*Maximillian Ryland, Orphelia, 29.05.2051 13:48 Uhr*
Emma und ich saßen auf einer hölzernen Bank und betrachteten die Umgebung. Dieser magisch wirkende Ort hat mich schon in den Bann gezogen. In einer fremden Welt mit Kreaturen, die sowohl vertraut, als auch befremdlich wirkten. In einer fremden Welt ohne greifbare Vergangenheit. In einer fremden Welt, bei dem ich eine bedeutende Rolle spielen werde. Vielleicht. Ich beschwerte mich nicht, denn es hätte mich schlimmer treffen können. Immerhin ist es hier idyllisch und ich habe ein Ansprechpartner, der mich hier durchlotsen wird. Dieser schien ungeduldig auf jemanden zu warten.
Wissbegierig fragte ich: »Emma?« Sie schaute mich an. »Auf wem warten wir hier?«
»Auf eine gute Freundin. Sie ist meine Doktormutter für Archäologie. Ihr werden wir auch die ganze Geschichte erzählen, allen anderen werden wir sagen, dass du heute in meinen Garten aufgewacht bist und Amnesie hast. Du hast aber Erinnerungen, wie es vor 30 Jahren war. Wir verkaufen es als neu entdecktes Phänomen. Viele Sachen sind so unerklärlich, dass ein solches Phänomen durchaus möglich ist.«
Ich ging kurz in mich. Während des Wasserrauschens vom Brunnen und des rastlosen Treibens der Leute vor Ort, ging mir etwas durch den Kopf. »Hättest du es mir nicht früher sagen sollen? Ich mein, ich hätte durch mein Unwissen alles versauen können.«
»Nein, denn spätestens bis zum Treffen der nächsten Person hätte ich dich eingeweiht. Macht kein Unterschied, ob du es jetzt weißt oder später. Bin nur zu aufgeregt und habe es einfach noch nichts gesagt.«
»Weil du eh diejenige bist, die alles in die Hand nimmt und ich einfach nur deine Anweisungen folgen soll?«
»Exakt.«
Wer hätte es gedacht. Aber eine andere Wahl habe ich nicht und ich bin ehrlich gesagt etwas froh drum. Hoffentlich geht das alles schnell über die Bühne. Vielleicht kann ich wieder zurück in meine Zeit. Hoffentlich.
Während der Wartezeit betrachtete ich weiterhin die Umgebung. Besonders auffällig waren die Wurzeln, die überall um die Gebäude wucherten und oft in die Wand verliefen. Auch um die meisten Gerätschaften wie die holografischen Straßenschilder, bei dem jeweils eine Stange mit einem projizierten Schild zu sehen war, wurden von Wurzeln oder gar Blumen auf Bodennähe umschlungen. Voller Neugierde fragte ich: »Was hat es sich mit diesen ganzen Wurzeln und Blumen auf sich? So etwas habe ich auch in deinem Haus gesehen.«
Emelia schaute mich kurz überrascht an, um daraufhin zu antworten: »Nun, warum bin ich überrascht? Die Technologie war damals wohl komplett anders. Auch wenn dieser Zeitraum nicht so lange ist. Für eine komplett andere Technik doch recht kurz. Aber wer weiß, was in der Vergangenheit passiert ist. Aaaalso...« Sie holte tief Luft. »Die gläserne Blume, die du auch aus deiner Zeit kennst, ist eine Art Katalysator. Mit den richtigen Blumen kannst du bestimmte Kräfte entfachen. Nehmen wir ein Beispiel. Rosen beinhalten die Kraft der Temperatur. Mit den richtigen gesprochenen Worten stellst du eine Verbindung her und die gläserne Blume macht die Energie nutzbar. Mit der Rose kannst du sowohl erhitzen, als auch ein richtiges Feuer entfachen, je nach aufgesagtem Spruch. Ebenfalls kannst du auch Dinge kühlen oder Eis entstehen lassen.«
Ich unterbrach: »Das klingt wie Magie.«
»Ja, so nennen wir diese Technologie.«
»Aber in unserer Zeit ist Magie eher was Fiktives und wissenschaftlich nicht möglich. Das ist so widersprüchlich.«
»Oh«, antwortete Emma überrascht. »Bei uns ist das normal.«
»Aber... in 30 Jahren kann ich mir das schlecht vorstellen, dass solche Kräfte entdeckt werden und bereits so weit entwickelt wurden.«
Emelia dachte kurz nach. »Vielleicht sind ja mehr als 30 Jahren vergangen. Vielleicht stimmt unsere Zeitrechnung ja nicht. Wer weiß. Ich kann es kaum erwarten, all das herauszufinden.«
Sie hat recht. Wir wissen so wenig. Selbst für die Bewohner dieser Zeit ist ihre eigene Welt ein großes Mysterium. Es gibt so viel herauszufinden. Wie sich zum Beispiel eine Studentin ein Haus leisten kann. Oder bezahlen es ihre Eltern? So viele Mysterien. So wenig Antworten. In diesem Fall könnte ich ja fragen.
»Wer bezahlt eigentlich das Haus? In meiner Zeit wäre es unmöglich, dass eine Studentin ein Haus leisten kann.«
Sie zog eine Augenbraue hoch und antwortete ganz entsetzt: »Was heißt denn leisten? Ihr BEZAHLT für Häuser? Was für eine Dystopie. Nein. Wir bekommen Wohnraum kostenlos von der Regierung gestellt. Man kann sich für Häuser oder Wohnungen bewerben. Als Archäologe und als Studentin hat man natürlich Vorteile, weil dieser Berufszweig besonders relevant ist.«
»Wird das nicht ausgenutzt?«
»Ja wird es. Aber nicht in großen Maßen, da man gewisse Leistungen bringen muss. Wegen diesen Leistungsdruck bei besonders relevanten Berufszweigen machen es in der Regel doch eher Leute, die wirklich Interesse haben. Ich finde dieses System zwar irgendwie kritikwürdig, aber mir fiele tatsächlich keine bessere Lösung ein.«
»Nun zumindest ist es objektiv nachvollziehbar. Aber das gibt anderen weniger relevanten Berufen irgendwie ein schlechtes Image und Leuten, die diesen Beruf ausüben irgendwie das Gefühl von... Minderwertigkeit?«
»Nun ja, so heftig ist das hier nicht. Alle Jobs sind wichtig und notwendig. Sonst gäbe es den jeweiligen Job ja nicht. Das weiß jeder. Aber ja, in gewisse Weise, wie du es beschrieben hast, ist es schon vorhanden. Man ist sich zwar einig, dass man das überarbeiten sollte, aber die Suche nach unserer Vergangenheit ist uns allen zu wichtig. Deswegen wird es wohl noch dauern, bis man erste Schritte geht. Jeder ist sehr besessen darauf, unsere Vorzeit zu erfahren.«
Mit einem kurzen Nicken bedankte ich mich für die Antwort. Diese Welt scheint immer interessanter zu werden. Zwar habe ich noch Fragen, aber diese hebe ich für später auf. Ich wollte noch etwas die Umgebung begutachten. Es erinnerte mich etwas an meine Heimatstadt Demton. Viele kunstvolle Häuser mit filigranen Verzierungen. Nur sind hier viele futuristische Hochhäuser in der Ferne. Es schien so, dass eine Altstadt als Zentrum diente mit diesem Brunnen genau in der Mitte. Dieser antike Flair wird natürlich durch den ganzen futuristischen Anlagen und Geräten unterbrochen, wie zum Beispiel die Hologramm-Tafeln als Schilder, Werbeanzeigen und Info-Plakate. Geschweige denn Hologramm-Bildschirme aus mobilen Geräten. Nicht zu vergessen die kleinen Roboter, die manchmal auftauchen, um die Umgebung zu reinigen. Es ist so widersprüchlich und wirkt wie Demton, nur Hunderte Jahre in der Zukunft.
Wenige Minuten später kam ein weiblicher, weißer Tiger mit violettem Chignon auf uns zu. Ich bin generell überrascht, dass die meisten Personen so bunte Haare haben. Eigenartiger Trend. Anime-Kultur scheint in der Zukunft wohl wirklich groß geworden zu sein. Sie kam mit einer strammen Körperhaltung und abgestimmten Schritten, welche alle exakt gleich waren, auf uns zu. Oje, sie scheint wohl eine strenge Persönlichkeit zu sein. Das kann ja was werden. Dieser Tiger ging schnurstracks auf Emma zu und sagte »Hey Süße« und umarmte sie. Wie intim. »Wie gehts meiner Lieblingsstudentin?«
»Hervorragend! Du wirst nicht glauben, was ich entdeckt habe«, antwortete meine Begleitung.
»Ich merke, wie du ganz aus dem Häuschen bist.«
»Oh ja.«
In den nächsten fünf Minuten tauschten die beiden sich über Neuigkeiten aus, während ich stumm daneben stand, und nicht wusste, was ich beitragen sollte. Wie ich raushörte, heißt der Tiger Josy. Allerdings fühlte ich mich ignoriert, denn der Tiger beachtete mich kaum.
Doch dann kam der weiße Tiger auf mich zu und stellte sich vor: »Guten Tag junger Mensch. Mein Name lautet Josette Geer und stamme aus der Heiligen Steppe. Nett dich kennenzulernen.« Es klang irgendwie monoton, als wäre sie nicht wirklich interessiert an mir. Dabei duzte sich mich direkt, irgendwie respektlos. Da fiel mir auf, dass ich Emma und ich uns auch duzten, dass anscheinend durch unsere besondere Situation geschuldet war. Doch ich ließ mich nicht beirren und stellte mich höflich vor: »Guten Tag. Mein Name ist Maximillian Ryland und komme aus Demton. Nett Sie kennenzulernen.« Beide schauten mich verwundert an und ich schaute verwundert zurück. Josy sagte: »Die Verwirrung ist wohl mit unseren unterschiedlichen Zeitaltern zu erklären. Das Wort ›Sie‹ bezeichnet eine Personengruppe, Maximillian. Oder eine weibliche Person, wenn man in dritter Person von ihr spricht.« Mein Name hat sie erst nach einer kurzen Pause gesagt. Sie wirkte ganz subtil genervt von mir. Was habe ich nur falsch gemacht? Dabei sage ich doch kaum was. Allerdings antwortete ich trotzdem: »In meiner Zeit ist das auch so. Nur ist es auch eine Höflichkeitsform gegenüber Personen, die einem fremd sind. Aber es gibt verschiedene Sprachen, wo es auch anders ist.« Josy erwiderte: »Umständlich.« Darauf antwortete ich nichts, genauso wenig Emma.
»Wisst ihr was?«, fragte Emma. »Über all das können wir heute Abend in Ruhe bereden. Ich denke, dass es wichtig ist, dass du erst mal die Stadt kennenlernst, bevor wir wahllos mit verschiedenen Personen reden.« »Dem stimme ich zu«, erwiderte Josy. »Du solltest erst mal unsere Kultur kennenlernen und verschiedene Orte besuchen. Es sollte dir somit leichter fallen, Kontexte zu erkennen, Unterschiede zu erklären und generell dich hier leichter einleben zu können. Wir können parallel ein paar Leute besuchen gehen.«
»Somit ist es beschlossen. Lassen wir uns heute an diesem warmen Sommertag an Eis laben.«
Emmas Ausdrucksweise klingt ja barbarisch. Da sie immer so elegant erscheint, ist es heutzutage wohl anders. Außerdem wird das ohne mein Einverständnis einfach so beschlossen. Es sollte mich nicht wundern. Wir alle machten uns dann auf zum nächstgelegenen Eiscafé.
Emma war ein paar Meter vor uns, weil sie mir das beste Eis der Stadt zeigen wollte und mit einem hohen Tempo auf ihr Ziel zusteuerte. Dabei ist sie so nah am Wegesrand, dass man Angst haben musste, dass sie die bläulichen, hohen Grasbüschel, die am Wegesrand entlang wuchsen, zertrampeln würde. Wir versuchten Schritt zu halten, um sie nicht zu verlieren. Doch dann schaute mich Josette mit einem missgünstigen Blick an und sprach möglichst leise: »Ich weiß nicht, was du Emma erzählt hast, aber wenn du sie verarschst, werde ich dich gnadenlos verfolgen. Verstanden!?« Verblüfft aber auch eingeschüchtert antwortete ich: »J-ja. Hatte ich nicht vor.« Darauf erwiderte sie: »Gut so. Sonst wirst du tausend Tode sterben.« Gleich so brutal. Einmal reicht doch.
Wir kamen nun an Emmas Ziel an. Die ganze Gasse entlang gab es viele Speiselokale. Vor dem Eiscafé gab es einige Tische, die nach länglichen, ungleichseitigen Dreiecken geformt waren. Total unpraktisch und wieder sehr individuell. Oder auch nicht, denn Emma hatte geometrische Formen auch als Deko von der Decke hängen. Wie die bunten Haare wohl auch ein Trend der Zukunft. Wir setzten und alle an einen Tisch und studierten die Speisekarte. Es gab teilweise sehr interessante Sorten. Himmelsbeere, Durone und Donnerblüte. Zu meinem Glück gab es auch Sorten, die ich kannte: Vanille, Cookies, Erdbeere und einige weitere.
Josette und Emma bestellten Eisbecher, dessen Namen mir nichts sagten: Grünlilien-Traum und Donnerbecher. Ich hingegen wollte eigentlich nur Vanilleeis, aber als ich es aussprach sagte Emma: »Du bist in einem Eiscafé und bestellst nichts außer paar Kugeln langweiliges Vanilleeis? Du bist interessant und todlangweilig zugleich. Ich kann dir den Melonen-Becher empfehlen.« Ich revidierte meine Bestellung und bestellte einen Melonen-Becher. Daraufhin schaute mich der Tiger angewidert an und sagte: »Bei dem Eis, was du bestellt hast, sind auch Rotmelonen bei. Pfui.« Ich schüttelte den Kopf und dachte mir nur, was die Alte gegen mich hat. Ich kanns auch niemanden recht machen.
Solange wir auf unsere Bestellung warten schaute ich mich um. Das Lokal war gut besucht, trotz oder vielleicht sogar wegen den unpraktischen Tischen. Wie zu erwarten war es wie am Brunnenplatz sehr durchmischt, was Spezies anging. Säugetiere, Vögel und Reptilien verschiedener Rassen. Mit Säugetieren meinte ich natürlich auch Menschen verschiedener Ethnien und alles war so friedlich. Überall wird gelacht und besonders die Leute am Tisch neben uns sind besonders laut und gut drauf. Ist das alles wirklich so utopisch? Ich fürchte mich davor, die Abgründe dieser Welt kennenzulernen. Vielleicht bin ich nur pessimistisch. Vielleicht denke ich zu viel nach. Doch zu meinem Vorteil unterbrach der Kellner meine Gedanken und stellte uns die Eisbecher hin. Ich beäugte unsere Eisbecher und wir begannen das Eis zu schlemmen. Abgesehen von mir, denn ich nahm ein Stück Rotmelone aus meinem Eisbecher, der gewürfelt auf meinem Eis lag. Als ich das Stück gegessen hatte, schauten mich meine Begleiter entgeistert an. Emma kicherte daraufhin und Josette verdrehte die Augen. Verwirrt schaute ich die beiden an. Netterweise klärte Emma mich auf: »Rotmelonen sind zwar sehr gemachvoll, aber man isst diese nur in kleinen Mengen gemischt unter anderem Essen. Ansonsten sorgt es für Durchfall. In deinem Fall löffelst du jedes Stück mit genügend Eis.«
»Deswegen mag ich keine Rotmelone«, erwiderte der Tiger.
»Ich wünsche dir viel Spaß heute Abend«, fügte Emma zynisch hinzu.
Na toll. »Hätte mir das keiner vorher sagen können? Dein Vorschlag war voller Absicht!« Daraufhin antwortete Emma mit einem selbstverständliches »Nein.« Da konnte selbst der Tiger kein ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. Wir wechselten das Thema und ich erzählte etwas über die verschiedenen Sprachen aus meiner Zeit.
Einige Zeit später waren wir auf dem Weg zu einer Sehenswürdigkeit. Auf dem Weg dahin sah ich am Horizont einen riesigen Turm, aber ich fragte nicht nach, da meine beiden Begleiter in einem Gespräch waren. Ich hörte nicht wirklich zu, aber es ging wohl um eine menschenleere, nie vollendete Metropole, die auf eine Insel liegt. Ich wette, früher oder später werde ich sie zu Gesicht bekommen.
Langsam näherten wir uns dem See. Die meterhohen, dicken Bäume versperrten mir die Sicht, bis wir dann auf eine Öffnung stießen, die als Eingang zur Sehenswürdigkeit definiert war. Der goldene Schimmer fiel mir schon eine Weile auf, doch als wir dann durch den Eingang gingen, war ich für heute erneut überwältigt. Das Wasser war goldenfarben und strahlte ein leichtes goldenes Licht auf die Umgebung. Ich betrachtete die große Felsformation in der Mitte und genoss den Anblick. Es hatte etwas Magisches an sich. Emma blickte aufs Wasser und schlug vor: »Wir sollten alle unsere Füße entblößen und entspannt mit diesen im Wasser am Ufer sitzen.« Josy nickte nur und ich antwortete: »Solange ihr es als Erstes macht. Nicht, dass es wieder eine gemeine Falle von dir ist, Emma!« »Du bist so nachtragend.«
Die beiden Damen entblößten ihre Füße und setzten sich tatsächlich am Ufer hin mit ihren Füßen im goldenen Wasser. Ich tat es ihnen nach. Einen kurzen Moment genossen wir die mystische Szene des Sees, als ein Anruf für Josy reinkam. »Entschuldigt mich kurz.« Sie ging außer Hörreichweite und ich nutzte die Gelegenheit, um mit Emma zu sprechen.
»Ich glaub, Josette hat etwas gegen mich.«
»Wie kommst du darauf?«
»Nun«, sagte ich mit einem Seufzer. »Sie hat mir tausend Tode gedroht, falls ich dich hinters Licht führe.. Ich weiß nicht, was du sie heute am Telefon schon erzählt hast, aber sie schien zu glauben, ich sei ein Lügner.«
»Ach Unsinn. Ich habe nur erzählt, dass ich jemand getroffen habe, der behauptet, er hätte klare und detaillierte Erinnerungen von der Welt vor der globalen Amnesie. Allerdings hören seine Erinnerungen exakt vor 30 Jahren auf und ist in meinem Garten aufgewacht. Zugegeben klingt es im Nachhinein mit dieser Formulierung doch etwas seltsam, aber sie wird dir glauben. Sie ist etwas abweisend, da sie etwas... naja... menschenfeindlich ist. Den Grund wirst du aber selbst herausfinden müssen, denn ich will möchte nicht jedes persönliche Detail von ihr preisgeben.«
»Verstehe.«
»Aber 1000 Tode ist doch etwas übertrieben. Einer würde komplett ausreichen.«
»Das stimmt. Als könnte sie einen Toten nochmals töten.«
Emma schaute mich etwas verwirrt an. Als Antwort schaute ich verwirrt zurück. In diesen Moment hörte man nur das Vogelgezwitscher aus den golden bestrahlten Baumkronen.
Mein Gesprächspartner führte das Gespräch weiter: »Ich verstehe nicht, was du meinst. Du kannst Personen unendlich oft töten, wie du willst. Diese regenerieren sich und leben wieder. Es dauert nur gefühlt eine halbe Ewigkeit. Der Tod ist ein vorübergehender Zustand völliger Regungslosigkeit des Körpers. Natürlich ist es illegal. Aber wir kennen es nur so und es ist für uns einfach... natürlich.«
Völlig verblüfft antwortete ich: »In meiner Zeit zerfällt der Körper nach dem Tod. Man verschwindet aus der Existenz.«
»Was?!«
Zwei Minuten vergingen, als wir realisierten, wie absurd das ist. Kurz schaute ich zur weit entfernten Josette, die angelehnt an einer Straßenlaterne immer noch am Telefonieren ist. Emma brach die Stille und schlussfolgerte: »Das würde erklären, warum einige Personen seit der Amnesie vermisst werden. Wir alle sind uns Beziehung einiger Personen bewusst, ohne zu wissen, wo diese sich befinden. Wenn sie vorher endgültig gestorben sind, würde das einiges erklären. Meine Eltern sind nämlich auch verschollen. Oder sogar... tot.«
Emma atmete tief durch, weil sie sich mit diesem Gedanken nicht anfreunden wollte. Doch sie fuhr fort: »Wenn in der heutigen Zeit keiner mehr stirbt - aus welchen Gründen auch immer - steht wohl ein Zusammenhang mit der Tatsache, dass keine Personen mehr geboren werden.«
»Der unwiderrufliche Tod ist echt nicht bewusst, aber die Geburt schon?«
»Diese Art von Tod war niemanden bewusst. Die Geburt seltsamerweise schon. Es war uns ein Rätsel, warum neue Leute geboren werden können und was passiert, wenn wir zu viele werden, wenn niemand verschwindet. Dadurch, dass es keine Geburten mehr seit der Amnesie gibt, hat man sich die Theorie aufgestellt, dass unsere Kapazität erreicht ist und es für immer so sein wird. Ich weiß auch nicht, wie das möglich ist. Man hat darüber philosophiert, ob es möglich sei, dass Existenzen verschwinden können.«
»Also ist eure Gesellschaft quasi im Stillstand.«
»Nicht ganz. Wir altern noch.«
»Also seid ihr bald alle nur noch alte Säcke. Gruselige Vorstellung.«
»Du bist gemein.«
»Nein.«
Emma musste kurz kichern
Zwei weitere Minuten vergingen, da wir erst einmal begreifen mussten, wie etwas Fundamentales wie der Tod zwischen unseren Zeiten so unglaublich unterschiedlich sein konnte. Außerdem musste Emma realisieren, dass ihre Eltern womöglich unwiderruflich aus dieser Welt verschwunden sein könnten. Dass man in der Zukunft Unsterblichkeit erlangen könnte, hätte ich mir trotz der ganzen Sci-Fi nicht vorstellen können. Es fühlt sich an, als wäre in der Vergangenheit etwas gehörig schief gelaufen. Mein Gedanke wurde von Josy unterbrochen, indem sie auf uns zu kam und lächelnd fragte: »Und, Emma? Hast du schon gebeichtet, dass sich seine Füße golden färben werden?«
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Petals of the Gods - K. 3: Stadt der Koexistenz (Ger)
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