte seine Tasche auf sein, unordentliches Bett, dessen Bettdecke noch immer an dessen Ende zusammen geknäult lag. Tim lag auf seinem Bett, seinen Laptop auf seiner Brust abgestützt. Er hielt das Gerät in perfekter Balance während seine rechte Hand auf der Tastatur ruhte und seine linke die Maus bediente, die neben ihm auf dem Bett ruhte. "Hi?" Die dünnen Kabel, die aus seinen Ohren kamen, implizierten, dass er Avis nicht bemerkt hatte. Avis wühlte sich durch die Schublade seines Schreibtisches, bis er seinen Autoschlüssel gefunden hatte. Als er das Zimmer verließ, hatte Tim sich keinen Zentimeter bewegt, oder auch nur ein Anzeichen gezeigt, dass er die Anwesenheit des Blauhäher registriert hätte. Wenige Minuten später ließ sich Avis auf den Fahrersitz seines Autos fallen. Er fummelte das, bereits stark verknickte AUX Kabel aus dem Spalt in der Mittelkonsole und steckte sein Handy an das Radio an. Sofort startete seine Comfort Playlist und füllte den Innenraum mit einem Mix aus düster, melancholischem Synth, Pop Rock und selten eingeschoben Power Metal/ Metal Balladen, aber auch den gelegentlichen Alternative Stücken. Er wollte gerade Frederic schreiben, wo sie sich treffen sollte, da schickte ihm der Drache eine Nachricht mit einer Adresse. Avis lud sie in seine Navigations App. Ein Gebäude im Westpark, das laut der App ein Warenhaus einer größeren Einzelhandelskette beherbergte. Frederic arbeitete doch im Selling Point? Hatte er einen zweiten Job? Oder vielleicht hatte er sich auch nur einfach nur mit jemanden dort getroffen. Der Verkehr kroch in Richtung der Ringstraße. Avis griff nach seinem Handy und übersprang zwei Lieder, die etwas zu depressiv für seine aktuelle Stimmungslage waren. Die Ampel wurde Grün und die Autoschlange setzte sich in Bewegung. Er drehte die Heizung auf. 

Die Klimaanlage gab ein leichtes Röcheln von sich und begann Luft in den Innenraum zu pumpen, erfüllte ihren eigentlichen Zweck jedoch nur sehr unzureichend. Nach weiteren 30 Minuten erreichte er die Ausfahrt. Vorbei an einem ziemlich heruntergekommene Lebensmittelladen, Imbiss, Tankstelle, Autowerkstatt Hybrid, als Logo prangte die Abbildung eines wilden Greifen auf einem, stark verschmutzten Schilds. Jedoch gehörte der abgebildete Katzen, Vogel, in diesem speziellen Fall, Krähen, Gepard Hybrid zu einer Art, die ausschließlich im entfernten Süden von Kelopis vorkam, also ungefähr auf der anderen Seite des Erdballs. Die Beleuchtung des Schildes flackerte unregelmäßig. Die Adresse die Frederic ihm gegeben hatte lag etwas weiter die Straße hinunter. Ein massiver Metallzaun, die senkrechten Streben gut vier Zentimeter dick, scharf aussehende Zacken auf der Oberseite. Ein breites Tor stand zur Straße hin offen. "Sie haben ihr Ziel erreicht. Es befindet sich auf der rechten Seite." verkündete die freundliche Stimme. Etwas unsicher lenkte Avis ein und fuhr auf den Hof, hinter dem Zaun. Es war niemand zu sehen. Einige Autos standen auf der offenen Fläche vor, was ein still gelegtes Industriegebäude zu sein schien. Viele der hohen Fenster, die der Backsteinfassade waren eingeschlagen und anschließend mit schwarzer Folie verhangangen worden, die im Wind leicht schlackerte. Er stellte sein Auto in der Nähe einer breiten, doppelflügligen, blauen Stahltür, neben mehreren, rostigen Stahl Rolltoren, ab. Aus dem inneren der Halle drang leise das Wummern eines Basses. Avis wusste nicht genau wieso, aber ihm war unwohl, wirkte das Gebäude und das umgebende Gelände heruntergekommen und uneinladend. Er griff nach dem Griff der Tür und rüttelte daran. Abgeschlossen. Er klopfte mit seiner Krallenhand gegen das Metall. Etwas von dem blauen Lack blätterte ab und sank zu Boden, wo bereits weiter Flocken lagen. Nichts passierte. Avis wartete, was er glaubte waren zwei, oder drei Minuten. Noch immer nichts. Er zog sein Smartphone heraus und schrieb eine kurze Nachricht an Frederic. “Hey. Stehe vor der Tür. Kann jemand aufmachen?” Er wartete weitere fünf Minuten. Avis war kurz davor wieder zu gehen, als ein schleifendes Geräusch hinter der Tür erklang und diese Momente später aufschwang. Der Blauhäher konnte sich gerade noch mit einem gewagten Sprung in Sicherheit bringen, bevor die Tür, mit einem lauten Knall gegen die Außenwand der Halle schlug. In der Tür stand ein Dobermann, Schultern kaum schmäler als die Tür. Seine spitzen Ohren stießen gegen die Oberseite des Türrahmens. Er schaute sich verwirrt um, bis er den Vogel fand, der etwa zwei Meter entfernt auf dem Boden lag. “Tschuldigung. Die scheiß Tür klemmt etwas.” Er reichte Avis die Hand und der Blauhäher hatte das Gefühl, einen Türgriff eines fahrendes Zugs ergriffen zu haben, als dieser ihn auf die Beine zog. “Ich bin Victor, aber du kannst mich Vic nenne. Und du?” “Avis… einfach Avis.”

Avis folgte der Dobermann in die Halle. Ein Brummen lag in der Luft. Warmes, übermäßig Gelbes Licht, ausgehend von einer Reihe Lampen, die auf halber Höhe von der Decke der Halle herab hingen, füllte den Raum. Zwischen den dicken Stahlpfosten stand eine Reihe Autos und darum herum eine Gruppe Personen. Avis konnte Frederic schon von weitem sehen. Der Drache überragte die meisten anderen um fast einen Kopf. Er lehnte gegen einen der Pfosten und grinste Avis an. “Hey, Willkommen!” Und er winkte den Blauhäher zu sich. Als er der Feuer Echse näher kam bemerkte er eine kleiner Gestalt, um die Frederic einen seiner großen Flügel gelegt hatte. Kollins wirkte nervös, wie bei bisher jedem mal, dass Avis ihm begegnet war. “Darf ich dir vorstellen.” Er legte seinen freien Arm um Avis Schulter und begann ihn herum zu führen, wobei er Kollins mit schleifte. “Das hier ist Sascha.” Die Wanderfalkin lehnte gegen die Tür eines Sportwagens. Ihr Kopf zuckte nervös umher, während sie die anderen anwesenden beobachtete. “Nicht sehr gesprächig, wahrscheinlich die Geschwindigkeits verrückteste hier.” Er deutete auf das Auto, auf das mit einem Feder Muster Lackiert worden war. Bevor Avis sich vorstellen, oder überhaupt irgendwas sagen konnte, hatte Frederic ihn bereits weiter geschleift. Ein ihm bekannter, schwarzer Fell Kopf mit nur einem Ohr und eine grün geschuppte Gestalt im Kapuzenpullover standen zusammen mit einer Gottesanbeterin an einer geöffneten Motorhaube. "Das ist Lucy und die anderen beiden kennst du ja bereits." Avis winkte ihnen kurz zu, bevor Frederic ihn und Kollins weiter durch die Halle bugsierte und den rest der Anwesenden vorstellte. "Das wären dann eigentlich fast alle gewesen." Er stellte die beiden in nähe der Rolltore ab, in einem Bereich der Halle, die wie eine provisorische Werkstatt wirkte. "Abgesehen vom wichtigsten hier." Unter einem aufgebockten Sportwagen, krabbelte ein Hummer hervor, beide Scherenhände voller Werkzeug. “Das hier ist Chester. Ihm gehört die Halle und das Equipment hier.” “Und du bist wahrscheinlich Avis?” Der Hummer, der eine blaue Bommelmütze und einen dazu passenden Strickpullover, inklusive wiederholendem, abstraktem, geometrischem Muster trug, reichte ihm eine Schere. “Ich habe eine passende Scheibe für dein Auto gefunden und Kollins hier...”, er stieß die Hyäne an, die noch immer unter Frederic Arm fest klemmte, “...hat bereits dafür bezahlt.” Kollins versuchte so etwas wie ein versöhnliches Grinsen, wenigstens interpretierte Avis es so.

Das Rolltor quietschte laut, als Chester es von innen öffnete. Avis ließ den Motor an und rollte langsam in die Halle, während der Hummer ihn einwies. Nachdem er das Auto zwischen den Werkzeugen und Schränkchen abgestellt hatte ging die Hyäne ans Werk und begann die Innenverkleidung der Beifahrertür zu demontieren. Dabei stellte er sich erstaunlich geschickt an und binnen weniger Minuten hatte er die Reste der alten Scheibe aus der Halterung gelöst und eine neue, identische Scheibe, jedoch im Gegensatz zum kleinen Scherbenhaufen, zu dem die Hyäne die Reste der alten zusammen gekehrt hatte, noch vollständig. Nachdem er geprüft hatte, ob der Fensterhebe Mechanismus korrekt funktionierte, wollte er gerade die Verkleidung wieder montieren, als Frederic ihm einen Staubsauger in die Hand drückte. Nach weiteren fünf Minuten hatte Kollins den Innenraum und das innere der Tür von den meisten verbliebenen Scherben befreit. Um sie herum hatte sich eine kleine Traube, aus Beobachtern gebildet. Die gesamte Reparatur dauerte ungefähr 20 Minuten. Avis wollte Kollins zuerst zur Hand gehen, doch Frederic hielt ihn davon ab. “Er hat’s verbockt, er muss es ausbaden.” Nach abschluss der Reparatur und Reinigung des Fahrzeugs, verschwand Kollins ohne ein weiteres Wort. Avis wollte sich noch bei ihm bedanken, doch konnte ihm niemand sagen wo die Hyäne hin verschwunden war. Avis entschuldigte sich und verließ die Halle und tatsächlich auf dem Parkplatz fand er ihn. Die Hyäne saß auf einem Reifenstapel, eine glimmende Zigarette in der Schnauze. “Noch irgendwas das ich vergessen habe?” “Nein… alles in Ordnung. Ich wollte mich nur bedanken.” Kollins schien erstaunt und unsicher, wie er mit der Situation umgehen sollte. “Möchtest du auch eine?” Zögerlich hielt er Avis eine Zigarette hin, doch dieser lehnte ab. Er setzte sich neben ihn. Der Qualm zog ihm in die Lunge und er musste husten. “Dann halt nicht.” Kollins schnippte den, noch glühenden Stummel seiner Zigarette davon. Er sprang auf. “Könntest du Frederic ausrichten, dass ich mich nicht bescheißen lasse und bitte meine Pado zurück haben möchte.” Noch bevor Avis weiter nachfragen konnte hatte die Hyäne den Hof bereits verlassen. Der Blauhäher kehrte in die Halle zurück. Es war weniger los als zuvor. Sascha und ihr Sportwagen waren verschwunden, zusammen mit drei anderen Autos und deren Inhabern.

Frederic stand neben Avis kleinem Auto, das, verglichen mit den verblieben Sportwagen fast schäbig schien, zusammen mit Florian und Bea. Die Krokodil Dame kaute auf einer, nicht angezündeten, Zigarette herum. Ein großes Schild an einer nahen Säule wies darauf hin, dass rauchen in der Halle verboten war. “Die Veranstaltung löst sich auf.” “Sollen wir wo hingehen, wo es gemütlicher ist?” Der Rest stimmte Avis Vorschlag zu. Bea und Florian nahmen auf der Rückbank platz, während Frederic sich auf den Beifahrersitz quetschte. Avis griff an dem großen Drachen neben ihm vorbei und kurbelte die Scheibe hoch. Das neue Glas quietscht leicht, als es an den abgenutzten Gummilippen vorbei glitt, die verhindern soll, dass Feuchtigkeit in das innere der Tür gelangte, diese Aufgabe, seit Jahren aber nur sehr halbherzig erfüllte. “Ach Frederic. Ich soll dir ausrichten, dass sich Kollins nicht übers Ohr hauen lässt und sein Geld zurück haben möchte.” Frederic fletschte das Krokodilgebiss. “Das soll er mir gefälligst ins Gesicht sage. Außerdem sind das nicht ‘seine’ Pados.” Der Drache wirkte regelrecht empört angesichts der Anmaßung der Hyäne. “Kannst du dich vielleicht mal etwas zurückhalten? Du weißt Kollins macht eine harte Zeit durch. Das müsstest ausgerechnet DU verstehen.” Der Drache wollte sich verteidigen, “Ja, aber ich...” doch schien ein Blick von Bea, reflektiert durch den Rückspiegel, genug, um ihn davon abzuhalten, den Satz zu Ende zu führen. Sie erreichten die Ringstraße und wenige Minuten später eine der Hauptverkehrsadern, die sie in die Innenstadt brachte. Einzelne Schneeflocken begannen sich unter die kalten Winde zu mischen. Vorboten auf was noch sehr bald kam. Avis stellte sein Auto auf der mittleren Ebene des Parkhauses ab, geschützt vor möglichen Fluten, Hagel und sonstigen Naturkatastrophen, die über die Stadt hereinbrechen könnten. Nur drei Wölfe saßen im sonst leeren Außenbereich der Bar und spielten Karten. “Frijederic!” Als sie die Bar betraten, streckte der Desman hinter der Theke die lange Nase in die höhe und schnüffelte. “Avjis und…” er machte eine Pause und atmete tief ein. “... Bea und... tschjuldigung Kätzchen, habe djeinen Namen vergjessen.” “Florian” “Der Tjisch ist freij.”  deutete auf eine Sitzgruppe nahe einem der Fenster. Doch eine Person vom nächsten Tisch winkte ihnen zu. Frederics ohnehin schon leicht aufgekratzte Stimmung schlug schlagartig um, sehr deutlich sichtbar an seinen Mundwinkeln und den Flügeln, die sich instinktiv etwas auffalteten, um größer und bedrohlicher zu wirken. “Autsch! Hey!” Florian, der schräg hinter dem schwarzen Drachen stand, hatte dessen Rechten Flügel ins Gesicht bekommen. Der Kater drückte die, von langen, dünnen Knochen gestützte Membran weg. Unter den kahlen, vernarbten Hautstellen der Hand des Katers, war jede Bewegung der Sehnen sichtbar. Florian schien Avis Blick zu spüren und zog die Hand weg und steckte sie in die Hosentasche. Avis versuchte ihm entschuldigend zu zu lächeln, doch schien der Kater es nicht bemerkt zu haben.

Florian steuerte auf den Tisch zu, an dem bereits Kathlyn saß. Avis blieb erstarrt stehen, doch die Drachin strahlte sie an und zog die Stuhl neben sich zurück. Als Florian sich darauf nieder lassen wollte, scheuchte sie ihn, spielerisch, weg und bot den Stuhl stattdessen dem Blauhäher an. Avis fädelte seine blau, weiß, schwarzen Schwanzfedern in den vorgesehen Spalt in der Rückenlehne und ließ sich auf der, dünn gepolsterten Sitzfläche nieder. Der Rest der Gruppe sammelte sich um den Tisch und verteilte die restlichen Stühle. Frederic setzte sich auf den Platz neben Avis, wodurch Kathlyn und er, zwar nur durch den schmal gebauten Vogel getrennt wurden, sie sich sich jedoch nicht im direkten, frontalen Sichtfeld des anderen befanden. Avis fühlte sich latent unwohl, bildete es sich doch ein, die Spannung zwischen den beiden Drachen, in Form eines Kribbeln in den Spitzen seiner Federn zu spüren. Als säße er in einem elektrischen Feld, das sich zwischen den beiden gebildet hatte. Ein Schauer lief, mit einem hörbaren Rascheln, seinen Rücken hinunter. Doch keiner der anderen nahm Notiz davon, viel interessanter waren die Gespräche die sich zwischen den Anwesenden entwickelten, auch wenn der ein oder andere Seitenhieb Kathlyns gegen Frederic, zu einer negativen Reaktion von diesem führte, die Avis glaubte, in Form leichter Statischer Entladungen zwischen den Beiden zu spüren. Das steigende Unbehagen schien ihm bald ansehbar zu sein. “Alles in Ordnung Avis?” Die Frage kam von Florian und unterbrach das gerade laufende Gespräch. “Klar. Alles super.” “Nee, ernsthaft. Willst du dich lieber hierher setzen?” Er griff hinter sich und zog einen leeren Stuhl vom Nebentisch heran. Der Kater schaute ihn aufmunternd an. “Ist vielleicht besser, bevor dir noch die Federn ausfallen.” Avis Haut brannte, doch er hoffte, dass seine dichten, gut gepflegten Federn die Röte seiner Haut verbergen würde. Langsam schob er seinen Stuhl zurück. Frederic warf ihm einen erst etwas verwirrten, dann seltsam konträr zwischen Ermutigung und Vorwurf verorteten Blick zu. Das Gespräch war verstummt und alle Augen hafteten auf dem Blauhäher. Er wollte sich gerade wieder auf seinem alten Platz niederlassen, da stand Frederic auf, legte eine Hand auf seine Schulter und schob ihn sanft zur Seite, bevor er sich auf dem Stuhl neben Kathlin nieder ließ. Avis ließ sich auf dem nun freigewordenen Platz frei, sichtlich erleichtert der, sehr unangenehmen Situation entkommen zu sein, dafür schien sich das Feld um die beiden Drachen, ohne den Isolator zwischen ihnen weiter auf zu laden und er vermutete bereits, dass es irgendwann am Abend zu großen Krach kommen würde. Für jetzt lehnte er sich jedoch zurück und lauschte dem Gespräch, das sich inzwischen um ein Festival drehte, die in den nächsten Wochen in der Stadt stattfinden würde. Avis hatte kein großes Interesse an Live Musik, er hörte gerne seine Playlists, besaß sogar eine größere Sammlung CDs, doch die großen Personenmengen eines Konzerts mochte er nicht sonderlich. Den Lärm, die Enge, den Geruch…  Frederic erhob sich und verließ den Tisch in Richtung Toiletten. “Ich könnte vielleicht an ein paar Karten kommen.” meldete Kathlin. “Mein Dad geht hin und wieder mit dem Vater des Veranstalters Segelfliegen.” “Aha! Die Privilegien der High Society!” Bea kam es schnippisch von Bea, die an einem Bloody Scale, einem Cocktail, der aufgrund einer sehr speziellen Aroma kombination, vor allem von fleischfressenden Reptilien bevorzugt wurde, nippte. “Du willst nicht wissen auf wie viele sterbenslangweilige Galas, Empfängen, Hochzeiten und Geburtstagen von Personen die so unglaublich uninteressant und mir völlig egal waren, Mom und Dad mich schon geschleift haben. Das ist jetzt die Entschädigung dafür.” “Hey Avis.” Er schreckte etwas hoch, hatte er die Konversation bisher größtenteils passiv Verfolgt. “Wie heißt nochmal die Band die du früher immer gehört hast?” “Essential…” Die Alternative Pop Band steuerte gut ein Drittel von Avis persönlicher Musiksammlung bei. “Die spielen nächsten Samstag.” Avis Augen leuchteten auf, angesichts der Aussicht, das Trio, bestehend aus Felix, einem Tümmler am Synth, Andre, einem Vielfraß am Keyboard und Jakob, einer Elster, die Gitarre spielte und gleichzeitig als Frontsänger fungierte, live sehen zu können. Doch der Enthusiasmus von Kathlin schien etwas ab zu ebben. “Ich schau mal, ob ich euch beiden Karten besorgen kann.” Beiden? Aufgrund der Gestik der Drachin verstand Avis, dass als zweite Person scheinbar Frederic gemeint war. “Ich weiß nicht, ob Frederic mitkommen würde…” “Er wird mitkommen.” Es klang wie eine Drohung und das war es auch. Von all dem hatte Frederic nicht mitbekommen, denn sein Platz neben Avis war noch immer leer. Avis entschuldigte sich ebenfalls und machte sich auf den Weg zu den Toiletten. Die Außentür, am Ende des kurzen Gangs, stand offen und ein kalter Wind schlug Avis, aus der Gasse hinter dem Restaurant, entgegen. Die Herrentoilette war leer.

Als Avis zum Tisch zurückkehrte standen an Frederics und seinem eigenen Platz je ein Glas. Ein Schaumkrone, dick wie Schlagsahne saß auf einem Bier, so schwarz wie die Frederics Schuppen und wartete nur auf Avis, während für Frederic eine große Cola bestellt worden war. Das Glas war Kalt, ungewöhnlich Kalt. Es schmerzte fast, als Avis seine schuppigen Finger darum schloss. Die Eiswürfel in Frederics Cola schmolzen langsam und verschwanden, doch der Drache kehrte nicht zurück. “Ist Frederic auf dem Klo eingeschlafen?” Florian schien der erste, neben Avis zu sein, dem die lange Abwesenheit aufgefallen war, oder wenigstens der erste, der es für ungewöhnlich hielt. “Keine Ahnung, vielleicht sollte jemand nachschauen gehen?” “Als ich vorhin war, war er nicht da.” “Vielleicht ist er nur kurz Luft frische Luft schnappen.” Der Rest schien sich mit der Antwort zufrieden zu geben, doch nach weiteren vielleicht 10, oder 15 Minuten stand Avis erneut auf und begab sich in Richtung der Toiletten. Jemand hatte die Tür nach draußen geschlossen, wodurch die Temperaturen in dem kurzen Gang wieder angenehme Temperaturen erreicht hatte. Avis griff nach der Klinke. Er drückte die Tür auf, wobei der starke Wind, der durch die Gasse dahinter pfiff, ihn daran hindern wollte. Er musste fast seine gesamte Kraft aufbringen, um zu verhindern, dass die Tür wieder zuschlug. Der Luftzug erfasste ihn, zauste sein Gefieder und suchte jeden verfügbaren Weg unter die mehreren Schichten Kleidung die er trug. Die Gasse hatte eine L-Form und verlief von der Rückseite des Gebäudes zum Platz vor der Bar. Ein niedriger Maschendraht Zaun grenzt die einen angrenzenden Hinterhof ab, auf dem eine Gruppe wilder Katzen eine umgefallen Mülltonne ausräumten. Avis lief um das Gebäude herum. Am Tisch neben den Wölfen saß eine Gruppe Schafe, deren flauschige Winterwolle sie scheinbar effektiv gegen die herrschenden Temperaturen schützte, und beäugte die Raubtiere am Nachbartisch misstrauisch. Den Hundeartigen schien die Situation sichtlich unangenehm, weshalb sie gerade dabei waren ihre Sachen zu packen. Auch auf dem gepflasterten Platz vor der Bar, gab es keine Spur von dem Schwarzen Drachen. Besorgt kehrte er in die Bar zurück. “Was hast du draußen gemacht?” Dass Avis nicht aus der Richtung kam, in die er vor wenigen Minuten verschwunden war, viel Bea sofort auf. “Nach Frederic gesucht…” “Ach, der taucht schon wieder auf. Irgendwann.” Das Verschwinden des Drachen schien niemandem ungewöhnlich aufgefallen zu sein und auch keine Besorgnis hervor zu rufen. Dennoch bekam Avis das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Doch dieses Gefühl hatte er meistens wenn es um Frederic ging. Er entschuldigte erneut und verließ die Bar wieder. In der ruhigen Seitengasse zog Avis sein Smartphone aus seiner Hosentasche. Keine neuen Nachrichten, oder verpassten Anrufe. Frederic war fast ganz oben in der Liste der zuletzt Angerufenen Kontakte. Ein einfaches Piepen wies ihn darauf hin, dass das angerufene Gerät klingelte. Ein, zwei, drei… acht, neun, zehn… “Der Teilnehmer ist zur Zeit nicht erreichbar. Versuchen sie es zu einem späteren Zeitpunkt erneut.” War das normal? Avis konnte es nicht sicher sagen, was sich noch seltsamer anfühlte. In den Monaten, seit dem wiedersehen mit Frederic hatten sie zwar einiges zusammen unternommen und Avis hatte sich eingebildet seinen alten Freund in dem Drachen zu sehen, nur mit neuen Eigenheiten, doch eigentlich musste er sich eingestehen, dass er ihn noch immer nicht wirklich kannte. Durfte er sich überhaupt Sorgen machen? Scheinbar war dieses Verhalten recht normal, das schloss Avis jedenfalls aus dem Verhalten der anderen, die diesen Frederic scheinbar sehr viel besser kannten.

Als Avis erneut an den Tisch zurückkehrte waren Bea und Florian verschwunden, nur Kathlyn saß noch alleine am Tisch. “Hey, die anderen sind gerade gegangen. Möchtest du noch bleiben?” Doch Avis hatte nicht wirklich lust und so machte die beiden sich auf den Weg zu Avis Auto. Der leichte Schneefall wandelte sich binnen weniger Minuten in einen ausgewachsenen Sturm. Die Drachin schien weniger Probleme mit dem scharfen Wind zu haben als Avis, der die Schwinge eines Arms vor sein Gesicht hielt, um die millionen Eiskristalle abzuhalten, die auf ihn einprasselten. Er spreizte die langen, blau schwarzen Federn, um durch die schmalen Spalten dazwischen wenigstens irgendetwas sehen zu können. Kathlyns weiße gestalt verschwamm fast vollständig mit der Umgebung und Avis musste sich knapp hinter ihr halten, um sie nicht im Sturm zu verlieren. “Könntest du etwas langsamer laufen?” Er schrie gegen der Wind, in der Hoffnung, sie zu erreichen und tatsächlich verlangsamte ihren Schritt und drehte sich nach dem Blauhäher um. Sie lächelte. Avis schaffte es sie einzuholen und in ihrem Windschatten konnte er sogar die schützenden Federn zurück ziehen. Der Körper der Drachin erzeugte eine geschützte Blase hinter ihr, in der Avis verschnaufen konnte. “Ich dachte Blauhäher sind keine Zugvögel.” “Sind wir auch nicht. So ein Schneesturm ist trotzdem Scheiße! Außerdem sind meine Familie Südvögel.” Das Parkhaus war nur wenige hundert Meter entfernt, dennoch brauchten sie fast zwanzig Minuten um die Strecke zurück zu legen, aber Angesichts der Schneeschicht, die sich auf der Straße gebildet hatte, stieg seine Sorge, dass sein Auto überhaupt in der Lage sein würde gegen die Naturgewalten anzukämpfen, die über die Stadt hereinbrachen. Sie erreichten das Parkhaus und stolperten in das, kalte, aber trockene, Treppenhaus. “Ich glaube echt nicht, dass mein Kiste sich durch den Sturm wühlen kann.” “Keine Sorge.” Sie hatte ihr Smartphone hervorgezogen und schien jemanden anzurufen. “Machts was wenn du dein Auto hier stehen lässt?” Der Parkautomat funktionierte seit Monaten nicht mehr und der Betreiber hatte es anscheinend nicht eilig das zu ändern. Stattdessen hatte er die Schranke an der Ausfahrt mit einem Drahtseil, dauerhaft in der geöffneten Position, fixiert. “Nicht wirklich.” “Super. Habe uns ein Taxi bestellt.” Avis kramte bereits nach seinem Geldbeutel, doch sie signalisierte ihm, ein breites Lächeln auf ihrem Gesicht, dass es nicht nötig war.

Einige Minuten herrschte eine unangenehme Stille. “Also…” begann sie zögerlich, als suche sie noch nach einem guten Thema das sie ansprechen konnte. “Wollen wir vielleicht irgendwann ins Kino gehen?” Die Frage kam für Avis absolut unerwartet und sein Vogelhirn brauchte einige Sekunden um die Worte zu verstehen und ihre Bedeutung zu verarbeiten. “Ähm…” es folgte eine längere Pause, in der er noch die richtigen Worte suchte. “... klar. Gerne.” War alles was er in der Situation hervorbrachte. “Super! Du suchst den Film aus und verrate ja nichts vorher!" Sie zwinkerte ihm zu. Ein Auto näherte sich. Die Scheinwerfer durchbrachen den Schneesturm und kamen vor dem Eingang des Parkhauses zum stehen. Avis kämpfte sich durch den Schnee, während Kathlyns langer Körper wirkte, als würde er durch das Treiben schwimmen. Er spürte wie sie seine Krallenhand griff und ihn führte. Vorsichtig tastend setzte er einen Fuß vor den anderen und stolperte dabei fast über den hohen Bordstein. Erst im warmen Inneren des Autos öffnete er seine Augen wieder. Warmes, weiches Licht füllte die geräumige Fahrgastzelle. Das Auto war zwar keine Stretchlimo, bot aber dennoch ungewöhnlich viel Raum. Die Klimaanlage blies angenehm warme Luft aus Schlitzen, die sich an unauffälligen, unaufdringlichen Stellen in uneinsehbaren Bereichen, der edlen Innenverkleidung versteckten. Avis ließ sich auf der dick gepolsterten Sitzbank nieder, die zuerst noch recht hart war, bevor dieses seine Festigkeit das Gewicht des Blauhäher anpasste. “Herold. Fährst du meinen Freund bitte zur Hochschule?” “Natürlich Miss Elliot.” Elliot… Avis fiel auf, dass dies das erste mal war, dass er ihren Nachnamen hörte. “Möchtest du auch etwas?” Sie hatte einen Abschnitt der Wand zwischen ihnen und der Fahrerkabine herunter geklappt, hinter dem eine Reihe Gläser und Flaschen zum Vorschein kamen. Ihre Finger tänzelten für kurze Zeit über die Hälse der Flaschen, bis sie sich um einen langen, dünnen schlossen. Der Hals verdickte sich bis zum Ende der Flasche kaum und beinhaltete eine rote Flüssigkeit die leicht zu glimmen schien. Das Leuchten erlosch auch nicht, nachdem Kathlyn, jeweils ungefähr eine Fingerbreite, in zwei Whisky Gläser eingeschenkt hatte. Vor den dunkel getönten Fenstern konnte man noch immer nur das Chaos des tobenden Schneesturms sehen. Kathlyn zog ihr Smartphone hervor. Leise Musik setzte ein. Avis entspannte, während die Wärme langsam durch sein Gefieder und seine Haut, bis zu seinen Knochen vor drang. Sie reichte ihm eines der Gläser und stoß mit ihrem eigenen sanft dagegen, wodurch ein hoher, aber dennoch nicht unangenehmer Ton erklang. Was auch immer es war, das Getränk rann Avis Kehle hinunter, wo es eine angenehme Wärme entfaltete. Der Geschmack war leicht süßlich und hatte eine Note von Haselnuss und Kakao. “Gut, nicht?” Sie selbst stürzte das Glas mit einer schnellen Bewegung herunter.

“Was machst du eigentlich?” Avis hatte sie noch nie an der Hochschule gesehen und er war sich sicher, dass sie ihm aufgefallen wäre. “Studieren. Meine Eltern finanzieren mir ein Studium an der IBU-Blaustein.” Blaustein war eine Weltbekannte Handelsstadt, weit im Westen. Sehr weit im Westen. “Das ist doch über 3000 Km entfernt.” Bekannt für ihren gewaltigen Hafen, noch um einiges größer als der ihrer Heimatstadt, lag Blaustein an der Westlichen Küste des Kontinents, in Kermin. “3562 km. Fernstudium. Meine Eltern wollten mich lange Überreden hin zu ziehen, doch bekommt mir das Klima dort nicht sonderlich, auch wenn die Sommer traumhaft sind. Außerdem gefällt es mir hier ganz gut und ich bin dennoch nicht an einen Ort gebunden. Und du? Warum wohnst du an der Hochschule und nicht Zuhause? Deine Eltern wohnen doch noch in der Stadt, oder?” Avis hielt etwas inne… es war etwas her, dass ihn jemand deshalb gefragt hatte und bisher hatte er immer eine vage Antwort gegeben. “Ich habe einen kleinen Bruder, Semnis. Nachdem er geschlüpft war und Mom und Dad sich um ihn kümmern mussten und immer mehr an mir hängen blieb… irgendwann wurde es mir zu viel und als ich dann an der Hochschule aufgenommen wurde, habe ich mich auf ein Zimmer im Wohnheim beworben.” “Deine Eltern hatten nichts dagegen, dass du an die FH ziehst. Es sind doch nicht mal acht Kilometer bis nach Hause?” “Ihr erster Sohn geht studieren? Sie waren stolz und überglücklich.” Etwas schuldig fühlte er sich dennoch, doch seine Eltern hatten ihn immer in seiner Entscheidung unterstützt und zahlten ihm sogar seine Miete und zusätzliches Taschengeld. “Klingt toll. Und dein kleiner Bruder?” “Semnis? Er freut sich jedes mal wenn sein großer Bruder Avis zu besuch kommt. Hast du Geschwister?” “Nein. Einzelkind. Die große Hoffnung der Familie Elliot.” Sie schenkte Avis nach, diesmal eine klare Flüssigkeit, aus einer kunstvoll gewundenen Flasche. Durch die getönten Scheiben konnte man das dichte Treiben der Schneeflocken beobachten, die die Stadt eindeckten. Dieses Mal hatte die Flüssigkeit in seinem Glas eine Rauchige Note, leicht bitter und sauer. Avis verzog das Gesicht und schüttelte sich unter, gut hörbaren Feder Rascheln, als sich plötzlich der vollständige Geschmack entfaltete. Kathlyn lachte und reichte ihm ein Glas Wasser. Avis kippte es in einem Zug herunter, während er spürte, wie sich sein Magen und seine Speiseröhre zusammen zogen.

Als sie die Hochschule erreichten hatte sich der Sturm gelegt. Avis fühlte sich seltsam leicht, noch leichter, als er ohnehin schon durch seine hohlen Knochen war, als er den Weg vom Eingangstor, zu den Wohnblöcken zurück legte, ein breites Grinsen auf dem Gesicht. Der Vollmond erhellte die Gebäude, Wege und Rasenflächen und erlaubte es auch, jenen, die nicht mit einer natürlichen Nachtsicht gesegnet waren, sich gut zurecht zu finden. Außerdem warfen Laternen kaltes LED Licht auf die wichtigsten Verbindungswege. Avis kürzte über eine der, auf Golfrasen Kürze, geschnittenen Wiesen ab, eine Aktion, sollte Hatashi, der Bieber Gärtner der Hochschule sie mitbekommen, zu ungewöhnlich unangenehmen Konsequenzen führen könnte. Doch Avis war mit seinen Gedanken noch immer auf der Rückbank der Limousine. Er stolperte und konnte sich gerade noch so fangen. Das worüber er gestolpert war, machte Lautstark seinem Unmut Luft, bevor es, sich in den Schatten einer gewaltigen Eiche flüchtete, die den großen Sturm überstanden hatte. In der Ferne schlug eine Turmuhr. Ein einziges Mal. Er erreichte die Eingangstür seines Wohnblocks und kurz darauf die Tür seines Zimmers. Der Schlüssel verkantete sich einige Male im, durch Generationen von Studenten vor ihm, abgenutzten Schloss, doch irgendwann glitt er vollends hinein und nach einer Achtel Drehung öffnete sich die Tür einige Millimeter. Avis machte einige Schritte in das Zimmer und drückte die Tür hinter sich zu. Er machte sich nicht die Mühe, das Licht anzuschalten, auch weil es nur einen einzigen Lichtschalter, direkt neben der Tür, gab. Das Bett knarrte wie gewohnt, als Avis sich darauf fallen ließ, eine Erinnerung daran, dass er doch nicht so Federleicht war, wie er sich gerade fühlte. Ein leises grummeln vom anderen Ende des Zimmers informierte Avis, dass Tim anscheinend auch da war. Pling. “‘Global Cat-taspropy’ habe ich schon gesehen. War ziemlicher Trash, aber nicht die gute Art. Außerdem wirklich Speziesistisch. – Kathlyn” Avis öffnete den Browser und öffnete die Seite des größten Kinos der Stadt. Das erste was ihm, Bildschirmfüllend, entgegen sprang war ein schwarz weiß getigerte Katze, die an einem Seil, von einem brennenden Helikopter hing. “Global Cat-tastrophy - The cat-mint conspiracy”. Er scrollte durch die Liste der bunten Filmplakate, doch konnte keines seinen Blick wirklich fangen.

CHAPTER 11 - Kapitel 11

Etwas vibrierte in seiner Hand. Avis schreckte auf. “The stars shines through the windows…” “Geht dir der Weckton nicht irgendwann auf die Nerven?” Tim war scheinbar schon wach. Avis tastete nach seinem Handy, konnte es jedoch nicht auf seinem Nachttisch finden. Es dauerte einige Sekunde, bevor er bemerkte, dass er es noch immer in der Hand hielt. Avis wischte den Wecker weg. Nach seiner morgendlichen Routine endete Avis im Speisesaal der Mensa zwischen den üblichen. "Ich könnte vielleicht eure Hilfe brauchen…" Marcus lehnte sich interessiert über den Tisch. "Worum gehts? Wen wollen wir verklagen?" "Kathlyn möchte mit mir ins Kino gehen…" "Moment mal!" Marcus unterbrach ihn. "Unser Avis hat ein Date? Glückwunsch!" Er griff die Hand des Blauhäher und schüttelte sie, als wäre er der Bürgermeister und würde Avis gleich eine Verdienstmedaille überreichen. "Und wobei brauchst du Hilfe? Soll ich dir eine Reservierung irgendwo organisieren, Golden Thorn kann ich nicht direkt nochmal bringen, aber vielleicht könnte ich einen Tisch im 100 Feathers bekommen." Das exklusive Restaurant befand sich auf dem Dach des Raben Turms, des höchsten Gebäudes der Stadt. Der Koch Lorenzo Kavell Crocco war weltbekannt und einer von gerade mal einer Klaue voll Trägern von 3 Goldenen Federn. Doch war Avis sich sicher, dass dort allein die Vorspeise mehr kostet, als er monatlich an Taschengeld bekam. "Sie möchte ins Kino. Aber ich habe keine Ahnung in welchen Film wir gehen sollen." “Weißt du was für Filme sie mag?” Tims Frage schien offensichtlich. “Keine Ahnung.” “Vielleicht fragst du ihren Ex.” Die Idee war so simpel, dass Avis sich wunderte nicht selbst daran gedacht zu haben, doch gleichzeitig sträubte sich etwas in ihm dagegen. Er wusste nicht warum die beiden sich getrennt hatten und Frederics seltsames Verhalten bei ihrem letzten Treffen und sein plötzliches Verschwinden machte ihm noch immer sorgen. “Das klingt nach einer verdammt schlechten Idee!” Das Kommentar kam von Tamara die gerade dabei war, eine Schüssel Obstsalat zu verputzen, während sie in einem dicken Buch blätterte. Avis erhaschte einen Blick auf den Rücken des Buchs. “Lost on a dark path” von Shiva Larami, das Buch war zwar kein Bestseller, doch hatte die Luchsin bei Fantasy Fans einiges an Berühmtheit erlangt, auch wenn es einigen Gegenwind, aufgrund der ‘offensichtlich an historische Verhältnisse angelehnten, jedoch stark verzerrten und inakkuraten Welt Darstellung’, gab. Avis hatte schon davon gehört, doch waren Romane mit Historischem Setting nicht wirklich sein bevorzugtes Genre, eher SciFi, oder wenn Fantasy, dann aber in einem modernen Setting. “Aber mindestens einen Versuch wert.” Es konnte ja nicht schaden. Avis schrieb eine kurze Nachricht an Frederic, bevor er sich auf sein Frühstück, bestehend aus einer Schüssel gemischten Müsli, konzentrierte. “Hey. Alles in Ordnung? Bist ja gestern plötzlich verschwunden. Können wir uns bald wieder treffen, hätte da etwas wo ich dich fragen möchte. - Avis” Die Nachricht kam zwar an, doch schien Frederic sie nicht zu bemerken.

"Hey!" Die kleine Gruppe blieb stehen. Eine Gestalt schlängelte sich seinen Weg durch die anderen Studenten Grüppchen, die auf den Wegen verteilt standen, das Geweih hoch erhoben. Marcus wirbelte herum und fletschte die perfekt gepflegten und sehr spitz wirkenden Zähne. Ein tiefes Knurren entwich seiner Kehle. "Menic!" Terrence schreckte auf. Kaum jemand nannte den Salamander beim Nachname. Ein Gruppe Erstsemester zwischen ihnen wich erschrocken zurück. “Hau ab Schwuchtel! Das geht nur deinen kleinen Freund und mich was an!” “Du lässt die Finger von ihm Julius!” Die kleine Gruppe hatte sich, unbewusst, formiert und bildete jetzt einen Keil, in dessen Mitte der Salamander wenigstens etwas geschützt stand, wobei Marcus und Tim die Spitze bildeten. Der Fuchs und der Tiger waren auf Augenhöhe mit dem Hirsch, nur waren Tims Schultern fast doppelt so breit wie die des Paarhufers, der angesichts der beiden Raubtiere, die sich vor ihm aufgebaut hatte, einen Schritt zurück machte. Avis hatte sich Rechts hinter Tim positioniert und lugte an ihm vorbei. Die kleine Gruppe musste einen seltsamen Anblick bieten. "Hier möchte doch niemand irgendetwas unüberlegtes tun, oder?" “Das werden wir noch sehen.” Zischte Marcus. “Ich wollte ihn nur darüber informieren, dass meine Familie sich entschieden hat, Rechtliche Schritte zu ergreifen. Ein unprovozierter, tätlicher Angriff gegen einen Top Studenten, der darüber hinaus noch ein Sohn der Schweiger Familie ist. Aber eine öffentliche Entschuldigung könnte es vielleicht noch abwenden. Natürlich inklusive aller Konsequenzen, die ein solches Zugeständnis hätte.” "Nie und nimmer!" knurrte Marcus. "Dann sehen wir mal, was die Verwaltung zu diesem Fall sagt." "Das werden wir sehen!" Der Mantel des Hirsches wallte auf, als er eine 180 Grad Drehung machte und sich schnellen Schrittes entfernte. "Das ist nicht gut." Murmelte Terrence und Avis sah den Salamander die Schultern hängen lassen, den Blick auf den Boden fixiert. "Wir stehen das durch. Zusammen." Marcus hatte seine Arme um seinen Partner gewickelt und ihn in eine feste Umarmung gezogen und presste einen Kuss auf die ledrige Oberseite des Kopfes, des Salamanders. Terrence versuchte, seinen Freund weg zu drücken, als wäre es ihm peinlich, doch Avis konnte ein leichtes Grinsen auf seinem Gesicht sehen. Terrence und Avis Blicke trafen sich und der Salamander zwinkerte dem Blauhäher zu.

Auch nach dem Mittagessen fehlte der kleine Haken, der symbolisierte, dass Frederic Avis Nachricht gelesen hatte. "Ich muss noch was wichtiges erledigen." Verkündete Marcus und bog in Richtung der Bibliothek ab, in deren Räumlichkeiten auch die Studentenvertretung der Hochschule untergebracht war. Terrence verabschiedete sich mit einem Winken vom Rest der Gruppe, bevor er seinem Freund folgte. "Glaubt ihr, dass das was ernstes wird?" fragte Tim in die verbleibende Gruppe. "Die Schweigers gehören zu den alten Familien der Stadt, genau wie die Blakes und haben genau wie diese eine Menge Einfluss." Avis war besorgt. Er kannte die Schweigers zwar nur aus den Nachrichten, mit den Blakes hatte er jedoch etwas Erfahrung gemacht und diese waren wenig positiv gewesen. Die wenige Male, die er in der Blake Mansion gewesen war, war er wenig herzlich empfangen worden. "Wir sollten uns beeilen!" Die verbliebenen beschleunigten ihren Schritt in Richtung des Gebäudes, der BWL Fakultät. Tim hatte sich von der Gruppe abgespalten, er hatte einen Block "Wellen Theorie", ein Thema, dessen Name allein eine Abneigung in Avis auslöste. Der verbliebene Rest strebe zu einem Doppelblock Außenhandel bei Professor Sharp, eine Veranstaltung, die bei keinem wirklich positive Gefühle auslöste. Frederics Antwort kam ungefähr in der Mitte der Vorlesung. “Sorry wegen letztem mal. Musste schnell auf der Arbeit helfen. Können uns gerne Treffen. Heute Nachmittag? 17:00?” “Klar” “Super. Kannst du mich dann abholen?” Er schickte Avis einen Standort. Es war mal wieder im Westpark, nahe der Stelle, an der er damals Kollins zum ersten mal getroffen hatte. Sharps Laune schien sich heute an einem Tiefpunkt zu befinden. Seine Federn standen gereizt ab und raschelten bei jedem Schritt noch bedeutend stärker als sonst. Die schwarzen Lackschuhe knallten auf dem polierten Holzboden. “... und deshalb müssen Waren der Kategorie 6 bis 23A, für den Export nach Parlin, als Sonder Ware gemäß der Verordnung 433/2 des Handel- Harmonisierungs-Abkommens…" Terrence und Marcus tuschelten neben Avis, doch waren sie so leise, dass der Blauhäher, trotz seiner direkten Nähe zu ihnen, nur hin und wieder einzelne Satzfetzen verstehen konnte. “Du musst das nicht machen…” “... ist aber das Richtige…” “... das Risiko ist zu groß…” “...das Risiko ist es absolut Wert.” Es gab einen lauten Knall. Sharp war zu seinem Pult stolziert, hatte sich ein dickes Buch gegriffen und dieses auf den Tisch geschlagen. “Terrence Melnic, Marcus Lloyd, könnten sie bitte davon absehen, ihre Sitznachbarn, durch ihr, sicherlich sehr wichtiges Gespräch, abzulenken.” Sie saßen in der 6. Reihe des Lesesaals, in dem problemlos 300 Studenten Platz hatten. Und die beiden waren wirklich leise gewesen, doch hatte er sie dennoch bemerkt. “Wenn nötig können sie die Vorlesung verlassen, seien sie dann aber nicht verwundert, dass sie relevante Inhalte verpassen. Ansonsten schlage ich ihnen vor, ihre Konversation zu einem späteren Zeitpunkt fortzusetzen.”

Der Rotfuchs musste den Kopf einziehen, um auf die Rückbank des kleinen Autos zu passen. "... danke, dass du uns mit nimmst." Terrence hatte seinen Arm um seinen Freund gelegt. Avis konnte das breite Grinsen auf Terrence Gesicht sehen. Er war nach Ende der Vorlesung zu Avis gekommen, Marcus im Schlepptau und hatte ihn gebeten, die beiden in die Stadt zu fahren. Da Marcus selbst ein Auto besaß, das darüber hinaus in einem wesentlich besseren Zustand war, wie Avis eigenes, hatte es den Blauhäher erst verwundert, doch er wollte ohnehin zum Treffen mit Frederic und konnte die beiden Unterwegs absetzten. Marcus hatte ihm ein Adresse gegeben. Sie befand sich im Stadtzentrum, in der großen Fußgängerzone, doch gab es in der Nähe eine Stelle, an der Avis die beiden gut rauslassen konnte. “Und? Was hast du noch vor?” Avis konzentrierte sich auf die Straße, wusste aber genau, dass der Fuchs hinter ihm sein übliches, neugierig, freches Grinsen aufgesetzt hatte. “Ich treff mich noch mit Frederic.” “Oh, richte ihm Grüße aus. Und sag ihm, sollte er mal wieder in Schwierigkeiten stecken, kann er sich gerne an mich wenden. Freunden und Freunden von Freunden gebe ich sogar Rabatte.” Natürlich tat Marcus das. Könnte er, würde er wahrscheinlich eine Kanzlei in ihrem Wohnheimzimmer eröffnen. Wenige Minuten später erreichten sie ihr Ziel. Er ließ die beiden in der Bucht einer Bushaltestelle raus. Marcus stieg zuerst aus und hielt Terrence dann die Tür offen. Er reichte ihm sogar die Hand, doch der Salamander schob sie zur Seite. “Du musst mich nicht wie eine Dame behandeln.” “Gestern Abend mochtest du es aber.” Es war bei Kaltblütern für gewöhnlich nicht so deutlich, doch konnte Avis im Rückspiegel sehen, wie die dunkle Haut des Salamanders einen leichten rosa Ton annahm. Er winkte den beiden noch zu, bevor er sich auf den Weg zum Treffen mit Frederic machte. Über den Stadtring gelangte er erneut in den Westpark. Sein heutiges Ziel war drei Block von dem Ort entfernt, an dem er Kollins das erste mal getroffen hatte. Die Straße machte einen noch desolateren Zustand als die Orte, an denen er Frederic die letzten Male in der Gegend getroffen hatte. Lange Risse und tiefe Schlaglöcher durchzogen den Asphalt. Der Wegpunkt lag am Ende der Straße. Avis reduzierte die Geschwindigkeit fast auf Schritttempo, aus Angst, eine größere Vertiefung könnte schwerere Schäden an seinem, etwas klapprigen, aber noch immer zuverlässigen Auto hinterlassen. Das Haus, vor dem er hielt, passte zum Rest der Straße. Viele der Fenster waren mit Brettern vernagelt worden. Der Verputz der Fassade hatte viele Löcher, an einigen Stellen fehlten größere Stücke und man konnte den nackten Beton darunter sehen. Bunte Graffitis zierten die verfallene Fassade. Weit und breit war niemand zu sehen. Er war sich nicht sicher, was er tun sollte. Auszusteigen und damit die gefühlte Sicherheit des Auto Innenraums zu verlassen schien ihm wie eine weniger gute Idee. Andererseits konnte er weit und breit niemanden sehen. Die Straße war leergefegt und in keinem der umgebenden Häuser regte sich etwas… abgesehen von einem Bussard, der sich auf den Giebel des Hauses niedergelassen hatte, das an das Grundstück Grenzte, vor dem Avis wartete. Das Tier neigte den Kopf und schien etwas zu fixieren. Avis beobachtete wie der Vogel plötzlich einen Satz machte und im Sturzflug im circa kniehohen Gras verschwand, das Teile des Grundstücks bedeckten. Wenige Sekunden später tauchte er wieder auf. Eine große, zappelnde Ratte in seinen Klauen. Avis zuckte zusammen. Jemand klopfte ans Beifahrerfenster.

Avis zuckte zusammen. Außerhalb des Autos stand ein Wildhund, gut zu erkennen am fleckingen braun, schwarz und weißem, den großen runden Ohren und der schwarzen Schnauze. Eine Reihe kleiner, goldener Ringchen zierte sein linkes Ohr. Avis hatte in der Grundschule einen Klassenkameraden gehabt, Sebastian, der ebenfalls ein Wildhund war. Ein Halbstarker, der es geliebt hatte, sich zusammen mit Frederic über ihn lustig zu machen… wenigstens bis zu jenem schicksalhaften Tag. Er öffnete das Fenster einen schmalen Spalt. “Hey, kann ich dir irgendwie weiter helfen?” fragte Avis unsicher. “Suchst du jemanden? Hierher verirren sich nur selten Leute.” Die Stimme des Wildhundes war zurückhaltend. “Drache, ca.1,95 m, Schwarze Schuppen, Blaue Augen, Lange Schnauze.” “Du meinst Frederic.” Natürlich kannte er Frederic. “Warte… Avis?” Es war also kein Zufall, dass der Wildhund ihn an Sebastian erinnerte. “Ja. Sebastian?” Fragte Avis unsicher. “Genau! Wie geht's mann?” Avis hörte das klicken des Griffs der Seitentür. Sebastian hatte versucht die Tür zu öffnen, doch war sie verriegelt. Er schaute Avis erwartungsvoll an, der zögerte kurz, bevor er sich über den Beifahrersitz lehnte und am Türgriff zog. Sebastian grinste ihn an und entblößte dabei seine Reißzähne, während er die Tür öffnete und sich auf den Beifahrersitz fallen ließ. “Haben uns ja ewig nicht gesehen.” “Seit dem Ende der Grundschule nicht.” “Hey, ich möchte mich für mein früheres ich entschuldigen. Ich war damals ein unglaubliches Arschloch.” Er reichte dem Blauhäher die Hand zu Handschlag. Das hatte Avis nicht erwartet. Zögerlich ergriff Avis sie. “Ich bin darüber hinweg.” “Was machst du eigentlich hier?” “Frederic hat gesagt, wir treffen uns hier.” Natürlich hat er das.

Sebastians Leben hatte wie Frederics, später einen Recht holprigen Weg genommen. Der Wildhund war ein Einzelkind, sein Vater hatte seine Mutter kurz vor seiner Geburt verlassen. Nach der Grundschule, in der er in der selben Klasse mit Avis gewesen war, war er auf eine Hauptschule gegangen und hat diese sogar mit einem guten Abschluss beendet. Er hatte eine Ausbildung als Fotograf begonnen, doch nach Abschluss keinen Job gefunden. Wenig Leute hatten Interesse, einen Wildhund als Hochzeitsfotograf zu buchen, dabei konnte Avis sich Sebastian sehr gut im Anzug vorstellen. "Und was machst du dann jetzt?" "Was sich so ergibt. Viele kleine Aufträge. Mal hier ein paar Bilder für die Website einer Firma, etwas Produktfotografie. Hatte überlegt eine Drohne für Luftaufnahmen zu kaufen. Ist zwar ziemlich Teuer, gibt aber zur Zeit eine große Nachfrage. Die AD2274 hat mit der letzten Revision eine Universal Halterung mit drei Achsen Gimbal…" Er stockte. "... aber das geht jetzt vielleicht etwas zu sehr ins Detail. Was geht bei dir so? Was hast Du die Jahre so gemacht?" Avis wusste erst gar nicht, wo er anfangen sollte, nach kurzem überlegen entschied er sich mit dem Ende. “Gerade Studiere ich BWL, 3. Semester.” “Cool! Hatte immer schon geglaubt dass du das Zeug dazu hattest.” Avis war überrascht vom Enthusiasmus des Caniden. “War vielleicht damals auch etwas neidisch…” “Neidisch? Auf mich?” “Na klar. Du warst damals der Liebling der Lehrer. Mathe, Sprache, bei allem warst du Klassenbester!” “Bis auf Handwerken und Schneider hat mich nicht gemocht, da ich in seinem Unterricht immer gelesen habe.” Schneider, ein Pinguin, war ihr Sachkunde Lehrer gewesen und hatte Avis regelmäßig Strafarbeiten aufgedrückt, wenn dieser im Unterricht gelesen hatte, konterte Avis, doch merkte er selbst, dass an Sebastians Aussage einiges dran war. Die hintere Tür wurde aufgerissen. Ein kalte Wind fegte durch den Innenraum, bevor Ferderic sein langes Maul herein steckte. “Hey, tschuldigung für die Verspätung… Ah, du bist auch schon da. Dann können wir ja los.” Er quetschte sich auf die Rückbank und zog die Tür zu, darauf bedacht, nicht seinen eigenen Schwanz einzuklemmen, dessen Großteil er im Fußraum untergebracht hatte. “Hi, wohin soll's gehen?” Frederic nannte Avis eine Adresse. Eine Adresse, die Avis bekannt vorkam.

Der schneeweiße Kies, der den Weg zur edlen dunkle Holztür ziert, war makellos. Kein Blatt, kein verirrter Halm, des angrenzenden Golfplatz Rasens. Kathlyns Vater öffnete die Tür. Als erstes erfasste er Avis und ein leichtes Lächeln machte sich auf dem Gesicht des Drachen breit, das jedoch Augenblicklich wieder erlosch, als er Frederic bemerkte. "Ich sag Kathlyn bescheid." Er holte tief Luft. Avis musste sich die Ohrlöcher zuhalten und dennoch konnte er die tiefe Stimme des Drachen, in seinem ganzen Körper schwingen spüren. Die Drachin tauchte kurze Zeit später hinter ihrem Vater auf. Kathlyn trug ein silbern schimmerndes Kleid, das um ihren langen Körper floss, wodurch es wirkte, als bestünde es aus flüssigem Quecksilber. “Hallo Jungs!” Sie schlängelte an ihrem Vater vorbei um ihre Gäste in Empfang zu nehmen. Dieser starrte inzwischen wieder misstrauisch in Frederics Richtung. Doch Kathlyn winkte die drei hinein. Ihr Vater wich etwas zögerlich zurück, um im Flur platz zu machen und verschwand nach etwas zögern durch die Tür am Ende des Flurs, von der Avis wusste, dass sie in das weitläufige Wohnzimmer führte. Kathlyn führte die kleine Gruppe die Treppen hinauf in eines der mittleren Stockwerke, das Avis bei seinem ersten Besuch nicht gesehen hatte. In einem Kamin, der eher wie ein modernes, abstraktes Kunstwerk aussah, flackerte ein Feuer. Avis zog seine Schuhe aus, bevor er in den Raum trat. Seine Klauen versanken im hohen Teppich, der das gleiche, reine Weiß hatte, wie das Fell von Kathlyn und ihren Eltern. Die Drachin stolzierte elegant durch den Raum, ihr Schwanz, der hinter ihr über den Boden glitt, verschwom mit dem flauschigen Untergrund, wie eine wilde Schlange im hohen Gras und auch wenn ihre Füße den Boden berührten war es schwierig den Übergang zwischen ihren Beinen und dem Boden zu erkennen. Es war bereits eine Gruppe weiterer Personen anwesend, verteilt auf die verschiedenen Sitzgelegenheiten, die im Raum verteilt standen. Ein schwarzer Kater hatte sich auf einem geschwungenen Sofa ausgestreckt, das verbliebene drehte sich den Neuankömmlingen zu, doch machte der Rest von Florian keine Anstalten, sich zu bewegen. Zu seinen Füßen saß eine Rot getigerte zweite Katze, die sich mit einer Schwanin unterhielt. Ein Delfin im bunten Hawaii Hemd und Shorts war in eine Unterhaltung mit einem Löwen mit stark zurückgeschnittener Mähne vertieft. “Florian kennt ihr ja schon. Der Rest sind Lily, Klarissa, Linda und Sven.” Machte sie die kleine Gruppe den Neuankömmlingen bekannt, bevor sie Avis, Frederic und Sebastian ebenfalls vorstellte. 

Avis ließ sich auf einem freies Couch-Teil fallen, das schräg zu den bereits belegten stand. Frederic wollte sich neben ihn setzen, doch schlängelte sich Kathlyn an ihm vorbei und ließ sich auf den freien Platz fallen. Dabei nahm ihr Körper den verbliebenen Rest des Platzes ein. Frederic zögerte kurz, bevor die Löwin Linda ihm einen Platz neben ihr anbot. Ein angenehmes Gespräch entwickelte sich. Linda und Klarissa, die Schwanin hatten diesen Monat ihr zweijähriges Jubiläum und Klarissa ließ durchblicken, dass sie etwas geplant hatte, was dazu führte, dass die Katze im laufe des Abends versuchte, teils subtil, teils weniger subtil Informationen aus ihrer Freundin heraus zu kitzeln. “Ich würde Pizza bestellen?” Kathlyn unterbrach mit dieser einfachen Frage die Gespräche der kleinen Grüppchen, die sich gebildet hatten. Augenblicklich herrschte Stille. Dann brach eine Diskussion darüber aus, wo bestellt wird, ob einzelne, oder Party Pizzen, und welche Sorten. Am Ende fiel die Entscheidung auf drei Party Pizzen. Eine Tunfisch für Florian, Lily und Sven, eine Pizza Uccello für Klarissa und Avis und eine Pizza Salami für Frederic, Kathlyn und Linda. Der Vorschlag für die Pizzeria kam von Frederic. Avis hatte den Namen des Restaurants noch nie gehört. Keiner von ihnen hatte davon gehört. Die Pizzen, die eine knappe dreiviertel Stunde später geliefert wurden, sahen jedoch gut aus. Dünner Boden, knuspriger Rand, viel Belag und viel Käse.

Später wurde sich darauf geeinigt einen Film zu schauen, wozu der Laserbeamer an der Decke über ihnen, eine Gerät größer als Avis und wahrscheinlich schwerer und teurer als sein Auto, sowie die 7.2 Dolphin Atmos Surround Anlage einlud, die Wände, Boden, und die großzügigen Fensterfronten des Raums zum wackeln brachten. Glücklicherweise hatte Avis Ohrenstöpsel dabei gehabt, die genug Lautstärke filterten, dass sein empfindliches Gehör geschützt war, er jedoch noch genug hörte, um die Dialoge im Film zu verstehen. Die Anwesenden verteilten sich auf die verschiedenen Sitz- und Liegemöglichkeiten des Raums. Avis ließ sich auf einem gewaltigen Sitzsack nieder, der wahrscheinlich sein halbes Zimmer füllen würde. Der Vogel versank kaum darin. Der lange Körper der Drachin jedoch umso mehr, als sie sich um Avis herum ausbreite. Ihr Oberkörper kam zu Avis rechten zum Stillstand. “Also? "Worauf wurde sich jetzt geeinigt?” Die Entscheidung fiel nach einer längeren Diskussion auf den, gerade erst erschienenen Wallarbie, der trotz anfänglicher Skepsis, erstaunlich gute Kritiken erhalten hatte. Vor allem die Entscheidung die Rolle der Namensgebenden Hauptperson an Luise Safi zu vergeben, ein Felskänguru, die zwar bereits viele renommierte Preise gewonnen hatte, jedoch nicht zur Namensgebenden Gattung der Wallabys gehörte, stoß bei einigen sauer auf. Dem Erfolg des Films schien es jedoch nicht geschadet zu haben. “Wir wollten doch noch ins Kino gehen!” fiel Kathlyn ein. “Wie wäre es mit Mittwoch Abend.” Avis zögerte kurz… aber er hatte eigentlich noch nichts vor. “Und wie ausgemacht suchst du den Film aus.” erinnerte die Drachin ihn. “Ich erwarte, dass du mich überraschst!”

Es war weit nach Mitternacht, als Avis den Parkplatz des Wohnheims erreichte. Der Film war gut, etwas zu lang in der Mitte, aber dennoch sehenswert. Es war eine dunkle, sternenlose Nacht. Zu seiner Verwunderung und zu seinem Ärgernis stand auf seinem Parkplatz bereits ein Auto. Ein Wolfswagen, den Avis noch nie hier gesehen hat. Zum Glück fand er noch einen freien, nicht zugewiesenen Parkplatz. Sollte das andere Auto morgen noch da stehen, würde er sich bei der Verwaltung beschweren. Immerhin bezahlte er für den Parkplatz. Sein Zimmer war leer. Tim war nicht da. Avis wechselte schnell in seine Schlafkleidung, bevor er sich auf das Bett fallen ließ. Es machte sich nicht die Mühe den Rolladen zu schließen. Er zog seine Decke hoch und die Dunkelheit des Zimmers verschlang ihn.

Am nächsten Tag lag eine dicke Schneeschicht über der Stadt und dem Gelände der Hochschule. Die Winterferien standen kurz bevor und die Motivation, sowohl bei Studenten, als auch Professoren, begann merklich nachzulassen. Tim schien weniger Probleme mit dem Wetter zu haben. Als Avis sich aus dem Bett quälte, kehrte der Tiger gerade von einer morgendlichen Joggingrunde zurück. “Morgen! Wie liefs gestern?” “Der Film war nicht schlecht. Kann die guten Kritiken nachvollziehen.” “Und mit Kathlyn?” Die Frage überraschte Avis. “Wir haben nicht viel direkt geredet, es waren ja noch einige andere da, aber beim Film hat sie sich… um mich herum gesetzt.” Avis wusste nicht wie er es besser ausdrücken konnte. “Aha! Und? Schon einen Film für heute Abend ausgesucht?” Vedammt! Seine Verabredung mit Kathlyn war heute Abend und er hatte noch immer keine Entscheidung getroffen und vergessen Frederic zu fragen. Außerdem sollte er die Tickets vorbestellen, also blieben nur wenige Stunden. Er tippte eine schnelle Nachricht. “Kathlyn möchte heute Abend mit mir ins Kino gehen. Und ich soll den Film raus suchen. Was mag sie denn? -  Avis” Die Antwort kam in der Mittagspause, nach einem, ungewöhnlich forderndem Block Rechnungswesen. “Du gehst tatsächlich mit meiner Ex ins Kino? Viel Glück. Ich bin aus ihrem Film Geschmack nie schlau geworden. Die letzten beiden Filme in denen wir waren war. James Pond - Der See ist nicht genug, den fand sie ganz gut und Rochen Rochen, der war richtig schlecht (fanden wir beide). Also viel Glück! - Frederic” - “Danke”

Er musste eine Entscheidung Treffen. Professor Klein lief auf und ab und ratterte sein Skript herunter. Mit minimalen Unterbrechungen, um die Seiten des Ordners umzublättern, die er in den Pfoten hielt. Es war erstaunlich, dass er überhaupt noch Ablesen musste, immerhin hielt er, wenn man den älteren Semestern glauben konnte, seit mindestens fünf Jahren das Identische Skript. Ignoriert man kleinere Anpassungen, um veraltete Informationen zu korrigieren, wahrscheinlich sogar eher acht. Doch Avis Aufmerksamkeit lag auf seinem Smartphone. Die Website des Kinos geöffnet, scrollte er über die Liste der aktuell laufenden Filme. “Global Cat-tastrophy - The cat-mint conspiracy” hatte seinen Platz auf der Startseite an den neuen Luc Bussard Film ‘The Ladybug’, abgetreten. Die aufkommenden Erinnerungen daran, wie seine letzte Beziehung mit einem Adler namens Alexander, sie waren beide in der 12. Klasse gewesen, im Foyer eben jenes Kinos geendet hatte, nachdem Avis ganze 48 Minuten zu spät zu ihrer Verabredung erschienen war, ließ ihn kurz zweifeln, ob das lokale Kino tatsächlich der beste Ort für ein erstes, vielleicht Date war. Damals war Avis sogar, vollkommen zweifellos, verantwortlich gewesen. Schlussendlich entschied er sich für zwei Plätze in der 9. Reihe, in “Legends and Lore: Honorful Mischiefs”. Die Sitze in dieser Reihe waren für Spezies, die mehr Platz brauchten. Dies traf zwar nicht auf Avis, jedoch um so mehr auf die über zwei Meter lange Drachin zu. Avis buchte zwei Plätze, auch wenn der Platz für Avis völlig überdimensioniert war. Er knirschte mit dem Schnabel, angesichts des Preises, der für die zwei Sitze aufgerufen wurde, doch fand seine Klaue den Pfad zur “Bezahlen” Schaltfläche. 45 Pado, ohne Getränke, oder Snacks.

Avis Auto, war zwar ein Auto wie jedes andere, doch wirkte es in der Gegend wie ein Fremdkörper. Zwischen den perfekt geometrischen Hecken, weißen Mauern, die nicht den kleinsten Fleck aufwiesen und Meter Hohen Zäunen der aus Blitzblank poliertem Edelstahl. Obwohl am Nachmittag Schnee gefallen war, waren Straße und Gehweg frei. Avis trug ein schwarzes Hemd unter seiner schwarzen Jacke. Die Federn auf seinem Kopf, vor allem der lange Büschel, der sich von seinem Hinterkopf fortsetzte, war gründlich gekämmt. Nervös tippte er mit seinen Klauen auf dem Kunststoff des Lenkrads herum. Er hatte in Vorbereitung auf seine heutige Begleitung den Beifahrersitz umgebaut. Im Unteren Bereich der Rückenlehne hatte er ein Stück herausgenommen und im Kofferraum verstaut. Er warf einen Blick auf sein Handy, das in der Mittelkonsole lag. 19:10. Sie waren für halb acht verabredet. Die Gesetze der Zeit schienen im Inneren des Autos nicht zu gelten und die wenigen Minuten sich zu Stunden zu dehnen. 19:20. Avis warf einen letzten Blick in den Rückspiegel. Ein Blauhäher mit einem gelben und einem roten Auge und einer deutlichen Narbe starrte zurück. 19:25 er Griff nach der Türklinke. Sein Herz pochte spürbar in seiner Brust. Klick. Die kalte Luft schlug ihm entgegen als er die Fahrertür öffnete. Er spürte wie sein Gefieder sich aufplusterte, wodurch seine Federn jetzt am glatten Stoff kratzte. Ein kurzer Blick in den Rückspiegel bestätigt seine Befürchtung. Die Federn auf seinem Kopf hatten sich ebenfalls aufgestellt, was ihn zwar einige Zentimeter größer erscheinen ließ, doch waren die fünfzehn Minuten, mit dem Federkamm vor dem Spiel größtenteils sinnlos gewesen. Sein Handy piepste kurz. 19:30. Er legte die Strecke bis zur Tür der Villa in weniger als einer Minute zurück. Ding Dong. Nachdem er die Klingel betätigt hatte dauerte es nur wenige Sekunden, bevor jemand die Tür öffnete. 

Der Drache reichte bis fast unter den Türsturz, der Rest seines Körpers verschwand im Flur hinter ihm. Sein Aufgestellter Oberkörper überragte Avis um mehr als einen Kopf. Avis legte seinen Kopf in den Nacken und schaute zu Kathlyn’s Vater auf. “Guten Abend Herr Elliot.” Die blauen Augen des Drachen musterten ihn für ein paar Momenten. “Guten Abend Avis.” “Pünktlich auf die Minute!” kam es von weiter hinten im Flur. Avis streckte dem Drachen, der noch immer seine Sicht versperrte, zögerlich die Klaue entgegen. Kathlyn’s Vater griff und schüttelte sie, ohne dabei den Augenkontakt auch nur eine Sekunde zu unterbrechen. Irgendetwas tief in Avis regte sich, das Gefühl ein Raubtier hätte ihn im Blick und wartete nur auf den richtigen Moment, um sich auf ihn zu stürzen. “Kannst du mich vorbeilassen Dad?” kam es von Kathlyn. Weitere Sekunden vergingen, bevor der Drache Avis Hand losließ und sich tiefer ins Haus zurückzog. “Viel Spaß euch beiden!” Kam es aus Richtung des Wohnzimmers, der Stimme nach, war es Kathlyn’s Mutter. Kathlyn trug ein langes weißes Kleid, mit blauen und goldenen Streifen, passend zur Farbe ihrer Augen und Hörner. Der glatte Stoff floss über ihren langen Körper und erweckte dadurch die Illusion von blauen und goldenen Bächen, die sich durch ein silbernes Gebirge schlängelten. Avis war sprachlos, doch Kathlyn zwinkerte ihm zu. “Los geht’s. Sonst verpassen wir noch den Anfang!”

19:57. Sie hatten noch etwas mehr als 20 Minuten. Kathlyn saß auf dem Beifahrersitz… und auf der Rückbank. Im Radio lief Avis Lieblingsband Avian Aviators mit “Find you in the Clouds”. “When the days are cold and dark, and the snow covers our world. I will keep on searching, find you in the clouds.” Avis tippte nervös auf dem Lenkrad herum, während er nach einem Parkplatz Ausschau hielt. “Da vorne!” Avis schreckte auf. Kathlyn hatte eine Lücke erspäht, schmal, doch Avis kleine Kiste passte perfekt. Sie waren ca. 200 Meter vom Eingang entfernt. Avis sprang aus dem Auto und rannte auf die Beifahrer Seite, um Kathly die Tür offen zu halten. Die Drachin lächelte ihn an, als sie seine Klaue ergriff und sich aus dem Auto helfen ließ.”Vielen Dank der Herr.” Avis machte langsam einige Schritte rückwärts, noch immer Kathlyns Hand haltend, während die Drachin ihren langen Körper von der Rückbank hinaus auf den Gehweg schlängelte. Nachdem auch der letzte Zipfel ihres Schwanzes das Innere des Fahrzeugs verlassen hatte, ließ Avis los. Er schloss die Beifahrertür und versicherte sich, dass diese auch abgeschlossen war. Dann wandte er sich seiner Begleiterin zu. Die Drachin zwinkerte ihm zu und reichte ihm diesmal ihre Klaue, die Avis sofort ergriff. Dabei strich ihr weiches Fell über seine rauen Schuppen. Ein ein ungewöhnliches Gefühl, für sie beide. Doch Kathlyns Lächeln blieb und Avis verzog auch die Mundwinkel hinter seinem Schnabelansatz zu dem Vogel equivalent eines Grinsens.

Die Sitze in der Reihe waren besonders breit, wodurch Kathlyn ausreichend Platz hatte ihren langen Körper bequem zu verstauen. Dafür fühlte sich Avis, der den nächsten Sitz hatte, fast verloren. Das Polster war fast so groß wie Avis Bett in seinem Wohnheim Zimmer. Glücklicherweise ließen sich Rücken und Armlehnen in ungefähr jeder räumlichen Dimension verstellen. So nahm Avis ungefähr ein Viertel des gesamten Sitzplates ein. Über einen Meter Abstand zum nächsten Platz, auf dem sich ein Elefant niedergelassen hatte. Die Plätze befanden sich in der letzten Reihe, wodurch die Angegörigen, übergroßer Spezies, die diese Plätze gewöhnlich buchten, anderen nicht die Sicht versperrten. Avis nippte an einen Haselnuss Milchshake. Er legte einen Arm auf der Seitenlehne ab, die Kathlyn zugewandt war. Dabei rutschen seine Armfedern auf die Seite der Drachin und legten sich über ihren Körper. Reflexartig wollte er den Arm sofort zurückziehen und seine Federn wieder auf seine Seite biegen, doch legte sich Kathlyns Hand auf seine und verhinderte, dass er seinen Flügelarm hob.

Der Film hatte gerade angefangen, da glaubte Avis aus dem Augenwinkel eine bekannte Gestalt zu sehen. Im dunklen Kino Saal konnte er jedoch kaum mehr als Konturen ausmachen… Es wurde heller, doch zog die Werbung, die auf der Leinwand begonnen hatte seine Aufmerksamkeit auf sich. Ein Papagei pries einen neuen Fruchtriegel, speziell für Tropenvögel, an. Dazu schwang er sich majestätisch von einem großen Urwaldbaum und segelte aus dem Bild. Eine Fähigkeit, die alle Anthropomorphen Vögel bereits vor Jahrtausenden verloren hatten. Im nächsten Spot präsentierte ein Schwertfisch im Polohemd das neue Auto einer bekannten Sportwagenmarke. Die Werbung schien nicht enden zu wollen, ein Spot nach dem anderen huschte über die Leinwand, während Avis Popcorn und Shake lehrte. Nach einer Ewigkeit, in der man gefühlt bereits den gesamten Film hätte schauen können, startete der Vorspann. “Legends and Lore: Honorful Mischiefs” mit Christopher Treewood, einem Baummarder mit rostrotem Fell in der Hauptrolle.

Etwas mehr als zwei Stunden später war Avis Milkshake leer und der Abspann lief über die Leinwand. Der böse Krähen Zauberer Scarow war besiegt und das Königreich, sowie der Schwarm des Protagonisten gerettet. Außerdem war der Magier der gruppe rehabilitiert und der Barbar, der Klischee Gerecht von einem Braunbären gespielt wurde, hatte seinen Stamm gerächt. Allgemeines Raunen erklang. Avis wollte sich gerade erheben, als ihm auffiel, dass etwas weißes, flauschiges auf seinem Schoß lag, das er während des Films scheinbar Gedankenverloren gestreichelt hatte. Das etwas schien von links von ihm zu kommen. Sein Blick folgte dem Etwas, das sich scheinbar um ihn herum gewickelt hatte. Es verschwand links hinter seinem Rücken. Das etwas bewegte sich ruckartig, doch schien hinter ihm fest zu hängen. “Hey. Könntest du von meinem Schwanz runter gehen?” Die Frage kam von Kathlyn. Erst jetzt realisierte er, was dort auf seinem Schoß lag und jetzt versuchte, sich hinter seinem Rücken zurück zu ziehen. Sie musste ihn während des Films um ihn gewickelt haben. Eine Situation, mit der Avis zu seiner eigenen Überraschung, dezent überfordert war. Es dauerte einige Sekunden, bevor Avis Gehirn die Lage erfasst hatte und von seinem Sitz Aufstand, wodurch es Kathlyn möglich wurde, ihren Schwanz zurück zu ziehen. Dabei glitt er lautlos über den roten Stoff der Sitze, wie eine weiße, flauschige Schlange, bis er im Spalt zwischen ihren Sitzen verschwand. “Und was machen wir als nächstes?” kam die Frage von der Inhaberin des Schwanzes.

Circa 20 Minuten später saßen die beiden an einem kleinen Tisch in einem Restaurant zwei Straßen vom Kino entfernt. Vor dem Fenster hatte ein sanfter Nieselregen eingesetzt. Pling! Eine Nachricht. Avis griff nach seinem Smartphone und ohne auf das Display zu schauen, stellte er es auf Stumm. “Was willst eigentlich machen, wenn du deinen Abschluss hast?” Avis wusste nicht mal, was Kathlyn studierte, er wusste jedoch nicht, ob er es die Drachin nie gefragt hatte, oder ob sein Vogelhirn es nur vergessen hatte. “Mein Dad möchte bestimmt, dass ich in seine Firma einsteige, doch ich weiß nicht so recht. Deshalb habe ich meine Mutter überreden können, dass ich Interspezies Psychologie studieren durfte. Meinen Dad haben wir überzeugt, dass mir das später bei Verhandlungen helfen kann, aber eigentlich überlege ich einen Master in Kriminalpsychologie anzuhängen. Vielleicht Jage ich eines Tages Mörder.” Avis hing an den Lippen der Drachin. Die Welt um ihn herum verschwamm, die Geräusche der anderen Gäste rückten in den Hintergrund. “Und du?” Avis schreckte hoch. Die Frage kam überraschend. “Wirtschaft, oder? Glaube mich da an was zu erinnern.” “Betriebs Wirtschafts Lehre…” “Ah stimmt. Damit warst du meinem Vater gleich Sympathisch." Der Kellner, ein Felsenpinguin im Sakko, war an ihren Tisch getreten. “Willkommen im Le’Manchot. Was kann ich ihnen bringen?”

“Das hat richtig Spaß gemacht.” Der restliche Abend war wie im Flug vergangen. Es war kurz vor halb zwei, als Avis vor der Villa der Elliots hielt. Das Haus lag im Dunkeln. Avis wollte etwas sagen, wusste jedoch nicht was, weshalb er seinen Schnabel öffnete… und dann einfach offen ließ. Plötzlich spürte er Kathlyns warmen Atem auf seiner Wange. “Bis nächstes mal.” Er konnte ihr Grinsen aus dem Augenwinkel sehen. Ihr Maul war nur wenige Zentimeter von seiner Wange entfernt. Dann hörte er die Tür des Autos. Er saß weiter erstarrt auf seinem Sitzt. Den Blick nach vorne gerichtet, die Klauen am Lenkrad, umfähig sich zu bewegen. Die Minuten verstrichen. Ein Licht erhellte kurz den Vorgarten und die Straße davor. In der Ferne hörte er die Fronttür der Villa.

Er wusste nicht genau, was danach geschehen war. Seine Erinnerungen waren verschwommen. Bruchstückhaft. Doch irgendwann fand er sich in seinem Bett in seinem Zimmer, im Wohnheim wieder. Tim schnarchte. Avis holte sein Smartphone heraus. Es stand noch immer auf Stumm. 6 verpasste Anrufe von Frederic und eine Nachricht. “Wo bist du? Ich brauche Hilfe!”

CHAPTER 12 - Kapitel 12 (WIP)

nicht. Dann bemerkte Avis, den grauen Haken. Seine Nachrichten kamen nicht an. Frederics letzte Nachricht war um 3:00 angekommen. Vor 7 Stunden. Eine neue Nachricht poppte auf. Auf dem Profilbild grinste Kathlyn ihn an. “Hey. War gestern Abend echt schön ;).” Avis tippte eine kurze Antwort. “Schläfst du noch?” Tim stieß, wie er glaubte sanft, den Vogel an. Doch für Avis kann der Impuls unerwartet. Er stolperte einen Schritt zurück und fiel auf sein Bett. Tim erstarrte in der Bewegung, sichtlich erstaunt über die Reaktion seines Mitbewohners. “Alles im Ordnung? Wie lief dein Date?” Der letzte Abend rauschte vor Avis inneren Auge vorbei. “Echt gut! Glaube Kathlyn hats gefallen.” “Das ist klingt ja super. Freue mich für dich.” Avis gähnte ausgiebig und schüttelte sein Gefieder auf.Er griff nach seinem Handtuch. Sein erster Weg führte ihn wie gewohnt zu den Duschen.

In den Duschen herrschte reger Andrang. Avis erkannte Jonathan, ein Nashorn, das im Zimmer neben ihm Wohnte und Marvin, die Ringelnatter der seinen mindestens zwei einhalb Meter langen Körper nicht im ganzen unter den Strahl der Dusche brachte. Avis hängte sein Handtuch an einen freien Haken an der Wand und begab sich unter einen Duschkopf der gerade frei geworden ist, nachdem der Pinguin, Avis glaubt sich zu erinnern, das er Karsten hieß und irgendwas mit IT Studiert, der diese zuvor benutzt hatte in Richtung der Toiletten verschwunden war. Das Wasser lief noch und Avis stellte sich unter den laufenden Strahl. Ein gravierender Fehler, wie er wenige Sekundenbruchteile später feststellen durfte, als das eiskalte Wasser seine Federn durchdrungen und die Hauter darunter erreicht hatte. Sein erschreckter Schrei sorgte für allgemeines Lachen unter den anderen, abgesehen von einem Wolf, der sich bei Avis schrillem Ton, nicht schnell genug die empfindlichen Ohren zugehalten hatte. Avis Klaue schnellte zur Armatur und wenige Sekunden später kam wenigstens lauwarmes Wasser aus der Düse über seinem Kopf. Eigentlich sollte man das Gefiederpflege Mittel einige Zeit wirken lassen, doch hatte er keine Lust mehrere Minuten einfach nur herum zu stehen, während die leicht Wachsige Substanz ihre Arbeit verrichtete. So spülte er sie nach wenigen Sekunden wieder ab. Die Temperatur des Wasser sank langsam wieder, was ein Zeichen für Avis war, dass es Zeit war die Dusche abzustellen und sein Handtuch zu schnappen.

Ein frisches Hemd und eine frische Jeans später saß Avis auch schon mit den üblichen an ihren üblichen Plätzen. Immer wieder wanderte Avis Blick zu seinem Smartphone, das, mit ausgeschaltetem Bildschirm neben seinem Teller auf dem Tisch lag. “Erwartest du einen Anruf?” fragte Marcus. “Ich erwarte ein Lebenszeichen.” “Von wem?” hakte der Fuchs nach. “Ich hoffe nicht von der lieben Drachin. Erzähl! Wie war euer Date?!” Avis wiederholte kurz die Ereignisse der letzten Nacht, während er ein Nussmüsli in seinen Schnabel schaufelte. Auch als sie ihre Tabletts zur Abgabe brachten, fragte der Rotfuchs nach weiteren Details seines gestrigen Abends.